Datenreport 2021

Schleswig-Holstein ist beliebt, aber wirtschaftsschwach

Schleswig-Holstein ist beliebt, aber wirtschaftsschwach

Schleswig-Holstein ist beliebt, aber wirtschaftsschwach

Henning Baethge/shz.de
Kiel/Berlin
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Dünn besiedeltes Land: In Schleswig-Holstein dauert es mit dem Auto durchschnittlich 35 Minuten bis zum nächsten Oberzentrum. Foto: M. Staudt

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Ein neuer Bericht des Statistischen Bundesamts und mehrerer Forschungsinstitute zeichnet ein aufschlussreiches Bild des Landes.

Kleine Quizfrage: Welches unter den westdeutschen Bundesländern hatte zuletzt fast jedes Jahr die meisten Zuzügler aus dem Rest der Republik und ist trotzdem noch immer das am zweitdünnsten besiedelte? Richtig: Das ist Schleswig-Holstein.

Kein anderes westdeutsches Land ist so populär für Zuzügler

Das Land zwischen Nord- und Ostsee ist nicht nur als Sehnsuchtsort für den Urlaub sehr beliebt, sondern wird in Deutschland auch als fester Wohnort immer populärer: Zuletzt sind aus den anderen Bundesländern innerhalb eines Jahres gut 7200 Menschen mehr hergezogen als weggezogen

Größer war dieser sogenannte „Wanderungssaldo“ in keinem westdeutschen Land – und im Osten nur in Brandenburg mit gut 16.300, wohin es viele Berliner zieht. Dagegen war der Saldo in gleich neun der sechzehn Bundesländer sogar negativ.

Die Zahlen gehen aus dem neuen, 530 Seiten starken „Datenreport“ hervor, den das Statistische Bundesamt alle drei Jahre gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und diesmal auch mit dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung veröffentlicht.

Foto: Grafik Can Yalim

Zurückzuführen seien die „hohen Zuwanderungsüberschüsse“ in Schleswig-Holstein und Brandenburg demnach „insbesondere auf Zuzüge von Deutschen“, heißt es in dem Report. So habe der positive Wanderungssaldo unter deutschen Staatsbürgern nach Schleswig-Holstein bei 7100 Personen gelegen, unter ausländischen nur bei gut 100. Die Zahlen sind die von 2019 – die aktuellsten, die für die Umzüge zwischen den Bundesländern vorliegen.

Schleswig-Holstein kann mit einer höheren Lebensqualität und attraktiven Wohnlagen auch außerhalb der Städte punkten.

Thilo Rohlfs, Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium

Im Ressort des Kieler Wirtschaftsministers Bernd Buchholz freut man sich über die Beliebtheit des Landes. „Schleswig-Holstein kann mit einer höheren Lebensqualität und attraktiven Wohnlagen auch außerhalb der Städte punkten“, erklärt Buchholz‘ Staatssekretär und FDP-Parteifreund Thilo Rohlfs den Erfolg.

Nicht zuletzt aus Hamburg kämen viele Leute wegen des dort „knappen und sehr teuren Wohnraums“ in den „echten Norden“. Hinzu komme, dass etliche Menschen auch wegen der sehr guten Breitbandversorgung nach Schleswig-Holstein um- oder sogar zurückziehen „Das können wir gerade jetzt in der Pandemie beobachten“, berichtet Rohlfs.

Nur Niedersachsen ist im Westen noch dünner besiedelt

Obwohl die Bevölkerung in Schleswig-Holstein so dank des seit Jahren positiven Wanderungssaldos inzwischen auf etwas mehr als 2,9 Millionen Einwohner gestiegen ist und sich der Drei-Millionen-Schwelle nähert, ist das 15.800 Quadratkilometer große Land noch immer das am zweitdünnsten besiedelte im Westen. Auf einem Quadratkilometer leben hier lediglich 184 Menschen. Nur in Niedersachsen mit 168 und den ostdeutschen Ländern außer Sachsen sind es noch weniger.

Im Schnitt sind es 35 Auto-Minuten bis ins nächste Oberzentrum

Aus der lockeren Besiedlung in Schleswig-Holstein ergibt sich auch, dass für viele Menschen der Weg zum nächsten Oberzentrum, also der nächsten kreisfreien Stadt, lang ist: Durchschnittlich 35 Auto-Minuten sind dazu nötig, in Dithmarschen gar 65. Länger als in Schleswig-Holstein dauert der Weg nur im benachbarten Niedersachsen mit 36 Minuten und in fast allen ostdeutschen Ländern. Am längsten braucht man laut Datenreport in Brandenburg mit 46 Minuten. In Bayern sind es dagegen nur 20 Minuten – obwohl das Land fast genauso dünn besiedelt ist wie Schleswig-Holstein.

Die Stundenlöhne sind die niedrigsten in Westdeutschland

Nicht so rosig sind auch die Zahlen, die der Datenreport über Schleswig-Holsteins Wirtschaftskraft offenbart. So erarbeiten die Erwerbstätigen im Land pro Job ein Bruttoinlandsprodukt von 66.800 Euro – das ist der kleinste Wert in den alten Ländern. Der Bundesschnitt liegt bei 74.000 Euro, Spitzenreiter ist Hamburg mit 93.500. Nicht besser sieht es beim durchschnittlichen Bruttostundenlohn aus: Auch hier ist das nördlichste Bundesland mit 20,65 Euro Schlusslicht im Westen. Im Bundesschnitt werden 22,60 Euro verdient, am meisten auch hier in Hamburg mit 25,11 Euro.

Foto: Grafik Can Yalim

Staatssekretär Rohlfs führt die Wirtschaftsschwäche des Landes vor allem auf „strukturelle Gründe“ zurück: „Schleswig-Holstein verfügt nur über wenige und auch nur kleine Zentren, so dass es wenig Großunternehmen aus der Industrie und Finanzdienstleistungsbranche gibt“, erläutert er. Dagegen sei der Anteil der weniger gut zahlenden Wirtschaftszweige Tourismus und Landwirtschaft höher als in anderen Ländern. „Das wirkt sich zusätzlich negativ auf die Bruttostundenlöhne aus“, sagt Rohlfs. Ziel der Landesregierung sei aber, „die Zahl der Unternehmen aus wissensbasierten Branchen und damit die Zahl der gut bezahlten Arbeitsplätze zu erhöhen“.

Die Mietbelastungsquote ist fast die höchste aller Bundesländer

Nicht zuletzt die Mieter in Schleswig-Holstein sind im Nachteil: Sie müssen im Schnitt 29 Prozent ihres Netto-Einkommens für die Kaltmiete ihrer Wohnung inklusive kalte Nebenkosten aufbringen – noch mehr ist es nur in Hamburg und Bremen mit 30 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 27 Prozent. Womöglich auch deshalb ist die Eigentumsquote im Norden die vierthöchste in Deutschland: Mit 53 Prozent werden mehr als die Hälfte der Wohnungen von ihren Besitzern bewohnt. Bundesweit sind es nur 47 Prozent.

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