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«Den Ruhm, den hasse ich» – Adele und die neue Superstar-Ära

«Den Ruhm, den hasse ich» – Adele und die neue Superstar-Ära

«Den Ruhm, den hasse ich» – Adele und die neue Superstar-Ära

dpa
München
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Nicht immer steht Adele gerne in der Öffentlichkeit. Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/dpa

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Wer Adele in Europa erleben will, muss nach München reisen. Eine normale Tour spielt die Musikerin nicht. Auch andere berühmte Sängerinnen schreiben die Regeln des Popgeschäfts neu.

Vor einigen Jahren tarnte sich Adele einmal für einen Auftritt mit Gesichts-Prothesen. Auf den ersten Blick nicht erkennbar als der Superstar, der sie war, nannte sie sich Jenny und trat bei einem Adele-Doppelgänger-Event auf. Den anderen Doppelgängerinnen schwante erst, mit wem sie es zu tun hatten, als Jenny anfing zu singen und Adeles unverkennbar gewaltige Stimme durch den Raum schallte.

Diese Episode von 2016 ist beispielhaft dafür, wie Adele sich früher gab: Sie wirkte nahbar und spontan, lustig, rauchte bei Konzerten zwischen ihren Liedern, trank und riss Witze. Heute sieht ihre Inszenierung anders aus. Für eine 10-teilige Konzertreihe lässt Adele eine bombastische Bühne in München aufbauen. Woanders in Europa tritt sie nicht auf – die Fans müssen zu ihr kommen. Ihre Auftritte darf die Presse nicht fotografieren.

Superstars bestimmen selbst die Spielregeln

Adeles Konzertreihe zeigt: Superstars inszenieren sich heute anders. Mit Spielregeln, die sie selbst bestimmen. Und klaren Grenzen für die Öffentlichkeit. Das fällt auch bei Taylor Swift, Miley Cyrus, Selena Gomez auf. Swift ist zwar gerade auf Welt-Tournee - doch Interviews gibt sie seit längerem keine. Die Konditionen ihres Weltruhms diktiert sie selbst. 

Cyrus sorgte erst für Unmut, als sie sagte, dass sie nicht mehr auf Tour gehe, weil sie das zu anstrengend finde. Stattdessen gibt sie Konzerte mit ausgewählten Gästen im «Chateau Marmont Hotel» in Hollywood in Los Angeles. «Vor Hunderttausenden von Menschen zu singen, ist nicht wirklich das, was ich liebe», sagte Cyrus der britischen «Vogue». 

Auch Adele mag nicht alles an ihrem Beruf. «Den Ruhm, den hasse ich», sagte sie im Interview des Fernsehmagazins «Kulturzeit» auf 3sat. «Mein Speicher ist ziemlich leer, weil ich so sensibel bin, und weil ich dauernd auf der Bühne stehe», erklärte sie. Und fügte hinzu: «Ich singe nicht mal zu Hause, wie seltsam ist das?»

«Keine Plattenfirma kann Adele dazu zwingen, irgendetwas zu tun»

Der Medien- und Popkulturwissenschaftler Jörn Glasenapp beschreibt es so: «Ich glaube, bei den ganz Großen kann man sagen, dass sie auf die klassischen Medien nicht mehr angewiesen sind und insofern auch nicht nach ihren Spielregeln spielen müssen.» Gleichzeitig betont er, dass die Superstars dabei jeweils sehr unterschiedlich vorgehen. Sie eine, dass sie es «nicht nötig haben, nach den Regeln der Branche zu tanzen».

Seine Einschätzung ist, dass sich in dieser Hinsicht auch in der Industrie etwas verändert hat - und die großen Popstars seltener unter Knebelverträgen leiden. «Die sind so groß, diese Künstlerinnen, Adele, Taylor Swift, Beyoncé et cetera. Die können entscheiden, ob sie auf Tour gehen oder nicht. Keine Plattenfirma kann Adele dazu zwingen, irgendetwas zu tun.»

Wenn man sich die großen Künstlerinnen ansehe, erkenne man recht unterschiedliche Herangehensweisen. «Und das beweist ja - wenn wir insbesondere an die totale Verweigerung von Miley Cyrus denken -, dass es offenbar geht und dass es individuelle Entscheidungen der Künstlerinnen sind, die sagen: "Ich mache das so, weil ich es will."»

Social Media führen zu weniger Privatsphäre als früher

Gleichzeitig leben Superstars heute in einer Welt, in der es viel weniger Privatsphäre gibt. Als Adele, Swift oder Cyrus groß wurden, waren die sozialen Medien noch nicht so omnipräsent wie heute. Da ist es nachvollziehbar, dass sich die Stars mehr Privatheit wünschen und die Bedingungen ihrer Auftritte stärker kontrollieren - wenn sie es sich leisten können. Weniger große Promis sind auf Konzerteinnahmen und in der Regel auch auf Interviews angewiesen. 

In den Jahren zwischen ihren Album-Veröffentlichungen ist Adele häufig gar nicht in der Öffentlichkeit zu sehen und zieht sich zurück. Sie halte sich auch von Social Media fern, sagte sie im Interview des «Time»-Magazins. «Privatsphäre ist der Schlüssel, um ein wahrhaftiges Album zu schreiben», sagte sie. «Wie soll ich eine echte Platte schreiben, wenn ich auf eine halbe Million Likes für ein verdammtes Foto warte?»

Mental Health steht stärker im Fokus

Manche Musiker und Musikerinnen ziehen sich auch zurück, um ihre psychische Gesundheit zu wahren. Zum Beispiel Selena Gomez, die in einem Interview sagte, dass sie seit über vier Jahren nicht mehr im Internet gewesen sei. «Es hat mein Leben völlig verändert», schilderte sie in der Talkshow «Good Morning America». «Ich bin glücklicher, ich bin präsenter.»

Auf Tour war sie schon länger nicht mehr. «Nichts macht mich glücklicher als 90 Minuten mit meinen Fans zusammen zu sein und gemeinsam zu feiern», führte Gomez in einem anderen Interview aus. Aber: «Es ist emotional sehr anstrengend für mich. Und dann merkt man, dass man nur von einem Haufen Leute umgeben ist, die man bezahlt.»

Mentale Gesundheit wird heute mit viel größerer Sensibilität und mehr Verständnis behandelt. Früher war das anders: In Erinnerung bleibt eine Folge der Netflix-Doku über Robbie Williams, in der dieser erzählt, wie er einen ganzen Auftritt während einer Panikattacke absolviert habe. Heute sprechen Stars offener über ihre psychischen Probleme. Auch Adele, die mal sagte, dass sie unter saisonalen Depressionen leide. 

Auf ihren Konzerten in München dürften Fans in jedem Fall ihre Freude haben. Live-Auftritte von Adele sind für mindestens zwei Dinge bekannt: viel Interaktion mit dem Publikum - und eine besondere musikalische Wucht.

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