Leitartikel

„Komisches Grenzland“

Komisches Grenzland

Komisches Grenzland

Nordschleswig/Schleswig-Holstein
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Sowohl in Nordschleswig als auch in Schleswig-Holstein sind die Inzidenzen hoch – doch die Maßnahmen sind nördlich und südlich unterschiedlich. Typisch Grenzland, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Es ist schon komisch, unser deutsch-dänisches Grenzland: Das Coronavirus ist nördlich und südlich der Grenze dasselbe, doch die Maßnahmen und der Umgang mit der Pandemie sind unterschiedlich: So erleben die Schleswig-Holsteiner in diesen Tagen, dass neue Maßnahmen eingeführt werden, während es nördlich der Grenze Lockerungen gibt.

Grundlegend ist die Situation in Nordschleswig und Schleswig-Holstein dieselbe, auch wenn die Corona-Wellen nicht immer im Takt über die Länder zwischen den Meeren spülen. Mal hat Dänemark bei den Corona-Inzidenzen die Nase vorn, mal ist es Schleswig-Holstein.

Die Bevölkerung im deutsch-dänischen Grenzland kann ein Lied davon singen, dass eine weltweite Pandemie in einer Grenzregion schwieriger zu handhaben ist als anderswo: Kontrollen, Grenzschließungen und dann noch wissen, welche Restriktionen wo gelten, wenn man in der Region unterwegs ist.

Reicht in Dänemark beim Einkaufen die Gesichtsmaske (egal woraus sie besteht), gelten in Schleswig-Holstein der medizinische Mundschutz und in den Geschäften Maßnahmen wie 2G, 3G oder 2G+. Kirchgänger nördlich der Grenze dürfen ab dem Wochenende wieder volle Gotteshäuser besuchen – und ohne Mundschutz singen. In Schleswig-Holstein nur mit.

Südlich der Grenze versammeln sich Menschen zu Protesten oder „Spaziergängen“ – in Dänemark suchten viele während der ersten Corona-Welle die Gemeinschaft beim Singen, und das bei bester Sendezeit im Fernsehen.

In Dänemark gibt es kostenlose Tests (etwa ein Zehntel der Bevölkerung kann jeden Tag getestet werden), es gibt einen einfachen Zugang zum Impfen (Impfquote gerade um die 80 Prozent), und das Ganze läuft (natürlich) unkompliziert und digital. Flensburger standen stundenweise Schlange, um dänische Corona-Regeln einzuhalten.

Fakt ist, die Bevölkerung in Dänemark sieht die Lage ohne Alarmismus und eher unaufgeregt an. Wobei wir wiederum bei der Vertrauensgesellschaft Dänemark angelangt wären: Die Gesundheitsbehörden kommunizieren oft, offen und transparent. Sagen, wann sich die Bevölkerung anstrengen muss, aber auch wann und unter welchen Umständen gelockert werden kann.

Der Chef der dänischen Gesundheitsbehörde, Sundhedsstyrelsen, Søren Brostrøm, ist die Personifizierung dieser Offenheit und hat auf Facebook sogar eine eigene Fanseite bekommen.

Wenn die Behörden die Situation im Griff haben oder zu haben scheinen, dann macht die dänische Bevölkerung mit – sie macht sich inzwischen sogar weniger Sorgen als bisher, belegt eine ganz neue Studie.

Doch auch in Dänemark gibt es in der Bevölkerung Unzufriedenheit, vor allem mit der sozialdemokratischen Regierung, die sich durch ihre eigene Machtvollkommenheit und Symbolpolitik selbst die größten Probleme bereitet hat. Doch auch hier gibt es Ausnahmen, und ausgerechnet Gesundheitsminister Magnus Heunicke bekommt seit zwei Jahren ständig die besten Noten aus der Bevölkerung.   

Wer im Grenzland wohnt, erlebt diese Unterschiede jeden Tag. Aber das war auch vor Corona so, denn genau das macht das Grenzland aus: Wir haben unsere Gemeinsamkeiten, aber es gibt eben auch wesentliche Unterschiede und Kulturen.

Damit leben wir im Grenzland – und damit leben wir gut, denn wir verstehen auch die Zusammenhänge und Denkweisen des Nachbarn und können diese akzeptieren.

Was letzten Endes der richtige Weg aus der Pandemie ist, darüber wird die Geschichte urteilen müssen. Jetzt müssen wir erst einmal durch. Nördlich und südlich der Grenze. Mit mehr oder weniger Maßnahmen.

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