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Thiemo Koch will Grenzen überwinden und Hilfe anbieten

Thiemo Koch will Grenzen überwinden und Hilfe anbieten

Thiemo Koch will Grenzen überwinden und Hilfe anbieten

Apenrade/Aabenraa
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Thiemo Koch
Thiemo Koch hat in Apenrade sein neues Zuhause gefunden. Foto: Gerrit Hencke

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Thiemo Koch stammt aus Lübeck, hat Wurzeln in der dänischen Minderheit und ist im vergangenen Jahr nach Apenrade gezogen. Jetzt will er Zugezogenen den Start vereinfachen und hat im April einen Stammtisch ins Leben gerufen. Über seine Erfahrungen hat er mit dem „Nordschleswiger“ gesprochen.

Thiemo Koch ist im Grenzland kein Unbekannter, dabei ist er erst im vergangenen Jahr nach Apenrade gezogen. Der Politiker vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) engagiert sich schon länger auf beiden Seiten der Grenze – in der Vergangenheit vor allem zum Thema Grenzkontrollen und bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf politischer Ebene, durch die sich der frühere Lübecker einen Namen gemacht hat. 

Im Frühjahr rief er in seiner neuen Heimat Apenrade einen Stammtisch für Zuzüglerinnen und Zuzügler ins Leben, der nach einem Auftakterfolg im Spätsommer wiederholt werden soll. 

Wurzeln in der dänischen Minderheit

Erst relativ spät erfuhr er, dass er dänische Vorfahren hat. Seine Mutter wurde in Altona geboren, wo die Familie ihres Vaters herstammt. Die Vorfahren lebten bereits dort, als Altona noch dänisch war. Altona war bis 1864 zeitweise die zweitgrößte Stadt im dänischen Gesamtstaat. Da sein Großvater ein verurteilter Naziverbrecher war, wurde alles in seiner Erziehung durch seine Mutter, was mit dem Thema Deutsch sein und Nationalismus anbelangte, abgelehnt. Offene Kontakte zu Angehörigen der Deutschen Minderheit waren in seiner Kindheit und Jugend ein nogo. In Holstein und Hamburg hätten viele Menschen dänische Wurzeln, sagt Koch. Weil es dort jedoch an Institutionen fehle, gehe die dänische Sprache zunehmend verloren. Und so musste er erst mühsam Dänisch lernen – auch weil er unter Legasthenie leidet.

Koch studierte Sozialpädagogik, Innenarchitektur und lernte zusätzlich mehr über das Thema Vermittlung. Außerdem betreibt er einen Handel mit Gebrauchtmöbeln – von dänischen Designklassikern bis zu Antiquitäten, pendelte jahrelang über die deutsch-dänische Grenze. 

Engagement gegen Grenzkontrollen

Durch familiäre Umstände kam er zum SSW und engagierte sich in der Kommunalpolitik in Holstein und später vermehrt auch im Grenzland – vor allem während der Grenzschließung und als der Wildschweinzaun gebaut wurde. „Ich bin Europäer, habe die Vorteile von Schengen kennengelernt und bin selbst an der DDR-Grenze aufgewachsen. Ich sage: Schafft diese Grenzkontrollen ab, es gibt bessere Lösungen.“ Dennoch, sagt Koch, hätten der SSW und die Schleswigsche Partei (SP) gemeinsam viel erreicht. „Die Kontrollen sind weniger geworden, ich sehe aber keine großen Chancen, da noch mehr herauszuholen.“

Er selbst möchte Friedenspolitik betreiben und hat daher auch eine Arbeitsgruppe zwischen SSW und SP mit initiiert, die in der Vergangenheit gemeinsame Aktionen im Grenzland plante und durchführte. 

Thiemo Koch engagierte sich während der Corona-Pandemie gegen Grenzschließungen. Foto: Karin Riggelsen

Idee für einen Stammtisch

Der Wahl-Apenrader, der die Stadt als seine Heimat bezeichnet, wollte aber auch hier in Nordschleswig nicht tatenlos bleiben. „In Lübeck gibt es die Stadtmütter, ein Projekt, das Frauen mit und ohne Migrationshintergrund zu sozialen und gesellschaftlichen Themen fortbildet. Dort gab es die Bitte, Kontakt nach Flensburg und ins Grenzland herzustellen.“ Weil er sich auch in sozialer Arbeit engagiert, kam er der Bitte nach und schuf Kontakt nach Sonderburg zu den sogenannten Stadtteilmüttern (bydelsmødre). „Es ist mir wichtig, etwas Soziales zu machen.“ 

Und so reifte auch die Idee zum Stammtisch. „Die Kommune hat das Botschafternetzwerk, um Zuzüglerinnen und Zuzügler in den Alltag zu bringen. Das ist ein sympathisches Projekt, Apenrade ist eine große Stadt. Bis vor Kurzem gab es hier aber kein konkretes Angebot an deutsche Zuzügler, wie z. B. einen Stammtisch oder Sprachcafé in Hadersleben.“ Der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) habe dann Räumlichkeiten im Haus Nordschleswig zur Verfügung gestellt. 

Erstes Treffen ein voller Erfolg

Das erste Treffen sei toll gelaufen, sagt Koch – wenn auch anders als erwartet. „Wir hatten um Anmeldung gebeten und sieben Mails erhalten. Da stellte sich dann die Frage, was wir machen.“ Ruth Candussi, Parteisekretärin der SP, wurde gebeten, einen Vortrag zu halten – über Apenrade, Sport und Kultur. „Am Ende sind über 30 Leute gekommen.“ Nach dem Vortrag ging es dann viel um das „Reinkommen in die Gesellschaft“, die Sprache und Bürokratie, so Koch. Die grundlegenden Fragen zum Thema Auswanderung,z. B. Arbeit, Auto, Kinderbetreuung, Schule: „Das sind eigentlich Fragen, die vor dem Auswandern geklärt werden sollten“, sagt der gebürtige Lübecker.

Auswandern wird idealisiert

So sei es auch deutsche Kultur, hier unbedingt sofort ein Haus kaufen zu müssen. „Dabei sollte man die soziale Absicherung nicht vergessen“, mahnt Koch. Viele, die er kennengelernt habe, idealisieren die Auswanderung. „Sie kommen, weil die Landschaft so schön und die Menschen so nett sind, und weil sie Dänemark von Urlauben her kennen.“ 

Es sollten einem vor einer Auswanderung genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und ein Finanzplan aufgestellt werden für die Anfangszeit nach der Einwanderung. Viele kämen mit einer gewissen Euphorie auf ein tolles Haus und tolle Arbeitgeber. Der Alltag sehe dann oft anders aus. „Auswandern kostet Geld“, sagt er. Weil man aber auch schnell gefeuert werden könne und viele nicht sozial abgesichert seien, würde ohne Job dann schnell das Geld ausgehen. Da sei dann die harte Ausländerpolitik zu spüren. 

Die Kommunen würden im Grunde um eine bestimmte Zielgruppe buhlen, sagt Koch. „Das sind junge, gut ausgebildete Familien oder Paare“. Aber es kämen eben auch andere. „Wenn Rentner mit 1.000 Euro Rente aus Deutschland hier ankommen, dann stelle ich mir die Frage: Reicht das?“

Integration gelingt in Vereinen

Neben der finanziellen Absicherung sei Integration ein entscheidender Faktor. Dazu gehöre nicht nur die Sprache. „Das Vereinsleben ist sehr wichtig“, sagt Koch. Wer hier aufs Dorf zieht, werde nicht so schnell Anschluss finden und bleibe eher isoliert. „Die Dänen sind da sehr konservativ und die Gesellschaft trotz aller Freundlichkeit eher geschlossen.“ Daher sei sein Tipp, die Integration über Vereine anzugehen.

Wenn jemand Fragen hat oder Ansprechpartner sucht, dann kann die Minderheit punktuell Integrationsarbeit leisten.

Thiemo Koch

Koch macht auch klar, dass die deutsche Minderheit nicht verantwortlich für die Integration von Zugezogenen ist. „Das ist Aufgabe des Staates oder der Kommune und dafür muss Geld in die Hand genommen werden.“ So seien die Schulen der Minderheit keine Sprachschulen, sondern eine „offene Tür, ein offenes Angebot“. Niemand sollte dabei vergessen, dass es in den Einrichtungen darum geht, das Minderheitenleben zu leben und zu bewahren. „Wenn jemand Fragen hat oder Ansprechpartner sucht, dann kann die Minderheit punktuell Integrationsarbeit leisten.“ 

Koch zieht dabei auch immer wieder Vergleiche zur dänischen Minderheit, die er als weniger offen als die deutsche beschreibt, wenn es um die Frage geht, wer Minderheit ist. Sein Standpunkt: „Wenn du dich so fühlst, dann bist du es.“

Wer kommt nach Dänemark?

Koch erlebe es so, dass die absolute Minderheit der Eingewanderten aufgrund der Corona-Maßnahmen oder alternativer Lebenskonzepte nach Nordschleswig gekommen ist. „Diejenigen zeigen sich nicht so oder isolieren sich und eigentlich wollen wir mit denen auch nichts zu tun haben. Ich blocke das immer ab – das Thema impfen oder rechtes Gedankengut behindern mich bei der Arbeit.“

Die Minderheiten sind es, die diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit erst geschaffen haben.

Thiemo Koch

Mit Sicherheit gebe es Zugewanderte, die sich irgendwo im Grenzland isolieren. „Integration ist jedoch Werte- und Kulturvermittlung“, sagt Koch. Wie fehlende Wertevermittlung aussehe, sehe man etwa am Wolfsgruß bei der Fußball-Europameisterschaft oder am zunehmenden Antisemitismus. Auch in Dänemark gebe es Spielregeln, aber das Land sei „unheimlich frei“. Wichtig sei, sich an geltendes Recht zu halten. „Bei einem Verstoß sind die Leute sehr nachtragend, weil es gegen den Gemeinschaftsgedanken spricht“, sagt Koch. 

Ebenfalls rät er davon ab, zu versuchen, mit Deutsch durchkommen zu wollen. Im Hinblick auf zweisprachige Ortsschilder sagt Koch: „Es gibt immer wieder Stimmen, die sagen, das Deutsche dürfe nicht überhandnehmen.“ Die Ablehnung beruhe auf Angst und Ressentiments.

Europäischer Gedanke im Grenzland

Viele, die heute nach Dänemark kommen, würden aber auch einen europäischen Gedanken in sich tragen und keine Grenze im Kopf haben. „Sie wollen vielleicht den dänischen Alltag und die Kultur, arbeiten aber zum Beispiel noch in Deutschland. Warum sollte man nicht beide Seite nutzen?“ Dennoch gibt es nach wie vor Hürden im Grenzland. Koch nennt etwa die Anerkennung von Berufsabschlüssen, betont aber: „Die Minderheiten sind es, die diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit erst geschaffen haben.“ Dabei erlebe er die SP und die deutsche Minderheit als sehr „europaoffen“. 

Nächster Stammtisch Ende August

Den nächsten Stammtisch sollte es eigentlich im Juli geben, doch der Termin wurde auf Ende August verschoben, weil der Referent abgesagt hat. „Wir wollen künftig immer ein Thema anschieben, Input geben und uns danach hyggen und Fragen aufnehmen“, sagt Koch. So soll es beim nächsten Mal um das Gesundheitssystem gehen.

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