Energie

So will eine Firma aus dem Grenzland uns von Russland unabhängig machen

So will eine Firma aus dem Grenzland uns von Russland unabhängig machen

Grenzland-Firma: Von Russland unabhängig machen

Carlo Jolly/shz.de
Medelby
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Dezentrale Energieproduktion und -speicherung macht unabhängig vom Import zum Beispiel aus Russland, meint Nordgröön-Chef Torge Wendt. Sogar Elektroautos könnten schon bald als Speicher für alle dienen. Foto: Claus Bonnerup/Ritzau Scanpix

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Mit der Medelbyer Firma Nordgröön macht Torge Wendt die Strommärkte in Deutschland und Dänemark flexibler. Sogar Papierfabriken und Aluminiumhütten helfen dabei. Es gehe auch ohne Gas aus dem Ausland, meint er.

Der Ukraine-Krieg und Deutschlands hohe Importquoten von Russlands fossiler Energie aus Erdgas, Kohle und Öl haben die Frage der Unabhängigkeit der Energieversorgung ganz oben auf die politische Tagesordnung gesetzt.

In Medelby westlich von Flensburg direkt an der deutsch-dänischen Grenze beschäftigt sich die Firma Nordgröön seit genau zehn Jahren mit den Fragen von Netzstabilität, Synchronisierung und Integration von erneuerbaren Energien im Strommix.

Wir machen uns gerade erpressbar.

Torge Wendt

Nordgröön-Chef Torge Wendt (43) arbeitet mit seinem 20-köpfigen Team von Energielogistikern an der Medelbyer Hauptstraße daran, wie Großkraftwerke zum Beispiel mit Kohle und Kernenergie durch dezentrale und intelligente Lösungen ersetzbar sind.

Dabei ist die kleine ländliche Firma längst ein internationaler Player: Als Tochter des Rotterdamer Eneco-Konzerns, zu dem auch der Hamburger Ökostromanbieter Lichtblick gehört, und als Teil des weltweiten Mitsubishi-Imperiums setzen die Medelbyer mit ihren 20 Beschäftigten im Jahr 250 Millionen Euro um.

Mit Blick auf Russland und die Importquoten beim Erdgas (55 Prozent), der Kohle (50 Prozent) und Öl (30 Prozent) sagt Wendt: „Wir machen uns gerade erpressbar.“

 
Torge Wendt
Torge Wendt Foto: Nordgröön

Ziel: 80 Gigawatt ständig abrufbar

Die Zahl, an der Torge Wendt gedanklich arbeitet, sind 80 Gigawatt. Das ist ungefähr die Bedarfsspitze des Stromverbrauchs in Deutschland. Wären sie immer und überall verfügbar, würde die installierte Leistung von Wind- und Sonnenenergie bereits heute ausreichen. Allein die Windkraftanlagen an Land und zur See stehen für mehr als 60 Gigawatt Leistung.

„Beim Wind bleibt die Flaute natürlich eine Herausforderung“, sagt Wendt. Um diese Volatilität in den Griff zu bekommen, brauche man Speicher.

 
Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht
Das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht Foto: Tourist-Information Geesthacht

Pumpspeicherwerke wie in Geesthacht als Speicher

Als solche Speicher wirken zum Beispiel Pumpspeicherwerke. Zu diesen Kraftwerken, die zusammen zehn Gigawatt Energie aufbauen können, gehört das Pumpspeicherwerk in Geesthacht. Das sei sozusagen eine Batterie von 120 Megawatt, wenn das Speichervolumen der Elbe auf ein höhergelegenes Becken hochgepumpt sei: „Die großen Turbinen haben einen Wirkungsgrad von 70 Prozent“, sagt Wendt.

Das höre sich vielleicht nicht soviel an. Aber diese Energie könnte zum Beispiel gespeichert werden, wenn Windstrom bei Sturm sonst verlorenginge.

Industriebetriebe wie Papierfabriken brauchen häufig nicht durchgehend gleichviel Strom. Die Medelbyer Firma kalkuliert das ein (Symbolfoto). Foto: Ina Fassbender/AFP/Ritzau Scanpix

Nordgröön verbindet Anlagen von fast 1,5 Gigawatt

Allein Nordgröön in Medelby verbindet Tausende von Energieanlagen mit einer Kapazität von fast 1,5 Gigawatt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Wind, Sonne und Biogasanlagen, die bei Flaute und Dunkelheit für Energiesicherheit sorgen sollen.

Für sieben Gigawatt Strom und Wärme stünden Biogasanlagen in Deutschland, sagt Wendt. Nordgröön hat längst große Energieverbraucher der deutschen Industrie im Boot.

Torge Wendt berichtet von einer Papierfabrik, mit der er zusammenarbeite. Deren Strombedarf betrage 50 Megawatt, so viel wie eine Stadt der Größe Flensburgs oder Neumünsters benötigt. „Flexibilisierungsvermarktung“ nennt Wendt das, was er zusammen mit den Managern der Papierindustrie entwickelt hat: Stromverbrauch in großem Maßstab intelligent verschieben.

Entscheidend ist, wann die Maschine läuft.

Torge Wendt

Das Papierwerk zum Beispiel benötige mit Abstand den meisten Strom, wenn eine riesige Schleifmaschine aus Holzstämmen Späne macht: „Entscheidend ist, wann die Maschine läuft“, sagt Wendt: „Wenn sie Dienstagnacht bei einer vorhergesagten Windfront sägt, lässt sich der Börsenpreis halbieren.“

Ziel ist es also, dass die Energie produzierender Windparks direkt in die Produktionsspitzen der Industrie fließe. So können auch große Energieverbraucher wie Aluminiumwerke bei großen Spannungsunterschieden in den Stromnetzen als Speicher fungieren: „Da kann man ad hoc 600 bis 700 Megawatt abwerfen, um die Netze zu stabilisieren.“

Autobatterien könnten als Speicher dienen

So kann das Wasserkraftwerk an der Elbe ebenso wie die Aluminiumfabrik Teil der Lösung unseres Energieproblems sein, wenn die Energie intelligent gespeichert und verbraucht wird.

Beim Aluminium hat etwa die Elektrolyse den größten Energiebedarf. Wendt denkt längst weiter: Wenn große Teile der Autoflotten elektrifiziert sind, können auch Autobatterien in der großen Masse als Speicher fungieren.

Energienetze sind in ganz Europa verbunden. So wirkt mit dem neuen Seestromkabel Nordlink Schleswig-Holsteins Windstrom bereits mit Norwegens Wasserkraft als gemeinsames System.

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