Leitartikel

„Orbáns Schatten reicht bis zu uns ins Grenzland“

Orbáns Schatten reicht bis zu uns ins Grenzland

Orbáns Schatten reicht bis zu uns ins Grenzland

Apenrade/Aabenraa
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Ungarns „Diktator“ profitiert auch vom Wahlergebnis in Nordschleswig. Doch was bedeutet das für die Minderheiten und ihren Dachverband? Nichts Gutes, argumentiert Cornelius von Tiedemann. Denn auf sie werde nun Druck ausgeübt, der sie vor unfaire Wahlen stelle.

Ungarn mit seinem Ministerpräsidenten Viktor Orbán sorgt derzeit in Europa für Furore. Der autoritäre Nationalist reizt die Demokratinnen und Demokraten des Kontinents mit unabgestimmten Besuchen bei Putin oder Trump und nutzt die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns zu innenpolitisch werbewirksamen Alleingängen. Der von Ex-EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gern als „Diktator“ betitelte Orbán aus dem kleinen Ungarn gibt sich als internationaler Staatsmann, der kein Blatt vor den Mund nimmt. 

Und jetzt bekommt er die gewünschte Quittung und wird aus Brüssel sanktioniert. 

Für ihn ein Fest: Jede Sanktion aus der EU nutzt er, in klassischer Populisten-Manier, für sich. Als Beweis dafür, dass es einen Kampf der europäischen Eliten gegen die (von ihm angeführten) Nationalkonservativen, die das gute, alte Europa der Nationen verteidigen, gibt – und gegen die sogenannten „Werte“, für die sie stehen. 

Orbán erhält jetzt Unterstützung aus Dänemark 

Zugleich spinnt er mit der neuen „Patrioten“-Fraktion im Europaparlament ein europäisches Netzwerk, dem jetzt mit der Dänischen Volkspartei (DF) auch eine Partei angehört, der in Nordschleswig traditionell viel Menschen ihre Stimme gaben. Bei der jüngsten Europawahl fast 8.000. Auch so manche Angehörige der deutschen Minderheit dürften dazu zählen.

Orbáns destruktiver Politzirkus wird also jetzt auch von den Repräsentanten Tausender Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger mitgetragen.   

Das ist nicht nur deshalb interessant, weil Orbán und die Parteien seiner Fraktion für alles stehen, was nationale Minderheiten allgemein in Gefahr bringt. Es ist auch interessant, weil Orbán mit seiner Politik ganz konkret Schatten bis ins Grenzland wirft. 

Die Minderheiten werden zum Spielball 

Hier, genauer gesagt in Flensburg, befindet sich nämlich der Sitz der europäischen Minderheiten-Dachorganisation FUEN. Ihr Präsident: Ein Angehöriger der ungarischen Minderheit aus Rumänien, der zugleich für die Partei der Ungarinnen und Ungarn in Rumänien (RMDSZ) im Europaparlament sitzt. Nicht in der Patrioten-Fraktion Orbáns, sondern in der EVP-Fraktion, wo zum Beispiel auch Venstre, die CDU oder der LA-Mann Henrik Dahl aus Ribe sitzen. 

Weshalb die Situation dennoch pikant ist? 

Die Fuen wird inzwischen zu beträchtlichen Teilen – und de facto nicht zweckgebunden sowie formell bedingungslos – aus Ungarn, also durch die Orbán-Regierung, finanziert. 

Aus einigen Minderheitenverbänden wurden bereits früher offen Bedenken geäußert. Die FUEN liefere sich – und somit die ihr angeschlossenen Minderheiten – dem politischen Kalkül Orbáns aus, so die Befürchtung.

Der Fuen-Präsident Loránt Vincze wies dies vehement zurück – und verteidigte die Minderheitenpolitik Ungarns. Kein Wunder: Die eigenen Minderheiten im Ausland fördert Ungarn mit massiven Geldbeträgen. 

Und wird dafür mit reichlich Stimmen belohnt, schließlich haben viele der Angehörigen der ungarischen Minderheiten – zum Beispiel in Rumänien oder der Slowakei – die ungarische Staatsbürgerschaft und sind somit wahlberechtigt im „Vaterland“.  

 

In Budapest werden Fragen nach der Loyalität der Ungarn in Rumänien laut 

Auch wenn der konservative Vincze sicherlich nicht in Verdacht steht, ein großer Orbán-Kritiker zu sein, so haben er und seine Partei es bisher doch für sinnvoller gehalten, sich auf EU-Ebene im gemäßigten Lager der EVP zu sammeln und dort auch nach dem de-facto-Rauswurf von Orbáns Fidesz zu bleiben. Sicherlich auch, um leichteren Zugang zu den Ohren der wenigen Politikerinnen und Politiker zu haben, die sich in Brüssel überhaupt mit Minderheitenpolitik befassen. 

Doch die regierungsnahe Presse in Budapest stellt bereits offen die Frage, weshalb sich denn die RMDSZ nicht endlich dafür entscheide, „ihrem“ ungarischen Vaterlands-Landesvater Orbán in das Lager der Patrioten zu folgen.

So wird die Partei des Fuen-Präsidenten dazu genötigt, Stellung zu beziehen.

Ihr Dilemma: Selbst wenn sie, und davon ist auszugehen, nicht das Lager wechseln wird – so ist die Partei des Fuen-Präsidenten, und damit die Fuen selbst, spätestens jetzt zum politischen Spielball Orbáns auf dem europäischen Parkett geworden. 

Minderheiten im Stich gelassen

Wie auch immer sich die Fuen und ihr Präsident aus der Orbán-Affäre ziehen: Der Einsatz für ein Europa, in dem nicht wechselnde nationale Regierungen über das Wohl und Wehe von nationalen Minderheiten entscheiden, sondern die Staatengemeinschaft EU auf sie aufpasst, ist mit dem Rechtsruck bei der Europawahl 2024 stark erschwert worden.

Das ist, bei aller Kritik an Vinczes mangelnder Distanzierung von Orbán, nicht die Schuld des Fuen-Präsidenten. Fehlendes Engagement für das EU-Minderheitenrechte-Projekt MSPI ist ihm nun wirklich nicht vorzuwerfen.

Die Verantwortung liegt bei den Wählerinnen und Wählern, die auf populistische Parolen hereinfallen – und bei jenen, die das nicht durch solide und nachhaltige Bildungs- und Sozialpolitik verhindern.

Wie kann es denn sein, dass in einem so unvorstellbar wohlhabenden Land wie Dänemark, alleine in Nordschleswig fast 8.000 Menschen die Orbán-Fraktion stärken? Dass weitere 10.000 die Dänemarkdemokraten wählen, die in Brüssel in einer Fraktion mit Nationalistinnen und Nationalisten sitzen, die ein rassistisches Weltbild promovieren, die die EU abwickeln und Minderheitenrechte einschränken oder abschaffen wollen? 

Sie sehen Minderheiten aller Art als Bedrohung der nationalen Einheit. Da können sie noch so viel von Respekt vor nationalen Minderheiten erzählen: Den haben auch ihre Vertreterinnen und Vertreter aus Dänemark nur, solange die Minderheiten den nationalen Gedanken in den Vordergrund stellen – samt vaterländischer Sehnsuchtsbekundungen. 

Ein Europa der Regionen, der Freizügigkeit, kulturelle und ethnische Vielfalt und die Freiheit, sich zu einer, mehrerer oder gar keiner Identität zu bekennen, das alles bekämpfen sie in scharfer Rhetorik. Und dort, wo sie politische Macht erlangen, greifen sie regressiv durch.

Zum Glück stellen diese Parteien im Europaparlament nicht die Mehrheit. Doch auch wir in Nordschleswig haben sie gestärkt. Und tragen so dazu bei, dass der Schatten Orbáns bis in unser Grenzland reicht.

 

 

 

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