Buchvorstellung

Umsturz 1918 begann in Kiel

Umsturz 1918 begann in Kiel

Umsturz 1918 begann in Kiel

Apenrade/Aabenraa
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Bilddokumente aus den Tagen der Revolution, nur wenige sind vorhanden, illustrieren das Buch. Foto: Kiel 1918

Spannende Darstellung und Chronik „Kiel 1918. Revolution – Aufbruch zu Demokratie und Republik“ von Martin Rackwitz.

Infos zum Buch

Martin Rackwitz
 Kiel 1918. Revolution – Aufbruch zu Demokratie und Republik
 Wachholtz Kiel 2018,
 304 Seiten, Zahlr. Abb.
 Preis: 19,90 Euro. 

Kiel ist bis heute berühmt als die Stadt des Matrosen- und Arbeiteraufstandes 1918, der den Anfang der Novemberrevolution bildete, die das durch vier Jahre Weltkrieg innerlich geschwächte Kaiserreich zum Einsturz gebracht hat. Das Ende des Ersten Weltkriegs, das Ende des Deutschen Kaiserreichs und der Übergang Deutschlands zu einem demokratischen Staat 1918 war auch ein Einschnitt im heutigen deutsch-dänischen Grenzland. Folgten diesen Ereignissen nach Abschluss des Friedensvertrags von Versailles 1919 doch im Jahre 1920 die Volksabstimmungen nördlich und südlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze mit der Abtretung des mehrheitlich für Dänemark  votierenden Nordschleswigs an das Königreich im Norden, während die Abstimmung südlich der anschließend neu gezogenen Grenze einen Verbleib der Abstimmungszone II bei Deutschland ergab.

Der Kieler Historiker und Publizist Martin Rackwitz, der schon mehrfach als Referent an Veranstaltungen der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG) teilgenommen hat, ist Autor des kürzlich im Verlag Wachholtz, Murmann Publishers  erschienenen Buches „Kiel 1918. Revolution – Aufbruch zu Demokratie und Republik“. Darin schildert er detailliert den Verlauf des Matrosenaufstandes, der aus einer Revolte von Seeleuten Ende Oktober 1918  gegen einen angesichts der sich abzeichnenden deutschen Niederlage  sinnlosen  Vorstoß der deutschen Flotte gegen die britischen Seestreitkräfte entsprungen war.

Endphase des Kaiserreichs

Sehr gut lesbar beschreibt Rackwitz die Situation  in der deutschen Staatsspitze in der Endphase des Kaiserreichs, als der Anfang Oktober ernannte  liberale Reichskanzler Max von Baden Waffenstillstandsverhandlungen mit den Entente-Mächten vorbereitete, während eigenmächtig die kaiserliche Seekriegsleitung eine letzte Seeschlacht vorbereitete. Rackwitz zeichnet  ausführlich ein Bild der  in Kiel „herrschenden“ Marineführung, die sich in den entscheidenden Tagen vom 1. bis zum 7. November 1918 in Kiel nach der Inhaftierung  festgesetzter Meuterer  binnen weniger Tage durch Befehlsverweigerung von immer mehr Matrosen und  nach Überspringen des revolutionären Funkens in die in Kiel 100.000-köpfige Arbeiterschaft der  Übermacht der   Revolutionäre beugen musste, die die kaiserlichen Kriegsflaggen  symbolträchtig gegen  rote Fahnen austauschten.

Sehr eindringlich beschreibt Rackwitz die Situation der Menschen in Kiel, die in den Novembertagen nicht länger bereit sind,  sich einem Staat unterzuordnen, der Deutschland in einen sinn losen Krieg geführt hat, in dem Millionen junger Menschen ihr Leben verloren haben und im ganzen Land für Elend und Hunger die Verantwortung trug. Es wird vermittelt, dass die  in der Kieler Arbeiterschaft starken  Sozialdemokraten, Mehrheitssozialdemokraten und die radikaleren Unabhängigen Sozialdemokraten entscheidenden Anteil am Erfolg der Matrosen hatten, sich gegen die Marineführung durchzusetzen.

 

Martin Rackwitz (Bildmitte) während einer Führung durch Kiel mit der HAG. Foto: Volker Heesch

Blutige Auseinandersetzungen

Ausführlich werden  die blutigen Auseinandersetzungen während des Aufstandes beschrieben, aber auch die schon nach wenigen Tagen formulierten „demokratischen“ Forderungen der Revolutionäre, die nach Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten die Revolution rasch weiter durch  ganz Deutschland  trugen und so zum Sturz des Kaisers und der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 in Berlin entscheidend waren. Sehr gut dargestellt wird die Rolle des späteren Reichswehrministers Gustav Noske bei der „Beruhigung“ der Revolutionäre in Kiel und dessen späterem Einsatz in Berlin, im Bündnis mit der „alten“ Militärmacht, mit der er bereits in Kiel kooperiert hatte, eine Machtübernahme der Spartakisten in Berlin und anderen Teilen Deutschlands zu verhindern.

Rackwitz zeigt auf,  dass sich Noske, der den späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert   vor einem Sturz bewahrt hat, schwere Schuld auf sich geladen hat, den Freikorps und anderen reaktionären Truppen weitgehend freie Hand zu lassen. Rackwitz erwähnt dabei auch, dass die Blutbäder während der Gründungswochen der Weimarer Republik nicht nur antidemokratische Kräfte stärkten, die letztlich die Republik bis zu ihrem Untergang 1933 bekämpften, sondern auch eine tiefe Feindschaft zwischen der radikalen Linken und der SPD  entstehen ließen, was ebenfalls den Untergang des demokratischen Staates befördern sollte.

Abschwächende Rolle der Arbeiter- und Soldatenräte

Thematisiert wird auch die sich rasch abschwächende Rolle der Arbeiter- und Soldatenräte, die auch in den Städten und größeren Orten Nordschleswig gebildet worden waren. Rackwitz beschreibt, dass die unvorbereitet in die Räte gewählten Personen meist nach kurzer Zeit eine untergeordnete Rolle neben den weiter amtierenden lokalen Verwaltungen spielten. Die revolutionären Kräfte verloren rasch an Einfluss, vor allem auch nach den Wahlen zur Nationalversammlung 1919, bei denen die Linken weit hinter den gemäßigten Sozialdemokraten zurückblieben.

Interessant ist das Kapitel über den Kieler Spartakistenaufstand im Februar 1919, der mithilfe von reaktionärem Militär niedergeschlagen wurde, mit deutlich weniger Todesopfern als in anderen deutschen Städten, wo ebenfalls linksradikale Kräfte nach sowjetrussischem Vorbild gewaltsam die Macht an sich reißen wollten. Rackwitz’ Buch ist ein sehr lesenswertes Werk für alle, die sich ausführlich  mit dem Geschehen 1918/1919 befassen möchten. Es würdigt  angemessen die Rolle und den Mut der  Matrosen und Arbeiter, den schrecklichen Ersten Weltkrieg in Auflehnung gegen Obrigkeit und herrschende Kreise  zu beenden.

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