Vergangenheit deutsch-dänischer Grenzregion

Spannender Einblick in die Seefahrtgeschichte Schleswigs

Spannender Einblick in die Seefahrtgeschichte Schleswigs

Spannender Einblick in die Seefahrtgeschichte Schleswigs

Apenrade/Aabenraa
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Das Schiff Heinrich Jessen der Apenrader Reederei Jebsen ist 1940 in Hongkong gebaut worden. Nach Requirieren durch die britische Regierung wurde es bei Kriegsende an die dänische Reederei zurückgegeben und blieb im Ostasienverkehr im Einsatz. Bei der Eroberung Nord- und Zentralchinas durch kommunistische Truppen im Jahr 1949 waren das Schiff und seine Besatzung an der Evakuierung europäischer Flüchtlinge aus China in die britische Kronkolonie Hongkong beteiligt. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

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Das Werk in zwei Bänden liefert eine moderne Darstellung des maritimen Teils der deutsch-dänischen Regionalgeschichte. Das Autorenteam lenkt den Blick auf internationale Aspekte in der nicht nur aus nationalen Gesichtspunkten geprägten Vergangenheit im Grenzland.

Bereits vor mehreren Wochen hat der nordschleswigsche Geschichtsverein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ das zweibändige Werk „Sønderjysk søfarts historie“ über die Geschichte der Seefahrt und die Bedeutung der maritimen Wirtschaft im heutigen deutsch-dänischen Grenzland vorgestellt. Wie berichtet, umfasst das von einem Autoren- und Autorinnenteam aus Wissenschaft und Museumsszene geschriebene Werk Darstellungen der Zeitspanne zwischen Steinzeit und Gegenwart. Dabei ist immer Blick die in früheren Zeiten sehr große Bedeutung des Verkehrswegs zu Wasser in der Region einschließlich der Berufstätigkeit im Fern- und Nahverkehr zu See .

Das Team hinter dem Geschichtswerk „Sønderjysk søfarts historie“: Stefanie Robel, Flemming Rieck, Mette Guldberg, Martin Rheinheimer, Karsten Hermansen, Bjørn Poulsen und Mikkel Leth Jespersen sowie der Vorsitzende von „Historisk Samfund for Sønderjylland“, Hans Schultz Hansen (v. l.) bei der Vorstellung auf der Insel Kalö (Kalvø) Foto: Paul Sehstedt

 

Die mit vielen hochwertigen Abbildungen, Tabellen und Grafiken illustrierten Bücher mit fast 1.000 Seiten bieten nicht nur Fachinterressierten oder Hobbyhistorikern interessanten Lesestoff.

Seetüchtige Bewohner

Die Darstellungen gerade auch zur erstaunlichen „Seetüchtigkeit“ der Bewohner zwischen Königsau und Eider bereits vor Jahrtausenden, dieser geografische Bereich ist berücksichtigt, vermitteln gut lesbar Respekt vor den Leistungen der Menschen in Epochen, als zum Boots- und Schiffbau keine elektrischen Werkzeuge und keine wasserdichten synthetischen Werkstoffe zur Verfügung standen.

 

Der Umschlag des zweibändigen Werkes ist ebenso ansprechend gestaltet wie die fast 1.000 Seiten Text. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

Der auch für Leserinnen und Leser südlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze interessante Inhalt des Regionalgeschichtswerks ist sachlich fundiert geschrieben und besonders auch als Lektüre zu empfehlen, weil er sich wohltuend von oft reißerisch konstruierten Geschichtsbildern in vielen „historischen" Romanen abhebt, ohne deshalb weniger „spannend“ zu sein.

Internationales Schleswig

Besonders interessant sind im zweiten Band der Seefahrtsgeschichte die Ausführungen über die Zeiträume 1814 bis 1920 und ab 1920 von Mikkel Leth Jespersen und Karsten Hermansen. Darin gibt es neben spannenden Kapiteln aus der letzten Blütezeit der Segelschifffahrt mit beeindruckenden Bildern stattlicher Fregatten und lebender Häfen auch Eindrücke von einem „internationalen Element“ im Herzogtum Schleswig und der preußischen Provinz nach 1864 mit Verbindungen weit über die in der Landesgeschichte auf die kriegerischen Auseinandersetzungen und nationalen Gegensätze reduzierte heutige Grenzregion.

Soziale Inhalte

Sehr lesenswert sind Kapitel mit Angaben aus Volkszählungen und kleineren und größeren Orten entlang der West- und Ostküste, die belegen, dass die Seefahrt mit Handel, Schiffbau und Karrierechancen einst so bedeutend für das von sprachlicher Vielfalt geprägte Land gewesen ist. Dabei wird auch herausgestellt, dass die friesische Bevölkerung Schleswigs besonders seefahrtaffin gewesen ist.

Werften sind heute weitgehend aus dem Raum Schleswig verschwunden. Vor über 100 Jahren zählte die Eider-Werft in Tönning zu den dort wichtigen Industriebetrieben. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

In den Texten wird erfreulicherweise auf eine unangemessene Verklärung der maritimen Glanzzeiten verzichtet, in denen es neben erfolgreichen Kapitänen vor allem jede Menge Seeleute auf den unteren Stufen der Karriereleitern gab.

 

Mit 14 Jahren Schiffsjunge

Bereits mit 14 Jahren begann für viele Seeleute das harte Leben in der heimischen Küstenseefahrt, aber auch auf Schiffen in Übersee. Und es wird nicht verheimlicht, wie lebensgefährlich der Seefahrerberuf gewesen ist. Thema ist auch die Ausbildung der Seeleute an Navigationsschulen, die sich ohne Satellitennavigation schließlich in Gewässern vor China ebenso wie quer über den Atlantik orientieren mussten. Nachzulesen ist im Seefahrts-Geschichtsbuch, wie die moderne Dampfschifffahrt ab Mitte des 19. Jahrhunderts dem so bedeutenden Segelschiffbau vor allem in Apenrade eine Ende bereitete.

Aufschwung durch Dampfschiffe

Es wird aber auch berichtet, wie zugleich neue Dampferlinien zwischen den Ostküstenstädten, aber auch beispielsweise von Hoyer nach Sylt entstanden.

Reger Dampferverkehr herrschte kurz nach der Jahrhundertwende 1900 am Außenhafen Hoyerschleuse, von wo Reisende nach Munkmarsch auf Sylt befördert wurden. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Auch Reedereien wie die des Apenrader Senators und Abgeordneten im deutschen Reichstag in Berlin, Michael Jebsen, blühten auf.

Leistungen des Reeders Jebsen

 Ausführlich wird Michael Jebsen (1835-1899) porträtiert, der als Schiffjunge 1851 erstmals in die Ferne segelte und als Kapitän erstmals mit einem peruanischen Schiff die amerikanische Westküste befuhr und anschließend auf einem Hamburger Segelschiff im Fernen Osten unterwegs war. Interessant ist nachzulesen, wie der Apenrader, dessen Frau Klara mehrere Kinder während der Reisen mit ihrem Mann in Übersee zur Welt brachte, zum erfolgreichen Reeder mit engen Verbindungen zur aufblühenden Industrie Deutschlands aufstieg.

Der Dampfer „Vorwärts“ war ab 1881 bis 1895 für die Reederei Jebsen in Ostasien im Einsatz. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Anhand des Engagements schleswigscher Reedereien und Karrieremöglichkeiten sowie „Abenteuerreisen" vieler einheimischer Seeleute wird in den entsprechenden Kapiteln die Bedeutung auch der deutschen Kolonialzeit für den Bereich Schleswig sichtbar. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der Politiker Michael Jebsen für die Expansion der deutschen Kriegsmarine zur Sicherung der Handelsschifffahrt und des neuen Kolonialreichs einsetzte. Die Blüte Flensburgs aufgrund der Beteiligung an Sklaventransport und -ausbeutung in Dänisch Westindien wird im ersten Band der Seefahrtgeschichte behandelt, der auch über weitere dunkle Kapitel der Vergangenheit Auskunft gibt.                 

 

Das Foto zeigt eine Aufnahme des Nordschleswigers Peter Gottfried Andresen, der mit dem deutschen Panzerkreuzer „SMS Scharnhorst" 1912/1914 in Rabaul Eingeborene beim Kriegstanz erlebt hat. Der Ort war seit 1909 Hauptstadt der deutschen Kolonie Neuguinea und zugleich ein Marinestützpunkt. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

Die große Zahl historischer Fotos aus allen Teilen Schleswigs wird der Leserschaft gefallen, zeigen sie doch nicht nur, wie sich Ortsansichten verändert haben, sondern dokumentieren auch, welch intensiver Verkehr zu Wasser selbst in kleinen Orten geherrscht hat. 

 

Das Foto aus dem Jahre 1900 illustriert in dem Seefahrtsgeschichtswerk die Kapitel über die große Bedeutung, die Schifffahrt und maritime Wirtschaft im 19. und auch zu Beginn des 20. Jahrhundert in Nordschleswig und dem übrigen Schleswig hatten. Das Foto zeigt den Betrieb der Hafenbahn in Apenrade. Der dortige Hafen war mit Gleisen der vollspurigen Bahn Apenrade-Rothenkrug ebenso wie mit dem schmalspurigen Schienennetz der Apenrader Kreisbahnen verknüpft. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

Relativ kurz wird der Erste Weltkrieg in der Seefahrtsgeschichte abgehandelt. Erwähnt wird, dass zahlreiche Seeleute aus der Region nicht nur als Kriegsteilnehmer auf Kriegsschiffen, beispielsweise in der Schlacht von Skagerrak 1916, ihr Leben verloren, sondern oft auch nach Gefangennahme durch die Alliierten jahrelang in Unfreiheit verbrachten. Und zur Geschichte gehörte auch der Umstand, dass Gefangene, die sich bei Kriegsende als dänisch gesinnte Schleswiger zu erkennen gaben, früher in die Heimat zurückkehren konnten als diejenigen, die sich zu Deutschland bekannten.

Kriegsheld in Sonderburg

Nicht unerwähnt bleibt der einstige Ehrenbürger Sonderburgs, Max Valentiner, der als U-Boot-Kommandant wegen der Versenkung besonders vieler feindlicher Schiffe zum Helden erhoben wurde. Auch die Familie Jebsen wurde vom Ersten Weltkrieg hart getroffen, denn es gingen viele Schiffe der Reederei verloren, zum Beispiel wurde die „Michael Jebsen" 1914 in der Hafeneinfahrt der deutschen Kolonie Tsingtau in China versenkt. Reedereichef Jacob Jebsen, der seit 1899 an der Spitze des Unternehmens stand, wurde 1916 in Hongkong von den Briten festgenommen und bis 1919 in Australien interniert.

1920 und die Zeit danach

Sehr interessant sind die Kapitel über den Übergang Nordschleswigs ins dänische Königreich nach den Volksabstimmungen 1920, die eine Teilung des zuvor zusammengehörigen Wirtschaftsraums und eine Verknüpfung Südschleswigs mit der auf Naziherrschaft und den Zweiten Weltkrieg zusteuernden deutschen Geschichte ergab, während Nordschleswig ebenfalls als Teil des deutschen Besatzungsgebietes den Zweiten Krieg erlebte. So findet man viel spannende und auch erschütternde Geschichtsdetails mit Informationen über Versenkung von Schiffen durch Beschuss, Minenexplosionen und wiederum Tod, Gefangenschaft und Internierung von Seeleuten.

Rettungseinsätze von Jebsen-Schiffen

Wiederum wird die Reederei Jebsen, aus deren Archiv wertvolle Informationen stammen, als Akteurin in der Geschichte vorgestellt. Ihre Schiffe wurden beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erneut teilweise beschlagnahmt, nach dem Krieg als dänische Schiffe aber von den Briten zurückgegeben. In der Nachkriegszeit, als nach dem chinesischen Bürgerkrieg eine kommunistische Herrschaft in dem heute zur Weltmacht aufgestiegenen Land errichtet wurde, waren Jebsen-Schiffe, wie bereits bei Kriegsausbruch, an Rettungsaktionen beteiligt, denen viele Soldaten wie Zivilisten ihr Leben verdankten.     

 

Dieser Kopf ist in den 1990er Jahren bei Grabungen im Bereich des Fundortes des berühmten Nydambootes entdeckt worden. Das Foto stammt aus dem Themenbereich vor- und frühgeschichtliche Schifffahrtsgeschichte im Buch. Foto: Historisk Samfund for Sønderjlland

Die jüngste Seefahrtsgeschichte enthält ebenfalls viele interessante Kapitel, an die sich viele Leserinnen und Leser gerne erinnern dürften. So werden Butter- und „Sprit“-Dampfer ebenso wie die einst von Ballumschleuse nach Röm eingesetzte Fähre oder die Lindinger-Fähren in Bildern gezeigt, die zur Geschichte des Tourismus zählen. Es werden auch vergessene Themen wie die Muschelfischerei bei Hoyer und die heute im Bereich Schleswig so populäre Freizeit-Schifffahrt nicht ausgelassen.
 

Das Nydam-Boot aus dem frühen Mittelalter wurde in den 1860er Jahren im Nydamer Moor entdeckt. Seine Geschichte ist Thema im Seefahrtsgeschichtsbuch. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Nicht überspringen sollte man bei der Lektüre die Kapitel über die älteste Geschichte zu Wasser, die in dem Buch mit vielen neuen archäologischen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen von der Steinzeit über die Wikingerzeit bis ins Mittelalter vertreten ist. 

„Sønderjysk søfarts historie“, Band 1 und 2,  herausgegeben von „Historisk Samfund for Sønderjylland“ im eigenen Verlag. Preis: 298 Kronen für Mitglieder des Vereins; 498 Kronen
 im Buchhandel und in Museumsshops. ISBN: 9-788774-061458

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