Streit um Zurückweisungen

Wie geht es weiter nach dem gescheiterten Migrationsgipfel?

Wie geht es weiter nach dem gescheiterten Migrationsgipfel?

Wie geht es weiter nach dem gescheiterten Migrationsgipfel?

dpa
Berlin
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Ob umfassende Zurückweisungen an der Grenze möglich wären, war 2015 schon einmal im Bundesinnenministerium geprüft worden. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) traf allerdings die politische Entscheidung, diesen Weg nicht weiterzuverfolgen. Foto: Carsten Koall/dpa

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Nach dem Abbruch der Gespräche beschuldigen Ampel-Koalition und Union einander, in der Migrationspolitik nicht konstruktiv zu arbeiten. Was bedeutet das für die Situation an den deutschen Grenzen?

Die irreguläre Migration soll stärker begrenzt werden. In diesem Punkt sind sich fast alle im Bundestag vertretenen Parteien einig. Lediglich die Abgeordneten der Linken würden das wohl nicht so unterschreiben. Die Ampel-Regierung setzt jetzt auf noch mehr Grenzkontrollen und hat einen Vorschlag für beschleunigte Rücküberstellungen von Asylsuchenden in andere EU-Länder vorgestellt. Die Union hält das für nicht ausreichend.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den geplanten und vorgeschlagenen Änderungen in der Migrationspolitik:

Was hat die Bundesregierung zuletzt angekündigt?

Nach dem tödlichen Messerangriff auf einem Stadtfest in Solingen wurden Änderungen beschlossen, die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei der Klärung der Identität von Asylbewerbern helfen sollen.

Außerdem will man dafür sorgen, dass ein Ausländer, der in Deutschland Schutz erhalten hat, diesen in der Regel aberkannt bekommt, wenn er zwischendurch in sein Herkunftsland reist. Allerdings sind hier Ausnahmen vorgesehen, etwa wenn jemand nachweisen kann, dass er zur Beerdigung eines nahen Angehörigen gereist ist und deshalb bewusst ein Risiko in Kauf genommen hat. Auch muss die Reise den deutschen Behörden überhaupt bekanntwerden. Das ist, wenn jemand etwa über ein drittes Land nach Syrien reist, nicht unbedingt der Fall.

Über das sogenannte Sicherheitspaket soll im Bundestag an diesem Donnerstag erstmalig beraten werden.

Was passiert jetzt an den deutschen Grenzen?

In der Ampel-Koalition gab es früher kaum Befürworter fester Grenzkontrollen, die im sogenannten Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen sind. Dennoch hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht nur die 2015 begonnenen Kontrollen an der Landgrenze zu Österreich mehrfach verlängert. Sie hat solche temporären Kontrollen Mitte Oktober 2023 auch für die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet und bei der EU-Kommission notifiziert.

Diese Woche entschied sie dann, dass es ab Montag nun auch an den restlichen Grenzabschnitten feste Kontrollen geben soll. Das betrifft die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Durch solche Kontrollen kann es punktuell auch zu Wartezeiten für Pendler, Touristen und den Güterverkehr kommen. Massive Staus an den Grenzübergängen gibt es da, wo es solche Kontrollen schon gibt, aber nicht.

Warum tut Faeser das?

Die Zahl der Asylbewerber ist zurückgegangen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 160.140 Menschen in Deutschland erstmalig einen Asylantrag - 21,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Dennoch fühlen sich viele Kommunen überlastet, was Wohnraum, Integration sowie Schul- und Kitaplätze für neu Zugewanderte betrifft - auch weil zusätzlich die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die keinen Asylantrag stellen müssen, versorgt werden müssen.

Außerdem hat sich die Debatte um irreguläre Migration nach mehreren Gewalttaten, die von Zuwanderern begangen wurden, verschärft. Besonders große Empörung löste der tödliche Messerangriff auf einem Stadtfest in Solingen im August aus.

Was ändert sich durch die Grenzkontrollen?

Zwar spielen auch Maßnahmen gegen Schleuser in anderen Staaten wie etwa Serbien oder Polen eine Rolle. Dennoch führen einige Beobachter den Rückgang der Zahl der Asylbewerber auch auf die im Oktober eingeführten zusätzlichen Grenzkontrollen zurück. Denn für Schleuser, die Menschen ohne Visum über die Grenze bringen, steigt dadurch das Risiko, entdeckt und strafrechtlich verfolgt zu werden.

Auch ermöglichen Kontrollen, die direkt an der Grenze erfolgen, Zurückweisungen. Derzeit werden allerdings nur Ausländer zurückgewiesen, gegen die eine Einreisesperre verhängt wurde oder wenn jemand kein Asylgesuch vorbringt.

Was will die Union in puncto Zurückweisungen?

Die CDU/CSU-Fraktion vertritt die Auffassung, dass auch Menschen, die Asyl beantragen wollen, direkt an der Grenze mit zurückgewiesen werden könnten. Sie verweist dabei unter anderem auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dieser sichert den EU-Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit «für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit» zu. Ampel-Politiker finden das rechtlich fragwürdig und befürchten, dass ein solcher Schritt die Umsetzung des mühevoll ausgehandelten Kompromisses für eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gefährden könnte.

Dass jemand, der zurückgewiesen wurde, anschließend noch einmal versucht, nach Deutschland zu kommen, dabei womöglich unentdeckt bleibt und hierzulande dann einen Asylantrag stellt, ist allerdings immer möglich. Darauf verweist Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), wenn er sagt, diese Form der Zurückweisung sei weniger effektiv als die Dublin-Rücküberstellungen.

Was hat die Ampel stattdessen angeboten?

Bundesländer, die an einer Grenze liegen, sollen grenznah Abschiebehaft-Plätze zur Verfügung stellen und eine Dauer-Erreichbarkeit von Verwaltungsrichtern organisieren, damit Menschen, für deren Asylverfahren ein anderer EU-Staat nach den sogenannten Dublin-Regeln zuständig ist, schneller dorthin zurückgebracht werden als bisher.

Der Bund will seinerseits Bamf-Mitarbeiter entsenden, die sich um eine rasche Bearbeitung der sogenannten Dublin-Verfahren kümmern sollen. Außerdem bietet die Bundesinnenministerin an, dass Bundespolizisten die komplette Rückführung übernehmen.

Was würde das bringen?

In einigen Fällen würde es wahrscheinlich dazu führen, dass Fristen nicht versäumt werden, sodass etwas mehr Menschen tatsächlich in den Staat zurückkehren müssen, der für ihr Asylverfahren zuständig ist. Das ist in den meisten Fällen das erste EU-Land, in dem ein Asylsuchender registriert wurde.

An der fehlenden Kooperationsbereitschaft von Staaten wie Italien, das wegen seiner Herausforderungen als EU-Außengrenzstaat derzeit bei den Dublin-Rücküberstellungen blockiert, würde das aber nichts ändern. Auch gibt es Urteile deutscher Gerichte, die selbst eine Abschiebung anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland wegen der schlechten Aussichten auf Arbeit oder staatliche Versorgungsleistungen für nicht zumutbar halten.

Und was ist mit den Nachbarländern Deutschlands?

Aus Polen und Österreich kam schon Kritik an den Zurückweisungsplänen der Union. Die Union setze hier allerdings auf einen «Dominoeffekt», sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Alexander Throm. Also darauf, dass mittelfristig weniger Asylsuchende kommen, wenn mehr EU-Staaten zurückweisen. Es gehe darum, «dass nämlich die anderen EU-Länder ihrerseits ihre Grenzen schützen und Flüchtlinge nicht einfach nach Deutschland weiterreisen lassen», sagt der CDU-Politiker.

Wie hängt das alles zusammen mit der EU-Asylreform?

Die im Frühjahr beschlossene Reform regelt die Verteilung der Schutzsuchenden auf die EU-Staaten mit einem «Solidaritätsmechanismus» neu. Sie sieht außerdem schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen für Menschen aus Ländern vor, die als relativ sicher gelten. Bis die Reform wirkt, dauert es aber noch. Die Mitgliedstaaten müssen sie bis spätestens Mai 2026 in nationales Recht umsetzen.

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Kommentar

Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
„Grenzüberschreitender Verkehr: Warum Bus und Zug kaum eine Alternative sind“