Leitartikel
„Keine Rosen ohne Dornen “
„Keine Rosen ohne Dornen “
„Keine Rosen ohne Dornen “
Wenn Løkke nicht überzeugt, dann droht ihm ein Schicksal wie Nyrup, auch wenn er oft genug nach K.-o.-Schlägen wieder aufgestanden ist – und sogar gewonnen hat, meint Siegfried Matlok.
Der landesweite Schock über das schwere Eisenbahn-Unglück auf dem Großen Belt hat die Neujahrsansprache von Staatsminister Lars Løkke Rasmussen in den Hintergrund gerückt. Nur wenige Stunden später hätte der Regierungschef eine ganz andere, von tiefer Trauer geprägte, Ansprache halten müssen.
Das zeigt – ohne Zynismus –, wie auch in der Politik Freud und Leid dicht beieinander liegen. Bei der Beurteilung der Staatsminister-Rede zum Jahresbeginn fällt immer wieder auf, wie unterschiedlich das Echo zwischen seiner und der traditionellen Neujahrsansprache der Königin am Silvesterabend ausfällt. Immer zum Nachteil des Staatsministers. Etwas ungerecht, da die Königin zwar ihre Ansprache fürs Volk mit der eigenen Feder prägt, gleichwohl wird sie im Staatsministerium „abgestimmt“, werden Manuskripte wochenlang hin- und hergeschickt. Will heißen, dass so nicht nur Wiederholungen vermieden werden, sondern dass es auch eine deutliche Arbeitsteilung gibt, sodass sich der Spielraum für den Staatsminister sozusagen von vornherein etwas begrenzt. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen Rollen, bei denen Margrethe zwar auch (gesellschafts-)politische Themen anspricht, jedoch strikt auf die Grenzen der Monarchie achtet.
Bei Løkke geht es um Politik, um legitime Machterhaltung. Seine Ansprache verfolgte eine Doppelstrategie: einerseits ein stolzes Wellness-Gefühl vermittelnd – wie gut es uns doch geht! –, andererseits aber auch mit dem Läuten von Alarmglocken (Stichworte Putin, Brexit, Trump) nach dem Motto „Gefahren überall, aber ich werde euch durch die Wüste führen“. Mit einer gewissen Staatsmann-Attitüde, sodass der Vergleich zu Nyrups berühmter Rede 2001 nach den Terror-Ereignissen vom 9/11 auf der Hand liegt. Nyrup nutzte damals die Situation zu Neuwahlen – und verlor. Løkke weiß, dass er noch Zeit hat bis spätestens 17. Juni 2019, wobei er im Gegensatz zu Nyrup nicht nur auf ein Thema setzt. Seine Neujahrsansprache war keine Wahlkampfrede – dies hätten ihm die Dänen auch übelgenommen –, sondern sein Versuch, sich in mehreren wichtigen Politikfeldern nicht als Hardliner des bürgerlichen Blocks zu präsentieren, sondern als pragmatischer Brückenbauer, der sich als Chef einer kommenden Minderheiten-Regierung nicht ultimativ festlegen darf.
Ein Beispiel: In der Ausländer- und Flüchtlingspolitik hatte er kürzlich im Folketing den harten Paradigmen-Wechsel gemeinsam mit DF eingeläutet. Auch die umstrittene Entscheidung mit dem Zwangsaufenthalt auf der Insel Lindholm – wie Dänemarks Alcatraz – hatte er parlamentarisch mitgetragen. Seine Neujahrsansprache klang jedoch viel konsensfähiger, den „Ordentlichen“ (was immer darunter zu verstehen ist) müsse man eine Chance geben, also Inklusion für „alte wie neue Dänen“. Spürt Løkke, dass er zum Beispiel mit Lindholm zu weit gegangen ist, auch bei jenen Wählern, die sonst für eine stramme Ausländerpolitik sind? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Annäherung zu DF nach dem Haushaltsvergleich plötzlich wieder in Gefahr geraten ist. Søren Espersen verglich Løkke sogar mit Nyrup, der einst DF mit den Worten beschrieben hatte, die Partei werde nie stubenrein.
Und man kann sich ja einen schlimmen verbalen Wahlkampf vorstellen, wenn DF die extreme „Ny Borgerlige“ distanzieren und unter zwei Prozent drücken will. Da wird dann auch Venstre wegen einer möglichen Regierungskonstellation mit DF klar Stellung beziehen müssen – zwischen Løkke und Støjberg, Seehofer-Merkel lassen schon grüßen. Eine weitere ungeklärte Frage ist auch Venstres Verhältnis zu den Regionen: Will die Partei im Zuge einer Gesundheitsreform den Regionen jene Grundlage entziehen, die Løkke als Vater der Kommunalreform ihnen 2007 geschenkt hatte?
Eine Parallele zu Nyrup passt wohl doch: Løkke hat ebenso wie einst der Sozialdemokrat Vertrauen in der breiten Bevölkerung eingebüßt. Er ist, das bescheinigen ihm auch seine politischen Gegner, der tüchtigste politische Handwerker, ein Profi, ja ein Kraftwerk, aber manchmal brennen die Sicherungen durch. Die jüngsten Schlagzeilen über neue Verwicklungen in seiner „privaten“ Løkke-Stiftung sind Gift für das moralische Ansehen eines Politikers, der deshalb bei Meinungsumfragen nicht nur persönlich immer wieder zurückgeworfen wird. Wenn er nicht überzeugt, dann droht ihm ein Schicksal wie Nyrup, auch wenn Løkke oft genug nach K.-o.-Schlägen wieder aufgestanden ist – und sogar gewonnen hat.