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Ende der Dating-Apps? Wieso Singles nicht mehr online suchen

Ende der Dating-Apps? Wieso Singles nicht mehr online suchen

Ende der Dating-Apps? Wieso Singles nicht mehr online suchen

dpa
Berlin
Zuletzt aktualisiert um:
Schluss machen mit den Dating-Apps? Eine Absage an die Liebe ist das nicht. (Symbolbild) Foto: Niklas Graeber/dpa

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Sie wünschen sich einen Partner. Doch Flirt-Apps frustrieren sie. Warum immer mehr Menschen sich dort nicht mehr aktiv um eine Beziehung bemühen - und wofür das gut sein kann.

Die Sache mit dem Park ist für Johanna Winter ein Tiefpunkt gewesen. Wie schon so oft wollte die 35-Jährige, die eigentlich anders heißt, in einer Dating-App ein Treffen mit einem Mann ausmachen. Alles lief wunderbar, bis es an die Wahl des Treffpunktes ging. Winter schlug einen Park am Wasser vor. «Er beendete den Kontakt mit den Worten, dass er kein Park-Mensch sei und es nie mit uns klappen werde», erzählt sie, noch immer etwas verwundert.

Das ist Online-Dating in der Kurzfassung: erstaunlich. Im Sinne von: Erstaunlich, wie rücksichtslos sich Menschen, die doch angeblich die Liebe suchen, verhalten können. Für Winter war der typische Lebenszyklus eines Online-Flirts – einen Mann aus der Flut von Männern dort auswählen, etwas unmotiviert hin- und herschreiben und sich schließlich ghosten, also schlicht nicht mehr melden – irgendwann so frustrierend, dass sie mit den Apps quasi Schluss machte und heute kaum noch einen Blick hineinwirft.

«Ich habe alle Apps gelöscht»

Tinder, OkCupid, Bumble, Hinge und viele ähnliche Portale sind längst zur ersten Anlaufstelle für Singles geworden. Sie bestimmen die Flirt- und Dating-Kultur – und frustrieren immer mehr Menschen. So sehr, dass einige von ihnen Dating-Apps aus ihrem Leben verbannen, und sei es nur für eine gewisse Zeit. Auch Eugen Herzog, seit fünf Jahren ohne Partnerschaft und hier ebenfalls mit Pseudonym, gehört dazu. «Ich habe alle Apps gelöscht. Die Leute machen online viel Show, ich vielleicht genauso. Jeder will angeschrieben werden, meldet sich aber nicht zurück oder lässt sich nicht auf ein Treffen ein. Es gibt keinen richtigen Einsatz», meint der 42-Jährige.

Bei Winter, die seit sieben Jahren Single ist, kam es zwar zu Verabredungen, aber: «Ich bin online noch nie über das erste Date hinausgekommen, unter anderem, weil ich dort selten jemanden getroffen habe, der mit seinem Leben zufrieden war.» Die Männer, sagt sie, ähnelten sich zudem oft optisch. «Mich erinnern sie an den Jungen von der Kinderschokolade, nur 40 Jahre später. Sie wirken nicht richtig erwachsen oder als seien sie mitten in einer Lebenskrise.»

Liebe ist auch Glückssache

Wer wie Winter und Herzog beim Online-Dating schon zu oft erlebt hat, wie sich Vorfreude in Enttäuschung verwandelt, der kann laut Psychotherapeutin Vera Schweiger «enormen Druck auf die Psyche» spüren. «Oft sind viele Hoffnungen mit den Apps verbunden. Doch dann wird man abgeurteilt, plötzlich ignoriert. Wenn man ohnehin schon Angst vor Ablehnung aufgrund vergangener Erfahrungen oder Probleme mit dem Selbstwert hat, kann das solche Befürchtungen bestätigen», erklärt sie.

Hinzu kommt: Sosehr wir es aus anderen Lebensbereichen gewohnt sind, lässt sich die Partnersuche nur begrenzt optimieren. Das perfekte Gegenüber kann man auch mit der x-ten Überarbeitung des eigenen Online-Dating-Profils nicht materialisieren. «Wer sich darauf einlässt, sollte sich bewusst machen, dass es ein langer, anstrengender Weg sein kann, der nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein muss», sagt Schweiger. Ein wenig wie beim Lotto kann man das schnelle Glück erleben – oder nie sechs Richtige haben.

«Das klingt für mich nach Arbeit»

Auch deshalb rät Schweiger dazu, den Apps nicht zu viel Raum zu geben. «Ich erlebe oft in der Beratung, dass die Menschen auf immer mehr Dates gehen und die Dinge, die ihr Leben bereits erfüllen – Hobbys, Freunde, Familie – dafür vernachlässigen. Dabei ist es leichter, mit Zurückweisung umzugehen, wenn ich mir mit anderen Lebensbereichen Erfolgserlebnisse hole, etwa bei einem schönen Abend mit Freunden.»

Für Rike Schmidt, die wie die anderen nicht mit ihrem richtigen Namen erscheinen möchte, war das ein Grund, sich nach ihrer Trennung vor einem Jahr erst gar keine Flirt-App zu installieren. «Wenn mir Freunde und Kollegen von ihren Erlebnissen dort erzählen, denke ich: Fünf Dates in der Woche? Das ist doch Arbeit. Generell muss ich Menschen sehen, hören, spüren, um ein Gefühl zu entwickeln. Ich bestelle zum Beispiel auch keine Kleidung online», erzählt die 45-Jährige. Eine Kollegin habe ihr sogar geraten, ausschließlich Menschen über Apps zu treffen, die ihr nicht gefielen, sonst werde sie sowieso enttäuscht.

Nichts aufschieben

Das schier endlose Angebot an potentiellen Partnern im Internet kann dazu verleiten, eigene Ziele und Wünsche aufzuschieben. Die Traumreise nach Thailand? Lieber erst, wenn jemand an meiner Seite ist. Der Tanzkurs? Allein doch doof. «Solche Gedanken sind mit der Vorstellung verbunden: Wenn er oder sie erst da ist, wird mein Leben ganz anders. Dabei ist es viel sinnvoller, sich nicht auf die ferne Zukunft zu konzentrieren, sondern auf das Jetzt. Momentan bin ich Single, ja, aber wie nutze ich die Zeit für mich?», sagt Schweiger.

Menschen, die das ewige Swipen beenden, kapitulieren nicht vor der Partnersuche. Womöglich haben sie schlicht realisiert, wie erfüllt ihr Leben bereits ist – und dass man Menschen durchaus auf anderen Wegen kennenlernen kann. «Neulich hob ich auf dem Nachhauseweg meine Arme, und ein Mann fragte mich: "Bist du ein Schmetterling?"», erzählt etwa Schmidt. Aus der Begegnung wurde keine Beziehung, die fand die 45-Jährige aber kurz darauf, beim Tanzen in einem Club.

«Die Apps erst einmal abdrehen»

Auch Winter hat ihre jüngsten «Affären», wie sie es nennt, alle offline getroffen: «in Bars, bei der Arbeit oder im Urlaub, ganz klassisch also». Und Herzog sagt mittlerweile von sich: «Ich habe eine gewisse Selbstliebe entwickelt und weiß, dass ich keine Beziehung brauche, um glücklich zu sein.»

Natürlich könnten Tinder und wie sie alle heißen das Leben durchaus bereichern, findet Psychotherapeutin Schweiger. Man lerne neue Menschen kennen, erlebe schöne Dinge. «Doch wenn man merkt: Sie tun mir nicht gut, ich verfalle in Verhaltensmuster, mit denen ich mich nicht wohlfühle oder habe Angst vor Ablehnung entwickelt, dann dreht man die Apps eben erst einmal ab.» Eine Absage an die Liebe ist das schließlich nicht.

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