Leitartikel

„Politischer Aschermittwoch“

Politischer Aschermittwoch

Politischer Aschermittwoch

Apenrade/Aabenraa
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In Deutschland fliegen am politischen Aschermittwoch für gewöhnlich die Fetzen. Das sieht dieses Jahr zwar etwas anders aus, schließlich finden die Reden allesamt nur in virtuellen Räumen statt. Aber dennoch kann sich Dänemark hier vielleicht etwas von seinem südlichen Nachbarn abgucken, meint „Nordschleswiger“-Redakteur Nils Baum.

Die deutsche Politik huldigt stets dem politischen Aschermittwoch. Das ist der Tag der großen verbalen Schlagabtausche und Generalabrechnungen, bei denen die eigene Gefolgschaft in Stimmung gebracht werden soll und der Gegner zerlegt und möglichst kleinteilig wieder ausgespuckt wird.

Doch in diesem Jahr ist auch am politischen Aschermittwoch nicht mehr alles so, wie es einmal war. Statt in großen Festhallen, in denen das Publikum zum Kochen gebracht wird, finden die Redeschlachten in virtuellen Räumen statt.

So hatte sich CSU-Chef Markus Söder blutdrucksenkend vor einem in derbem Holz eingerahmten Flachbildschirm platziert, die traditionelle Holzsitzbank ums Eck mit der blau-weiß karierten Tischdecke nur in der Totalen sichtbar. Der darauf abgestellte Bierkrug war wohl eher mit Cola Light statt mit bayerischem Weißbier gefüllt, denn das Ganze war ungefähr so mitreißend wie das Lauschen der Gute-Nacht-Geschichten meiner Großmutter.

Der virtuell eingespielte Applaus des Online-Publikums am Ende seiner fast 50-minütigen Rede konnte daran auch nichts ändern. Denn statt saftiger Attacken, verpackt in mitreißende Rhetorik, gab es eher reflektierende Gedanken, vorgetragen in einem hingesäuselten Tonfall.

In Dänemark gibt es keinen traditionellen politischen Aschermittwoch. Hier finden die politischen Schlachten anderswo statt, in einem Reichsgerichtsverfahren oder durch Nachahmen des politischen Gegners.

So schaltet Mette Frederiksen ihre Kritiker schachmatt mit getreuen rhetorischen Kopien der Parteien des rechten Spektrums. Ihr markanter Satz „Wenn man abends die S-Bahn in Kopenhagen nimmt, dann sollte man keine Angst haben, nach Hause zu fahren, weil 15-17 Einwandererjungs sich nicht ordentlich benehmen können“ hätten wir vor Kurzem noch nur von Pia Kjærsgaard erwartet.

Oder die Übernahme der vollen Verantwortung für die großen Beschlüsse in der Corona-Krise, sei es das Ableben des kompletten Nerzbestandes des Landes oder die Festlegung, dass wir gefälligst alle zu Hause zu bleiben haben.

Lange schien die Bevölkerung eingelullt im Glauben zu sein, dass das Land und seine Gesellschaft fertig gebaut wären, Veränderungen im großen Stile nicht nötig seien. Doch Vorgaben von oben helfen uns jetzt nicht weiter. Die Corona-Krise zwingt uns alle zum großen Umdenken.

Wir brauchen nicht nur den wichtigen, aber kurzsichtigen rhetorischen Schlagabtausch darüber, wann denn nun welche Kneipen und Geschäfte wieder öffnen dürfen oder an welchen Schulen der Unterricht wieder aufgenommen wird.

Stattdessen ist es höchste Zeit für die eine Generaldebatte, die auf längere Sicht die Weichen für die Gestaltung des Landes in diesem Jahrzehnt stellt.

Dazu gehören zum Beispiel Fragen, wie die nach der Zukunft der Massentierhaltung oder unserer Gewohnheit der vergangenen zwei Jahrzehnte, dauernd und überall zum Schnäppchenpreis hinfliegen zu können.

Womöglich ist es an der Zeit, dass auch Dänemark seinen politischen Aschermittwoch bekommt. Der könnte dann die Initialzündung für eine derartige Generaldebatte liefern und diese so richtig in Schwung bringen.

Mit „Folkemødet på Bornholm“ haben wir ja bereits einen guten Ausgangspunkt, den man vielleicht in der einen oder anderen Form über das ganze Land ausbreiten könnte.

Dabei müsste man dann nicht einmal wie Söder Cola Light aus dem Bierkrug trinken, sondern kann beherzt zum dänischen Hotdog greifen – und sich mit einem der vielen guten, lokal gebrauten Biere in Stimmung versetzen.

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