Leitartikel

„Mette, who?“

Mette, who?

Mette, who?

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig
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Nicht nur für die Brüsseler Auslandspresse stellt sich nach Abschluss der Regierungsverhandlungen die Frage: „Mette, who?“, denn die Sozialdemokratin gilt außenpolitisch als unbeschriebenes Blatt, meint Siegfried Matlok. Er ist überzeugt: Mette Frederiksen wird lernen müssen, nicht nur redlich dem eigenen Lande zu dienen.

Nachdem Staatsminister Lars Løkke am EU-Gipfel in Brüssel teilgenommen hatte und der Gipfel im Ringen um die Spitzenposten ohne Ergebnis auf den 30. Juni vertagt worden war, verabschiedete er sich abschließend mit herzlichen Dankesworten bei den dänischen Pressevertretern. In der eigenen Erwartung, dass er auf dem nächsten Gipfel von der Sozialdemokratin Mette Frederiksen abgelöst wird. Løkke gehörte inzwischen in der EU-Rangliste zu den dienstältesten Regierungschefs,  aber nicht nur für die Brüsseler Auslandspresse stellt sich nun die Frage: „Mette, who?“, weil die Sozialdemokratin außenpolitisch als unbeschriebenes Blatt gilt. 

Zwar ist die 41-jährige Genossin aus Nordjütland innenpolitisch ein Schwergewicht, aber obwohl sie in früheren Regierungen wichtige Kabinettsposten bekleidet und deshalb auch an Brüsseler Minister-Runden mitgewirkt hat, ist sie europa-und außenpolitisch nicht vernetzt. Ihr wichtigster Berater ist der 44-jährige Stabschef der Partei, Martin Rossen. Ein „Sønderjyde“,  der aus Norburg stammt und den sie aus gemeinsamen Jahren in der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation DSU kennt. Insider auf Christiansborg bezeichnen ihn de facto als den zweitmächtigsten Mann in der Sozialdemokratie, dessen Einfluss nach dem überraschenden Ausscheiden des Strategen Henrik Sass sicher noch gewachsen ist. Bei den laufenden Regierungsverhandlungen auf Christiansborg ist Rossen stets an ihrer Seite, aber – ungeachtet seiner Fähigkeiten als Strippenzieher – verfügt auch er über keine außenpolitische Kompetenz.  Frederiksen hat sich im Wahlkampf selten zu außenpolitischen Themen geäußert; unter ihrer Leitung hat die Sozialdemokratie jedoch zwei Richtungsänderungen durchgeführt, die ihr in Brüssel wenig Anerkennung bringen. Erstens eine größere EU-Skepsis, ohne die Gemeinsamkeit mit den traditionellen Ja-Parteien aufzukündigen, und zweitens eine harte Ausländerpolitik, die nach Ansicht von Wahlstrategen ausschlaggebend dafür gewesen ist, dass sie frühere Arbeitnehmer-Stimmen von DF zurückgeholt hat. 

Ein großer Unterschied zu ihrer sozialdemokratischen Vorgängerin Helle Thorning lässt sich nicht leugnen: Thorning war mit Herz und Seele Europäerin, was ihr zwar in Brüssel hoch angerechnet wurde, innenpolitisch aber nicht zugute kam.  Frühere Zeiten mit engem Schulterschluss zwischen den dänischen und deutschen Sozialdemokraten – zuletzt zwischen J. O. Krag und Willy Brandt sowie zwischen Anker Jørgensen und Helmut Schmidt –  sind längst passé.  Die SPD in Berlin hat dann auch – abgesehen von Ex-Parteichef Gabriel – kaum über das sozialdemokratische Comeback in Kopenhagen gejubelt: Die Flüchtlingspolitik der dänischen Genossen ist ihnen in Deutschland suspekt. 

Fairerweise muss man darauf hinweisen, dass auch Løkke bei seinem Amtsantritt als Nachfolger von Anders Fogh keine außenpolitische Erfahrungen hatte; ja sein internationales Debüt beim Kopenhagener Weltklima-Gipfel hat er im wahrsten Sinne des Wortes sogar „verschlafen“.  Venstre hatte jedoch außen-und europolitische Substanz in den eigenen Reihen, während in der heutigen Sozialdemokratie Nachkommen  außenpoltischer Größen wie Per Hœkkerup, K. B. Andersen und Mogens Lykketoft weit und breit nicht zu erkennen sind. Løkke fand langsam seinen eigenen Weg: Mit den Jahren hat er zweifelsohne auswärts an Statur gewonnen, sowohl in Brüssel als auch in Berlin bei seinen bilateralen Treffen mit Angela Merkel. Auch Mette Frederiksen wird lernen müssen, dass selbst die Chefin einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung nicht nur redlich im eigenen Lande zu dienen hat. Im letzten Jahrzehnt ist die europapolitische Bedeutung immer größer geworden, und dabei hat das Staatsministerium dem Außenministerium wichtiges internationales Terrain abgenommen. Dass Mette Frederiksen dies auch schnell erkennt, wird nicht überraschen, aber sie benötigt gerade in der Anfangszeit starke außenpolitische Rückendeckung in der eigenen Partei, wo die Frage nach dem Außenminister deshalb nicht weniger wichtiger scheint als die Besetzung des Finanzministeriums.

Eine außenpolitische Entscheidung hat Mette Frederiksen gleich nach der Wahl getroffen: In großer EU-Koalition mit Venstre hat sie Løkke beauftragt, für Margrethe Vestager in Brüssel zu kämpfen. Das scheint im Rennen um die Nachfolge von Kommissionspräsident Juncker erfolglos zu bleiben. Sollte sie am 30. Juni in Brüssel ihr Debüt geben, könnte sie nun ganz schön in die Klemme geraten. Während Vestagers Chancen gesunken sind, tauchte in Brüssel plötzlich der Name Lars Løkke als Kandidat für den Ratspräsidenten auf.   Løkke selbst wollte davon – natürlich –  nichts wissen,  doch Schlitzohr Løkke erinnerte beim Abgang in Brüssel an den Schlager der britischen Sängerin Vera Lynn aus dem Zweiten Weltkrieg mit dem vielsagenden Titel  „We’ll Meet Again“.

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