Jan Philipp Reemtsma
Christoph Martin Wieland in einer neuen Biografie
Christoph Martin Wieland in einer neuen Biografie
Christoph Martin Wieland in einer neuen Biografie
Diesen Artikel vorlesen lassen.
Selbst Germanisten fällt beim Namen Wieland nicht mehr viel ein. Zu Unrecht, wie Jan Philipp Reemtsma in seiner fundierten Biografie zeigt, die zugleich die Werke dieses Autors in ihrem Kontext vorstellt.
Vielleicht kennt der ein oder andere ältere Leser noch den Versroman «Oberon» oder die «Geschichte der Abderiten», aber im Grunde ist Christoph Martin Wieland ein gründlich vergessener Autor. Natürlich stand er immer im Schatten der Dichterfürsten Goethe und Schiller, aber die Weimarer Klassik beginnt eigentlich mit Wieland, der im Jahr 1773 als Prinzenerzieher von der Herzogin Anna Amalia an den Hof nach Weimar geholt wurde - zwei Jahre bevor Goethe kam.
In der ersten Biografie seit siebzig Jahren erkundet der Hamburger Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma das Leben und Werk des Christoph Martin Wieland neu - sein fast 700 Seiten starkes, sehr gut lesbares Werk ist in der Kategorie Sachbuch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Der polyphone Erzählfluss
Wir lernen einen höchst vielfältigen, äußerst produktiven, und auch politisch hellwachen Autor kennen. Neben Romanen, Verserzählungen, Übersetzungen von Shakespeare, Lukian oder Horaz hat Wieland ab 1773 auch den «Teutschen Merkur» herausgegeben, eine der erfolgreichsten und langlebigsten Kulturzeitschriften seiner Zeit. Hier kommentiert er später auch die Ereignisse der Französischen Revolution, deren epochale Bedeutung der Herausgeber sofort erkannte. Aber Wieland, und dies ist typisch für diesen Autor, ergreift nicht Partei für eine Seite. Vielmehr wägt er in Dialogform die Argumente für und gegen den Umsturz der politischen Ordnung ab.
Reemtsma betont, dass Wieland kein Dogmatiker gewesen sei, der nur eine Sicht der Dinge zulässt. Auch in dem im antiken Griechenland angesiedelten Briefroman «Aristipp und einige seiner Zeitgenossen», den der Autor selbst als sein Hauptwerk betrachtete, kommen unterschiedliche Stimmen zu Wort, werden Dinge immer wieder aus anderen Perspektiven betrachtet. Es gibt nicht den einen allwissenden Erzähler, sondern einen polyphonen Erzählfluss. «Das Problem ist, dass man sich für sehr vieles interessieren muss, wenn man Wieland genießen will», schreibt Reemtsma. Sein Buch ist eine wunderbare Einladung, einen vergessenen Autor neu zu entdecken.
Jan Philipp Reemtsma, Christoph Martin Wieland. Die Erfindung der modernen deutschen Literatur, C.H. Beck Verlag München, 704 S., 38 Euro, ISBN 978-3406800702