Thema des Monats: Zurück in die Schule

Die Schultüte – ein Brauch mit langer Tradition

Die Schultüte – ein Brauch mit langer Tradition

Die Schultüte – ein Brauch mit langer Tradition

Malte Cilsik
Nordschleswig/Apenrade
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Für viele künftige Schülerinnen und Schüler ist die Schultüte ein Highlight. Foto: Friedrich Hartung

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Deutsche und dänische Traditionen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. Zum Schulstart wird dies besonders künftigen Schülern bewusst – die einen bekommen eine Schultüte, die anderen nicht. Eine Volkskundlerin erklärt, woher diese Tradition stammt, wie sie sich mit der Zeit verändert hat und was sie heute daran kritisiert.

„Viele dänische Kinder staunen nicht schlecht, wenn wir ihnen erzählen, dass sie zum Schulstart eine Schultüte bekommen“, sagt Marion Köstlin, die Leiterin der KiM-SFO Apenrade (KiM = Kind im Mittelpunkt). In Dänemark ist die Tradition oft nicht bekannt, die an den deutschen Schulen des Landes eine Selbstverständlichkeit ist.

Umso größer sind dann die Aufregung vor und die Freude nach dem Augenblick, wenn die Kinder endlich ihre mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken gefüllten Schultüten öffnen dürfen.

Dabei ist auch vielen Deutschen unklar, woher die Tradition stammt und warum es sie gibt.

Daher kommt die Tradition

„Mit dem Eintritt in die Schule tut das Kind einen weiteren Schritt in Richtung Selbstständigkeit“, sagt die Volkskundlerin Christiane Cantauw vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Die Schultüte dient in dieser Situation dazu, dem Kind zu zeigen, dass die Familie an seinem Werdegang Anteil nimmt.“

Christiane Cantauw ist die wissenschaftliche Geschäftsführerin der Kommission für Alltagskulturforschung für Westfalen. Foto: Privat

Bereits für das Jahr 1817 gibt es schriftliche Belege für die Schultüte. Ein Schüler in Jena habe in diesem Jahr eine „mächtige Tüte Konfekt“ bekommen. Der Brauch hat sich dann von Thüringen und Sachsen aus in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet.

Ein Kinderbuch von 1852 zeugt von der bereits damals großen Popularität der Schultüte: Im „Zuckertütenbuch für alle Kinder, die zum ersten Mal in die Schule gehen“ von Moritz Heger heißt es, dass es im Keller der Schule einen besonderen Baum gebe, von dem die Lehrkräfte den braven Schülerinnen und Schülern eine Tüte pflücken. Laut Cantauw gingen die Schultüten mancherorts schon 1910 in Serienproduktion.

Keine Pause durch die Weltkriege

Auch wenn es rund um die Weltkriege besonders für die ärmere Bevölkerung schwierig wurde, die Schultüten mit Inhalt zu füllen, bestand die Tradition zumindest in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet weiter fort.

Ich habe in einem Fall gelesen, dass ein Holzschuh unten reinkam.

Christiane Cantauw, Volkskundlerin

„Die Schultüte ist ja eigentlich nur die Verpackung. Man kann nicht reingucken, bevor sie zu Hause aufgemacht wird“, meint Cantauw. „Teilweise wurden unten in die Tüte Kartoffeln oder Papier gefüllt und einige Süßigkeiten obenauf gelegt. Die gesamte Tüte mit Süßwaren zu füllen, konnten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Familien nicht leisten.“

Ihrer Meinung nach zeigt dies die besondere Bedeutung, die Schultüten als ein Symbol des Übergangs in Deutschland einnehmen. Im Ursprungsgebiet der Schultüte in Mitteldeutschland ist der Brauch auch heute noch am tiefsten verwurzelt: Dort bekommen die Kinder beim Abschied vom Kindergarten manchmal sogar mehrere Schultüten von ihren Verwandten.

Kritik am heutigen Materialismus

„Wie viele Dinge in unserer heutigen Gesellschaft, hypertrophiert die Tradition. Mittlerweile kostet die Schultüte selbst bis zu 40 Euro – und dann kommt ja noch der Inhalt dazu“, resümiert Cantauw die jüngeren Entwicklungen.

Sie hat eine nicht repräsentative Umfrage in Münster durchgeführt. Demnach geben die Deutschen bis zu 100 Euro für den Inhalt der Schultüten aus.

Die Schultüte als ein Statussymbol birgt durchaus Risiken: So können Größe, Gewicht und Inhalt schon vor der ersten Unterrichtsstunde zum Klassenkampf führen. Daher ist mittlerweile vielerorts Brauch, dass die angehenden Erstklässler die Schultüten am Ende der Kindergartenzeit selbst basteln. Das gilt als pädagogisch wertvoll und ist preisgünstiger.

So ähnlich handhabt es auch die Deutsche Privatschule Apenrade.

Hier basteln allerdings die Eltern in versammelter Runde die Schultüten für ihre Kinder, damit die Überraschung zum Schulstart noch größer ist.

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