Erneuerbare Energien

Wie die Nordsee zum gigantischen Windpark ausgebaut wird

Wie die Nordsee zum gigantischen Windpark ausgebaut wird

Wie die Nordsee zum gigantischen Windpark ausgebaut wird

Gordon Päschel/shz.de
Kiel
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Windpark in der Nordsee Foto: dpa/Daniel Reinhardt

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Die Bundesregierung verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Bis zum Jahr 2045 soll die Leistung der Offshore-Windenergie verzehnfacht werden. Aber ist das realistisch?

Für die nächsten Jahrzehnte mangelt es in Deutschland nicht an großen Herausforderungen und Kehrtwenden: Energie, Bildung und Bundeswehr, Verkehr, Digitalisierung und Gesundheit. Jedes dieser Themen steht für eine enorme Kraftanstrengung. An der Küste sticht eine der vielen Großbaustellen buchstäblich heraus: Es ist das erklärte Ziel, die derzeit knapp 8 Gigawatt (GW) Leistung durch Offshore-Windparks annähernd zu verzehnfachen. Im Klartext bedeutet es nicht weniger, als dass große Teile der Deutschen Bucht für die Kraftwerke und deren Infrastruktur benötigt werden. Ab dem Jahr 2045 sollen allein an der Nordsee 57 der für Deutschland insgesamt angepeilten 70 GW gestellt werden. Dagegen ist das, was in den vergangenen Jahren passiert ist, salopp gesprochen ein Klacks.

Bestehende und geplante Windkraftwerke in der Nordsee. Foto: Ostfriesenzeitung

2010 war mit Alpha Ventus der erste Offshore-Windpark ans Netz gegangen. Es sind zwölf Windräder, die sich ca. 45 Kilometer nördlich von Borkum drehen – ihre Inbetriebnahme wurde als der Beginn eines neuen Zeitalters gefeiert. Zwar schreitet die Energiewende weit draußen auf See seitdem voran. Doch damit die ehrgeizigen Ziele der neuen Bundesregierung tatsächlich erreicht werden können, soll und muss jetzt der Turbo gezündet werden. Ostfriesland fällt dabei eine zentrale Rolle zu.

Der „Löwenanteil“ geht nach Ostfriesland

Denn die enormen Strommengen werden zum großen Teil hier an Land gebracht. Schon jetzt durchziehen etliche Kabel die Region. Im gleichen Maß wie sich die Anzahl der Windparks nördlich und vor allem nordwestlich der Ostfriesischen Inseln erhöht, wächst der Bedarf zusätzlicher Trassen. Zwar wird die Kapazität einzelner Leitungen nach oben geschraubt. Aber die schiere Masse der Energie erfordert dennoch neue Verbindungen.

Ein Hubschiff verlässt beladen mit Bauteilen für einen Offshore-Windpark den Hafen Mukran auf Rügen. Für den anstehenden Ausbau der Windenergie auf See werden künftig erheblich mehr Schiffe dieser Art benötigt.

Hubschiff mit Bauteilen für Windkraftanlagen Foto: dpa/Stefan Sauer/shz.de

„Eine Leitung ist für 2 GW ausgelegt“, erklärt dazu Julian Engelbert vom Übertragungsnetzbetreiber Amprion. Das heißt: Für 40 neue GW sind 20 neue Leitungen notwendig. In Ostfriesland, sagt er, werde „der Löwenanteil“ davon verlegt. Denn die Niederlande und Dänemark wollen selbst ihre Offshore-Kapazität massiv ausweiten. Auch wenn der Weg für den Stromtransport von vielen zukünftigen Windparks über diese beiden Länder kürzer wäre. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Nachbarstaaten zusätzlich Leitungen aus deutschen Gewässern aufnehmen.

Netzbetreiber zweifeln an den Ausbauzielen

Der Leiter für die Planungs- und Genehmigungsprozesse rund um das Thema Offshore bei Amprion ist angesichts des politisch ausgegebenen Etappenziels – bis zum Jahr 2030 soll die Leistung von jetzt unter 8 auf dann 30 GW ausgebaut werden – skeptisch. Nicht, weil er an der Notwendigkeit zweifeln würde. Er hält die Aufgabe „unter den gegebenen Rahmenbedingungen“ schlicht für „unrealistisch“, wie er sagt. Vor allem kurzfristig könnte die geforderte Beschleunigung an bislang schleppenden Genehmigungsverfahren scheitern, fürchtet Engelbert. „Es reicht nicht, Ziele festzulegen, ohne die Rahmenbedingungen zu ändern“, kritisiert er.

Das oft zähe Zusammenspiel innerhalb und zwischen den beteiligten Behörden ist das eine. Die andere große Herausforderung für Übertragungsnetzbetreiber wie Amprion, Tennet und Co. sind die Grenzen des Marktes. Es braucht jetzt sehr schnell sehr viele Schiffe, Windräder, Plattformen. Und: Benötigt werden nicht nur Zulieferer, die diese Komponenten herstellen, sondern auch Fachkräfte, die sie auf See installieren und bedienen.

Konkurrenten kommen aus Übersee

Verschärft wird die Verfügbarkeit, weil Deutschland bei Weitem nicht die einzige Nation ist, die sich den Wind auf See zunutze machen will. „Wir werden weltweit einen massiven Ausbau sehen“, sagt Karina Würtz, Geschäftsführung der Stiftung Offshore-Windenergie: China, USA, Indonesien – die Konkurrenz ist auch außerhalb Europas groß. Und sie wird größer.

Die rasant steigende Nachfrage sieht Würtz deswegen als Chance für die Industrie und das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Stand jetzt, sagt sie, gebe es mit Dragados (Spanien) und Rostock-Warnemünde lediglich zwei Werften in Europa, die Konverterplattformen der Größenordnung herstellen können, wie sie ab Ende der 2020er-Jahre vorgeschrieben sind. Werftstandorte dürften „in zwei, drei Jahren wieder ein wertvolles Anlageobjekt sein“, ist sie überzeugt.

Der neidvolle Blick nach Eemshaven

Von einem neuen Boom in der Deutschen Bucht könnte auch Ostfriesland stärker als bisher profitieren. Schon jetzt werden für Bau, Betrieb und Wartung der Windparks Basishäfen benötigt. Von hier operieren Dienstleister, die Menschen und Material per Schiff bewegen. Am Flugplatz Emden haben sich durch die Offshore-Aktivitäten in den vergangenen Jahren vier Helikopterfirmen angesiedelt.

Das deutlich größere Stück vom Kuchen hat man sich allerdings auf der anderen Seite der Ems gesichert. „Emden hat gegenüber Eemshaven eindeutig den Kürzeren gezogen“, stellt Würtz fest. Man müsse aufpassen, dass man „nicht das ganze Geschäft den Niederlanden und Dänemark“ überlasse. Die Geschäftsführerin denkt dabei unter anderem an den Rückbau und die Wiederaufbereitung von ausgedienten Windpark-Komponenten. Sie sieht darin einen lukrativen Markt für die Zukunft. „Das sind riesige Mengen Stahl und Verbundstoffe“, sagt sie.

Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Emden rechnen sie sich ebenfalls Chancen auf neue Arbeitsplätze für Ostfriesland aus. Adenike Bettinger ist Referentin für Industrie, Energie und Standortentwicklung bei der IHK. „Man sieht auf die andere Seite der Ems und fragt sich schon: Warum steht das nicht bei uns“, sagt sie mit Blick auf die florierende Hafenwirtschaft in Eemshaven. Gleichzeitig dämpft sie überzogene Erwartungen für Werften oder andere großindustrielle Zuliefererbetriebe in der Region. Im internationalen Markt sei es „schwierig, wettbewerbsfähige Preise anbieten zu können“, so Bettinger.

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