Gesellschaft

Weiterleben nach einem Selbstmord – ein Netzwerk hilft

Weiterleben nach einem Selbstmord – ein Netzwerk hilft

Weiterleben nach einem Selbstmord – ein Netzwerk hilft

Nordschleswig
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Blumen auf einem Grab. Für Hinterbliebene ist ein freiwillig gewählter Tod oft besonders schmerzhaft. Foto: Christian Lindgren/Ritzau Scanpix

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In Nordschleswig gibt es ein Netzwerk für Personen, die Angehörige durch einen Selbstmord verloren haben. Der Verein Nefos bietet Gespräche an und hilft damit, mit dem Unbegreiflichen weiterzuleben.

Telefonseelsorge:

Dieser Text beschäftigt sich mit Depressionen und Suizidgedanken. Wenn es dir nicht gut geht oder du daran denkst, dir das Leben zu nehmen, versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst.

Die dänische Telefonseelsorge „Livslinien“ ist anonym und täglich zwischen 11 und 5 Uhr erreichbar unter 70 201 201.

Die deutsche Telefonseelsorge ist ebenfalls anonym und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind (+49) (0) 800 111 0 111 und (+49) (0) 800/111 0 222.

Livslinien Telefonseelsorge

Wie geht man damit um, wenn sich ein Angehöriger das Leben nimmt? Der Verein Nefos („Netværket for selvmordsramte“) begleitet Menschen, die nach einem Selbstmord im eigenen Umfeld alleine zurückbleiben. Und lernen müssen, mit Trauer, Verzweiflung und Selbstanklage umzugehen.

Berit Jepsen hat im Juni 2020 ihre Tochter durch einen Selbstmord verloren. Über eine Facebook-Gruppe für trauernde Eltern hörte die Haderslebenerin im August 2020 von Nefos –­­ und nahm Kontakt auf.

„Keiner wollte das Thema mehr ansprechen“

„Ich brauchte Hilfe und ich hatte einen Bedarf, über meine Tochter und ihren Tod zu sprechen“, beschreibt Berit Jepsen ihre Situation. „Ein paar Monate nach dem Tod meiner Tochter wurden die Gespräche darüber immer weniger und ich fühlte mich ziemlich einsam. Ich glaube, viele waren unsicher, ob sie das Thema nun ansprechen sollten, oder nicht. Es war wie der berühmte Elefant im Raum, keiner wollte das Thema mehr ansprechen.“

Bei Nefos fand sie in Jutta Carstensen eine Mitarbeiterin des Vereins, die ihr nicht nur zuhörte. Sondern die ihr auch Fragen stellte. Über ihre Tochter und über die eigenen Gefühle, die oft so schwer zu verstehen waren.

Man muss ja keine Angst haben, dass man mich mit einer Nachfrage traurig macht. Ich bin ohnehin schon traurig. Und wenn ich mal weinen muss, dann ist das etwas, was zum Trauerprozess hinzugehört.

Berit Jepsen

„Kurz nach dem Selbstmord meiner Tochter war die Anteilnahme riesig, das ganze Wohnzimmer war voller Blumen. Aber die Anteilnahme war auch schnell wieder vorbei. Aber meine Trauer und all der Schmerz waren ja nicht einfach vorbei“, beschreibt Berit Jepsen ihre Erfahrungen.

Weinen gehört zum Trauern dazu

„Ich glaube, viele wollten mich nicht länger darauf ansprechen, weil sie nicht wussten, wie ich darauf reagiere. Aber man muss ja keine Angst haben, dass man mich mit einer Nachfrage traurig macht. Ich bin ohnehin schon traurig. Und wenn ich mal weinen muss, dann ist das etwas, was zum Trauerprozess hinzugehört. Das ist nichts Schlechtes“, so Berit Jepsen. „Ich glaube, jedesmal, wenn ich weine, komme ich einen winzigen Schritt weiter. Es ist immer besser, danach zu fragen, als nichts zu sagen oder so zu tun, als sei alles in Ordnung.“

Nefos hat eine Abteilung in Nordschleswig und ist am Apenrader Kystvej 36 zuhause. Foto: Sara Wasmund

Jutta Carstensen will mit dem Angebot von Nefos dazu beitragen, Raum für Trauer und Gefühle zu schaffen. „Ein wichtiger Kern unserer Arbeit ist das Nachfragen. Wie geht es dir? Wie kommst du mit dem Verlust heute zurecht? Wir wollen helfen, den Alltag zu erleichtern und helfen, das Geschehene zu akzeptieren“, erläutert Jutta Carstensen, die die Nefos-Abteilung für Nordschleswig leitet. „Oftmals haben die Angehörigen im Kopf verstanden, was passiert ist. Aber die Gefühle, die sind nicht so leicht zu verstehen.“

„Ich möchte gerne helfen, indem ich zuhöre“

Birte Hansen arbeitet seit rund einem Jahr ehrenamtlich für Nefos. Derzeit betreut sie eine ältere Dame, deren Sohn sich das Leben genommen hat.

„Menschen, die einen Partner oder ein Kinder verloren haben, fällt es unendlich schwer, das Geschehene zu begreifen und damit weiterzuleben. Ich möchte gerne helfen, indem ich zuhöre und das Gespräch suche“, erzählt die 65-jährige Ehrenamtliche, die auf der Insel Alsen zu Hause ist.

Birte Hansen ist freiwillige Mitarbeiterin und hat sich für die Trauerarbeit ausbilden lassen. Foto: Sara Wasmund

Alleine in der Kommune Sonderburg hat der Verein Nefos im vergangenen Jahr acht Personen begleitet. Durch Verzweiflung, Verständnislosigkeit, Trauer oder Einsamkeit.

„Viele stellen sich Fragen wie „Was habe ich falsch gemacht?“ oder „Hätte ich es verhindern können?“. Oft fällt es auch schwer, die eigenen Gefühle zuzulassen. Im Kopf, rein rational, weiß man, dass es passiert ist. Dass ein Selbstmord stattgefunden hat. Aber wirklich zu verstehen, zu begreifen, dass diese Person nie wiederkommt, das ist etwas ganz anderes“, sagt Birte Hansen.

Raum für schwere Gefühle

„Viele Angehörige wissen oder fürchten eine lange Zeit, dass es zu einem Selbstmord kommen könnte. Sie leben in ständiger Unsicherheit. Wenn es dann passiert, ist diese ständige Angst weg, es kann auch ein Gefühl der Erleichterung sein, endlich nicht mehr dieser Spannung ausgesetzt zu sein“, so die freiwillige Mitarbeiterin.

„Aber das ist natürlich ein Gefühl, für das man sich schnell schuldig fühlt. Im Gespräch kann aber auch das Raum finden und man kann auch darüber reden, wie schwer die Zeit davor war. Und dass man sich für seine Gefühle nicht schuldig fühlen muss.“

Eine Blüte mitten im Winter – ein Symbol für Trauerarbeit Foto: Niels Christian Vilmann/Ritzau Scanpix

Für Berit Jepsen kam der Selbstmord ihrer Tochter nicht überraschend. „Sie hat es mehrere Male versucht, und sie hatte einen langen Behandlungsverlauf in der Psychiatrie hinter sich. Das kam also nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Aber das hat es auch nicht leichter gemacht“, so Berit Jepsen.

„Es war schwer, mit der dauernden Angst zu leben, dass sie es wieder versuchen könnte. Das war eine große Belastung, man musste immer damit rechnen, dass die Polizei sich meldet und eine schlimme Nachricht überbringt.“ Eine Nachricht, die im Juni 2020 eintrifft.

„Das miteinander Reden tut einfach unglaublich gut“

Seitdem versucht Berit Jepsen, mit dem Selbstmord ihrer Tochter zu leben. „Sie hat mir einen persönlichen Abschiedsbrief hinterlassen. Diese Worte trägt man ein Leben lang mit sich weiter.“ Berit Jepsen wünscht sich, in eine Nefos-Gesprächsgruppe für Eltern zu kommen. „Da stehe ich sozusagen auf der Warteliste. Das miteinander Reden tut einfach unglaublich gut.“

Ehrenamtlerin Birte Hansen will auch in Zukunft bei Nefos mitarbeiten, zuhören und nachfragen. Die ausgebildete Erzieherin und Rentnerin aus Hundsleff (Hundslev) findet es wichtig, Probleme miteinander zu teilen. „Ich wünsche mir ja auch, dass ich mir Hilfe suchen kann, wenn ich ein Problem habe. Es ist wichtig, füreinander da zu sein.“

Hier geht es zur Internetseite von Nefos in Nordschleswig: aabenraa-selvhjaelp.dk

 

Der Verein Nefos

  • Der Verein „Netværket for selvmordsramte“ (Nefos) hat seinen Hauptsitz in Odense und arbeitet mit dem „Familie og Ungehuset“, der Kommune Odense und dem „Center for Forskning & Forebyggelse“ zusammen.
  • Finanzielle Unterstützung erhält der Verein von der Kommune Odense, dem Sozialministerium und diversen Stiftungen.
  • Die ehrenamtlichen Mitarbeiter von Nefos werden mit Schulungen und Supervision für ihre Arbeit ausgebildet.
  • Nefos bietet fünf kostenlose Gespräche mit einem professionellen Ratgeber des Vereins an. Es gibt außerdem Gesprächsgruppen und Hausbesuche für ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern.
  • Die Nefos-Abteilung für Nordschleswig sitzt zusammen mit der Aabenraa Selvhjælp am Apenrader Kystvej 36. In Zusammenarbeit mit lokalen Ehrenamtlichen werden die Lokalgebiete abgedeckt.
Der Verein Nefos bietet Krisenhilfe für Angehörige von Selbstmördern an. Foto: Sara Wasmund
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