Wissenschaft
„Dänen sind Hatespeech gegenüber toleranter“
„Dänen sind Hatespeech gegenüber toleranter“
„Dänen sind Hatespeech gegenüber toleranter“
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Beim Hybridvortrag in der Deutschen Büchereizentrale stellt Oliver Niebuhr seine Forschung zum Thema Hassrede vor. Zwischen Deutschland und Dänemark gibt es dabei Unterschiede.
Groß erscheint Oliver Niebuhr aus seinem heimischen Arbeitszimmer an der Wand der Deutschen Zentralbücherei in Apenrade. Aufgrund einer Corona-Infektion musste der ursprünglich als Präsenzveranstaltung geplante Vortrag im Hybridformat umgesetzt werden: Am Computer zu Hause oder eben in der Bücherei über eine Projektion an der Wand.
Als Teil des „Tages der Forschung“ des dänischen Bildungs- und Forschungsministeriums und unter dem Formatnamen „Bestil en forsker“ stellte Oliver Niebuhr kürzlich sein aktuelles Forschungsprojekt mit dem Titel „Von Hass und Hetze“ zum Thema Hassrede im Internet in Deutschland und Dänemark vor.
Hassrede – ein „Empfängerproblem“
„Ich möchte Leitplanken dazu an die Hand geben, was Hatespeech ist, wie man ihn identifizieren und ahnden kann“, erzählt er.
Hassrede im Internet sei ein wachsendes Problem und besonders durch die Corona-Pandemie regelrecht explodiert. Obwohl zum Beispiel Facebook mit seinen Algorithmen mittlerweile deutlich mehr lösche als zuvor, habe sich die Zahl der Einträge seit 2019 verdoppelt.
„Hatespeech ist, was jemand als Hatespeech empfindet – es ist ein Empfängerproblem“, definiert Niebuhr.
Einordnend meint er: „Es ist schwierig, abzuwägen, was unter die Meinungsfreiheit fällt, und wo der Schutz der Individuen wichtiger ist.“
Hassrede ist nicht gleich Hassrede
Um die Auswirkungen der Hassrede zu erforschen, misst das Team die physiologischen Signale, die „Biosignale“. Darunter fallen zum Beispiel der Puls oder die Atmung.
Des Weiteren werden auch subjektive Angaben zu Einschätzungen zur persönlichen (In-)Akzeptanz sowie der gesellschaftlichen Forderung nach Konsequenzen für einen Eintrag betrachtet. Die Ergebnisse beider Verfahren seien ähnlich und vergleichbar.
Die Forschenden bereiten die Hassrede in verschiedenen Formen auf und teilen sie in Typen ein, bevor sie sie den Probandinnen und Probanden vorstellen, um jene Auswirkungen zu messen und Unterschiede herauszustellen.
Zu diesen Formen und Typen gehören beispielsweise geschriebene oder gesprochene Hassrede, Ironie oder die Verwendung von indirekten Metaphern sowie die Adressierung von spezifischen (z. B. Musliminnen und Muslime) oder unspezifischen (z. B. Ausländerinnen und Ausländer) Zielgruppen.
Unterschiede bei der Wirkung der Hassrede
Auffallend ist, dass die persönliche Inakzeptanz in vielen Fällen deutlich höher ist als die gesellschaftliche Forderung nach Konsequenzen. Bei einem sehr „unangebrachten“ Beitrag nähern sich die Werte jedoch tendenziell an.
Je spezifischer die angegriffene Gruppe ist, desto schärfer fällt weiterhin die Bewertung aus. Auch zwischen geschriebenen und gesprochenen Einträgen gibt es Unterschiede.
In manchen Fällen führt die Aufnahme des gesprochenen Wortes zu einer schärferen Bewertung, was sich allerdings nicht verallgemeinern lässt. Ironie wird tendenziell weniger stark geahndet.
Deutschland und Dänemark ticken unterschiedlich
„Zwischen Deutschland und Dänemark gibt es Unterschiede“, berichtet Niebuhr: „Die Dänen sind Hatespeech gegenüber toleranter.“
Dies fällt besonders beim Thema Holocaust auf, was in Deutschland – sicherlich geschichtlich bedingt – deutlich schärfer bewertet wird als in Dänemark. Nördlich der Grenze ecken persönliche Beleidigungen dafür etwas stärker an.
Algorithmen müssen besser werden
Auf die Frage aus dem Publikum, was nun aus seiner Forschung folge und welche Hoffnungen er habe, antwortet er: „Facebook muss erkennen, dass man nicht alles den Algorithmen überlassen kann.“ Diese würden eben nicht alles, wie etwa Ironie oder Metaphern, richtig erkennen. „Oder sie müssen besser werden“, ergänzt er.
Mit Blick auf die politische Ebene sagt er zum Ende: „Bei der Ahndung von Hatespeech müssen die Graustufen berücksichtigt werden.“ Er macht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern deutlich, dass es nicht, um „alles oder nichts" gehe.