Diese Woche in Kopenhagen

Lindner und Løkke auf EU-Schmusekurs

Lindner und Løkke auf EU-Schmusekurs

Lindner und Løkke auf EU-Schmusekurs

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Foto: dpa

Lars Løkke Rasmussen aus Dänemark und Christian Lindner aus Deutschland hissen die EU-Fahne und machen sich für die Staatengemeinschaft stark. Es wäre wegweisend, sollten die Liberalen der FDP und Venstre von miesepetrigen Kommentatoren aus der zweiten Reihe endlich zu aktiven Verfechtern der unter Beschuss stehenden liberalen europäischen Demokratie werden, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen.

Ein Kurswechsel in der dänischen Europapolitik? Die Rede des dänischen Regierungschefs Lars Løkke Rasmussen zum Europatag hat in der vergangenen Woche für Aufsehen und Rätselraten gesorgt. Bislang gilt die EU-Politik in Dänemark eher als „Karrierekiller“. 

Machen wir mal einen Test: Nennen Sie drei Folketingspolitiker, die sich intensiv mit der EU beschäftigen. Das dänische Phlegma in der Europapolitik ist in diesen Spalten oft kritisiert worden. Ob es sich mit der Rede von Lars Løkke Rasmussen um einen wirklichen Strategiewechsel handelt und sich Venstre nun zu den eigenen EU-Wurzeln bekennt, bleibt abzuwarten. 

Am Wochenende hat dann der nächste Liberale die EU-Fahne (wieder)entdeckt. Der Parteichef der FDP, Christian Lindner, hielt beim Parteitag eine feurige EU-Rede. Lindner und Løkke Rasmussen sind in derselben politischen Familie organisiert – der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE). 

In der ALDE-Familie ist eine weitere dänische Partei organisiert: die Radikal Venstre, die mit Margrethe Vestager eine profilierte Europapolitikerin in ihren Reihen führt. Man munkelt gar, dass die Liberalen in Europa versuchen könnten, mit dem französischen Präsidenten Macron, der mit seiner Bewegung „En Marche“ keiner der großen Parteifamilien angehört, auf europäischer Ebene durchzustarten. Bekanntlich steht im kommenden Jahr der Europawahlkampf an. 

Macron wird nachgesagt, dass er sich Vestager gut als nächste EU-Kommissionspräsidentin vorstellen könnte. Der französische Präsident hat einiges zu besprechen, wenn er alsbald nach Kopenhagen reist, um dort Lars Løkke Rasmussen zu treffen, der das politische Schicksal von Vestager mit in der Hand hat – ohne dessen Zustimmung hat sie keine Chancen auf einen Topposten. Der EU-Machtpoker ist spannend und immer für Überraschungen gut. 

Es bleibt dessen ungeachtet zu hoffen, dass sich bei den liberalen Parteien Venstre und FDP die Erkenntnis durchsetzt, dass nationale Popularitätswerte auf Kosten der europäischen Zusammenarbeit zu generieren, ein sehr gefährliches Vorgehen in äußerst gefährlichen Zeiten ist.  

Die liberale Demokratie ist nämlich keine Selbstverständlichkeit mehr: Die Bürger werden immer unzufriedener. Längst kann nicht als sicher gelten, was uns in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich selbstgenügsam hat werden lassen: dass die liberale Demokratie unerschütterlich ist und ewiglich besteht. Derzeit vollzieht sich in Europa eine gegensätzliche Entwicklung. Die Einstellung vieler Menschen wird zunehmend illiberal. 

„Die Wähler verlieren die Geduld mit unabhängigen Institutionen und sind immer weniger bereit, die Rechte von ethnischen und religiösen Minderheiten zu akzeptieren“, schreibt der Harvard-Politologe Yascja Moun in seinem empfehlenswerten Buch „Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht“. Seiner bestechenden Analyse nach stecken die Demokratien in einer tiefen Krise. Immer mehr Menschen sind von der Politik zutiefst enttäuscht. 

Rechtspopulistische Parteien wie die AfD, die FPÖ, DF und die Front National gewinnen immer mehr Unterstützer. In Polen, Ungarn und den USA sitzen Demagogen, die demokratische Grundwerte mit Füßen treten, bereits in der Regierung. Diese düsteren Aussichten scheinen sich in einigen europäischen Hauptstädten rumzusprechen und die Regierungen dazu anzuregen, den Kampf gegen die Populisten, die auf eine komplexe Welt mit einfachen Antworten aufwarten, endlich mit offenem Visier anzunehmen.

Es wäre wegweisend, sollten die Liberalen der FDP und Venstre von miesepetrigen Kommentatoren aus der zweiten Reihe endlich zu aktiven Verfechtern der unter Beschuss stehenden liberalen europäischen Demokratie werden. 

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