Leitartikel

„Grenzkontrollen: Eine schlechte Gewohnheit“

Grenzkontrollen: Eine schlechte Gewohnheit

Grenzkontrollen: Eine schlechte Gewohnheit

Kopenhagen/Nordschleswig/Südschleswig
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Im deutsch-dänischen Grenzland erinnert sich die Bevölkerung fast nicht mehr an die Zeit vor 2016, als es keine Grenzkontrollen gab. Nach sechs Jahren mit Kontrollen haben wir uns in der Grenzregion an die Lage gewöhnt – das macht es aber immer noch nicht richtig, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Die Bevölkerung im deutsch-dänischen Grenzland hat sich an die Grenzkontrollen gewöhnt. Leider. Es ist eine Gewohnheitssache geworden – aber das macht es immer noch nicht richtig. Seit 2016 leben wir in der Grenzregion wieder mit den Kontrollen, die 15 Jahre zuvor abgeschafft worden waren. Und es ist kein Ende in Sicht.

Es gab gute Gründe, 2016 die Grenzkontrollen einzuführen. Die Flüchtlingssituation war nach dem Krieg in Syrien außer Kontrolle geraten, und als die Schweden ihre Grenzen zu Dänemark schlossen, bestand die Gefahr, dass Dänemark zur Sackgasse wurde: Schweden exportierte das Problem nach Dänemark und Dänemark wiederum nach Deutschland – EU-Zusammenhalt sieht anders aus.

Das größte Problem ist indes, dass Dänemark seitdem an den permanenten Grenzkontrollen festgehalten hat und bei der EU stets eine sechsmonatige Verlängerung einfordert. Dies geschieht immer wieder mit neuen Begründungen: Nach den syrischen Flüchtlingen waren Terroristen das Problem, und dann kam „zum Glück“ Corona als passender Grund für Kontrollen – und daraufhin sogar eine Grenzschließung. Seit 2021 basiert die dänische Ausnahmeregelung wieder auf der Gefahr von islamistischen Terroristen – und von organisierten Kriminellen aus Schweden. Liebe Grüße an den Nachbarn.

Auch nach Ablauf der bisherigen Periode am 12. Mai hält Dänemark an den Grenzkontrollen fest. Diesmal befürchtet die dänische Regierung, dass sich Terroristen unter den Flüchtenden aus der Ukraine mischen.

Irgendetwas wird der Regierung sicherlich auch im November 2022 und im Mai 2023 einfallen, um an den Grenzkontrollen festzuhalten, denn bisher stand eine breite Mehrheit im Folketing hinter den Maßnahmen. Bis jetzt, denn Venstres Parteichef Jakob Ellemann-Jensen möchte die derzeitigen Grenzkontrollen gerne diskutieren, wie er dem „Nordschleswiger“ verriet. Das heißt aber lange noch nicht, dass sich hier etwas bewegen wird.

In der Zwischenzeit werden wir uns nur noch mehr an die Situation gewöhnt haben – es sei denn, man macht gerade Urlaub und fährt über die Grenze von Deutschland nach Italien oder nach Holland. Dort wird einem deutlich, wie sich die Lage im deutsch-dänischen Grenzland in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Nun soll die Europäische Union eine Untersuchung dazu einleiten, welche Folgen die Grenzkontrollen für die Menschen und deren Rechte in den Grenzregionen hatten. Den Vorschlag reicht die Europäische Freie Allianz nun ein – auf Drängen der beiden Minderheiten-Parteien im deutsch-dänischen Grenzland, der Schleswigschen Partei und dem Südschleswigschen Wählerverband.

Eine gute Aktion, denn so sehr wir uns im Grenzland daran gewöhnt haben: Es wird uns im Alltag auch etwas genommen. Und zwar die Leichtigkeit und die Selbstverständlichkeit, mit der wir eine offene Grenze überschreiten, und das Gefühl, dass wir im Grenzland zusammengehören. Die gemeinsame Identität leidet darunter, und es muss noch härter für den Zusammenhalt und die Kooperation gearbeitet werden. Ja, man kann die Grenze überqueren, aber in den Köpfen der Menschen leben wir uns auseinander, wenn wir nichts dafür tun.

Das gilt übrigens nicht nur für die deutsch-dänische Grenzregion in Dänemark, sondern auch andere Grenzgebiete in Europa haben in den vergangenen Jahren unter dieser Tendenz, sich abzuschotten, gelitten – beziehungsweise leiden immer noch.

Daher ist zu hoffen, dass der Vorschlag aus dem Grenzland im Folketing und in der EU Eindruck macht, damit wir hier im Grenzraum ein weiteres Stück Normalität zurückgewinnen können.

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Apenrade/Aabenraa Künftig soll bei der Einführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter anderem die Verhältnismäßigkeit geprüft werden, doch dafür dürfen Grenzkontrollen in Zukunft von den Staaten im Schengenraum noch länger aufrechterhalten werden. Die Parteisekretärin der Schleswigschen Partei, Ruth Candussi, und die Grenzlandpolitiker Rasmus Andresen und Stefan Seidler sind deshalb enttäuscht von dem Beschluss.