Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Kiew
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert vom Westen mehr Flugabwehr. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

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Der ukrainische Präsident Selenskyj wirft dem Westen zu langes Nachdenken bei Bereitstellung von Flugabwehrsystemen vor. Und der Nato-Generalsekretär warnt vor einem Scheitern der Ukraine. Die News.

Nach dem Tod mehrerer Rettungskräfte bei einem russischen Angriff in der ukrainischen Stadt Charkiw hat Präsident Wolodymyr Selenskyj das Zögern vieler Staaten bei der Militärhilfe für sein Land als völlig inakzeptabel kritisiert. «Ein neues Flugabwehrsystem könnte die Lage fundamental verändern», sagte Selenskyj in seiner gestern in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft.

Er sei jedem Land dankbar, das nach Möglichkeiten suche, der Ukraine zu helfen. Zugleich sagte er: «Es ist völlig inakzeptabel, dass so viele Länder in der Welt noch immer darüber nachdenken, wie sie dem Terror entgegenwirken können, obwohl es nur ein paar politische Entscheidungen braucht.»

Die Ukraine fordert für einen besseren Schutz ihrer Städte vor russischen Angriffen fast täglich noch mehr Flugabwehrsysteme etwa vom US-Typ Patriot. Eine stärkere Luftverteidigung für Charkiw und die gleichnamige Region sowie das Gebiet Sumy und die südlichen Regionen der Ukraine sei «absolut dringende Notwendigkeit», sagte Selenskyj.

Der Präsident erinnerte daran, dass bei einem russischen Drohnenangriff auf ein Wohngebiet ein Mensch getötet worden sei - und als die Rettungskräfte eintrafen, habe es einen zweiten Luftschlag gegeben. Drei Nothelfer starben. «Das ist eine widerliche russische Taktik», sagte Selenskyj, der im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) den Angehörigen der Opfer sein Beileid aussprach.

Die Diplomaten der Ukraine seien aufgerufen, im Ausland um Flugabwehrsysteme zu werben, sagte der Staatschef. In seiner Videoansprache sagte Selenskyj auch, dass sich die Lage am Boden stabilisiere. Es gelinge, die Besatzer an einem weiteren Vordringen zu hindern. «Angesichts des Mangels an Munition und der erheblichen Verlangsamung der Lieferungen sind diese Ergebnisse wirklich gut.»

Selenskyj sagte zudem, dass die Ukraine bei der Produktion von Drohnen und Mitteln der elektronischen Kriegsführung stärker werde. Gearbeitet werde auch an einem Raketenprogramm, um die Militärhandlungen der Streitkräfte in diesem Bereich zu stärken. Das Land verteidigt sich seit mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg.

Medien: Ukraine zerstört mehrere russische Kampfflugzeuge

Bei einem Drohnenangriff auf den Militärflugplatz Morosowsk im südrussischen Gebiet Rostow hat die Ukraine eigenen Medienberichten zufolge ein halbes Dutzend Kampfflugzeuge am Boden zerstört. «Es wurden mindestens sechs Kampfflugzeuge der Russischen Föderation vernichtet und weitere acht beschädigt», berichteten übereinstimmend mehrere ukrainische Medien unter Berufung auf Informanten in Sicherheitskreisen.

Zudem seien mindestens 20 russische Soldaten entweder getötet oder verletzt worden. Der Angriff sei dabei vom ukrainischen Geheimdienst SBU durchgeführt worden. Unabhängige Bestätigungen dafür gab es zunächst nicht. Der Militärflugplatz befindet sich gut 270 Kilometer von der Frontlinie entfernt.

Zuvor hatte bereits der Gouverneur des Rostower Gebiets, Wassili Golubew, über einen «massiven Drohnenangriff» informiert. Mehr als 40 Drohnen seien in Rostow von der eigenen Luftabwehr abgeschossen worden, hieß es von russischer Seite. Dabei seien eine Transformatorenstation und eine Hochspannungsleitung beschädigt worden.

Atomkraftwerk Saporischschja meldet Drohnenangriffe

Das Gelände des Atomkraftwerks Saporischschja im Süden der Ukraine wird nach Angaben der russisch kontrollierten Kraftwerksleitung seit Tagen verstärkt von Drohnen angegriffen. Es seien Einschläge am Frachthafens und an einer Stickstoff-Sauerstoffstation registriert worden, hieß es im offiziellen Telegram-Kanal des AKW. Die Kraftwerksleitung machte dafür das ukrainische Militär verantwortlich. Nicht nur der Beschuss der Nuklearanlage, sondern auch der anliegenden Infrastruktur könne schlimme Folgen haben und die Sicherheit des Atomkraftwerks gefährden, wurde gewarnt. Russland hat das größte Kernkraftwerk Europas kurz nach Beginn seines Angriffskriegs erobert und hält es seither besetzt. Immer wieder werden Kämpfe um die Anlage gemeldet.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, nutzte die Drohnenangriffe zu neuerlichen Vorwürfen gegen die Ukraine. Sie beschuldigte Kiew des Versuchs einer militärischen Rückeroberung der Anlage. «Wir warnen Kiew und seine westlichen Schutzpatrone vor jeglichen Angriffsversuchen oder einer Destabilisierung der Lage um das AKW Saporischschja», sagte sie.

Nato-Generalsekretär warnt vor Scheitern der Ukraine

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte mit deutlichen Worten vor einem Scheitern der Unterstützungsbemühungen für die Ukraine. Wenn es nicht gelinge, mehr Hilfe zu mobilisieren, bestehe die reale Gefahr, dass Russland noch mehr ukrainisches Territorium erobere, sagte Stoltenberg nach einem Außenministertreffen in Brüssel. Und dann werde auch die Nato in eine noch gefährlichere Lage geraten. Er spielte damit darauf an, dass russische Streitkräfte dann noch weiter westlich stehen würden und das Risiko von Angriffen auch auf Nato-Staaten steigen könnte.

Tatsache sei, dass der einzige Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine darin bestehe, dort starke Streitkräfte zu garantieren, fügte der Norweger hinzu. Denn nur so könne der russische Präsident Wladimir Putin davon überzeugt werden, dass er auf dem Schlachtfeld nicht gewinnen werde.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte zuvor bei einer Sitzung des Nato-Ukraine-Rats eindringlich um mehr Patriot-Flugabwehrsysteme für sein Land gebeten. Diese seien deshalb so wichtig, weil sie ballistische Raketen abfangen könnten. Kulebas Angaben zufolge hat es allein im März 94 russische Angriffe mit ballistischen Raketen auf die Ukraine gegeben.

WHO: Zahlreiche Angriffe auf Nothelfer in der Ukraine

In der Ukraine ist es nach Darstellung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Angriffen auf medizinische Hilfskräfte in Krankenwagen und bei anderen Gesundheitstransporten gekommen. «Viele Notfallteams geraten entweder auf dem Weg zu einem Einsatz oder an ihren Stützpunkten unter Beschuss», wurde Halyna Saldan, Leiterin des Zentrums für medizinische Notfallversorgung und Katastrophenmedizin der Regionalverwaltung des Gebiets Cherson, in einer Mitteilung der WHO zitiert. Damit hätten diese Helfer ein signifikant höheres Risiko verletzt oder getötet zu werden als anderes Gesundheitspersonal.

Laut WHO wurden im ersten Quartal 68 Angriffe auf Einrichtungen des Gesundheitswesens gezählt, davon hätten zwölf Attacken den Rettungsdiensten gegolten. Es seien vier Helfer verletzt und zwei getötet worden. «Das ist ein erschreckendes Muster», sagte Emanuele Bruni, WHO-Vorfallmanager in der Ukraine. In den Monaten Januar und März habe es fast einen Angriff pro Tag gegeben, meist unter Einsatz schwerer Waffen.

Die WHO bekräftigte ihre Forderungen nach dem Schutz von Gesundheitspersonal und Patienten. Seit der Invasion Russlands im Februar 2022 hat die WHO 1682 Angriffe auf das Gesundheitswesen in der Ukraine bestätigt, die demnach zu 128 Todesfällen und 288 Verletzungen von medizinischem Personal und Patienten führten.

Moskau will neue Elite kremlfreundlicher Unternehmer

Russland verteilt indes nach britischer Einschätzung Anteile zuvor verstaatlichter Firmen an kremltreue und den Krieg gegen die Ukraine unterstützende Unternehmer um. Das Ziel dieser Form der «Deprivatisierung» stehe vermutlich im Zusammenhang mit der Rede an die Nation von Präsident Wladimir Putin im Februar, bei der er zur Bildung einer neuen nationalistischen Elite, die durch den Krieg entstanden ist, aufgerufen hatte, teilte das britische Verteidigungsministerium mit.

«Steigende Rüstungsausgaben haben mit ziemlicher Sicherheit den finanziellen Druck auf den russischen Staat erhöht, hinzu kommen Wirtschaftssanktionen und Kapitalabfluss aus Russland seit Beginn der Invasion», hieß es in London weiter. «Der russische Staat ist höchstwahrscheinlich dabei, eine stärkere Kontrolle über Unternehmen in «strategischen» Branchen wie der Rüstungsindustrie aufzubauen.» Seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 habe Russland etwa 180 Unternehmen im geschätzten Gesamtwert von 11,5 Milliarden US-Dollar (10,6 Mrd Euro) verstaatlicht, teilte das britische Ministerium weiter mit.

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