Leitartikel

„Der SPD-Abgeordnete Stegner und der echte Norden“

Der SPD-Abgeordnete Stegner und der echte Norden

Der SPD-Abgeordnete Stegner und der echte Norden

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Der SPD-Politiker Ralf Stegner war in Kopenhagen, um die Ukraine-Politik der Ampel-Regierung zu erläutern. Manche sahen danach sogar Rot, kommentiert Siegfried Matlok und stellt fest: Die nordischen Länder erwarten von Deutschland mehr Führung – auch militärisch gegen Russland.

Die nordischen Fernsehanstalten sendeten vor einigen Tagen gemeinsam eine Diskussion über Status und Zukunft der Ukraine vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges. Die hochrangig teilnehmenden Politikerinnen und Politiker aus Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen waren sich völlig einig: in ihrer unbeugsamen Willens- und Kampfkraft für die – für sie stellvertretende – Freiheit der Ukraine. Nun auch als gemeinsame Verbündete, als vereinigter Norden in der Nato sind sie nicht nur bereit, der Ukraine so lange wie nötig ökonomische Unterstützung zu gewähren, sondern ihre militärische Hilfe jetzt auch mit der Zusage zu erweitern, dass die Ukraine künftig auch Ziele auf russischem Boden angreifen darf. Mit dem Hinweis auf das durch das Völkerrecht unumstrittene Recht der Selbstverteidigung. 

Just in diesem Punkt wurden jedoch Zweifel an gewisse Bündnispartner laut. Es wurde darauf hingewiesen, dass es „einige Länder“ gibt, die diesen nächsten, nicht ungefährlichen Schritt offenbar nicht zu gehen bereit sind.  Deutschland und der Bundeskanzler wurden dabei namentlich „angeklagt“ – u.a. mit dem Verweis auf den von Olaf Scholz kürzlich angekündigten Versuch einer neuen Friedensinitiative, dann aber auch mit Russland am Verhandlungstisch. 

Deutschland und Dänemark haben seit dem russischen Angriff bilateral und multilateral (Nato/Rammstein) eng, ja immer enger zusammengearbeitet. Anfangs waren es nur die in Flensburg schon „verschrotteten“ Leopard-1-Panzer, inzwischen hat Mette Frederiksen im Dörfchen Unterlüss in der Lüneburger Heide bei Rheinmetall zusammen mit Bundeskanzler Scholz (der Dänemarks Verteidigungsbeitrag für die Ukraine sogar als „Blaupause“ lobte!) eine neue Munitionsfabrik bei Rheinmetall eröffnet. Außerdem haben sich erst im Juni dieses Jahres die beiden Verteidigungsminister darauf verständigt, den Schutz in der strategisch wichtigen Ostseeregion künftig bilateral gemeinsam zu schultern und vor allem zu verstärken. 

Dennoch gibt es im sicherheitspolitischen Denken einen historisch unterschiedlichen Ansatz zwischen unseren Ländern: Aus „Nie wieder Krieg“ („Aldrig mere en 9. April“ hieß es ja nach dem 5. Mai 1945) haben die Dänen eine andere Schlussfolgerung gezogen als die Deutschen, die auch nach der Zeitenwende – sagen wir es ruhig mal deutlich – militärisch weniger aktivistische Töne anschlagen und die deshalb auch in Dänemark oft als zögerlich hingestellt werden, weil sie die auch von vielen Dänen erwünschte militärische Führung bisher ablehnen.  

In einer Kopenhagener Zeitung lautete eine Überschrift kürzlich: „Deutschland bringt Europa in Gefahr“, und Außenminister Lars Løkke äußerte – schlecht beraten – sogar öffentlich Bedenken gegenüber Berlin nach einer deutschen Pressemeldung in der „FAZ“, wonach die Bundesregierung angesichts der schwierigen Haushaltslage die Etat-Titel für die Ukraine 2025 zu kürzen beabsichtige.   

Der in Deutschland bekannte SPD-Politiker Ralf Stegner, der dem linken Flügel seiner Partei angehört und u.a. Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist, konnte als Gast der Dänisch-Außenpolitischen Gesellschaft dieses Missverständnis jedoch vor Ort ausräumen. Der außenpolitische Sprecher der dänischen Sozialdemokraten, Jesper Petersen, fragte den SPD-Politiker bei deiner Diskussion in der Kopenhagener Universität direkt nach einer möglichen – und aus dänischer Sicht gegebenenfalls sehr bedauerlichen– deutschen Haltungsänderung, und bekam von Stegner prompt und deutlich zu wissen, dass die Bundesregierung auch weiterhin haushaltsmäßig voll zu ihren Ukraine-Garantien stehen wird; so oder so! 

Stegner ist ja dafür bekannt, dass er bei Markus Lanz oder bei „Hart oder Fair“ klare Kante zeigt; trotz seines Genesis-Lieblingshits „Land of Confusion“ hat er sich und seine Positionen auch in Kopenhagen – ehrlich und offen – nicht verleugnet. Der außenpolitische Experte der Kopenhagener Tageszeitung „Politiken“, Michael Jarlner, könnte sich aber möglicherweise beim Interview mit Ralf Stegner im „Hotel Admiral“ etwas beim Kaffee verschluckt haben, als Stegner ihm die Schlagzeile für seine Überschrift lieferte: „Die Ukraine wird Putin nicht besiegen.“ Redakteur Jarlner schreibt dazu in „Politiken“: „Ein Satz, der wohl vielen in Dänemark und den Unterstützerinnen und Unterstützern der Ukraine die Haare zu Berge stehen lässt.“ 

Zur Wahrheit gehört jedoch auch der sprachliche Doppelbeschluss Stegners: „Das Einzige, was wir machen können, ist eine Niederlage der Ukraine zu verhindern.“ Zweifelsohne ein nicht zu leugnender Dissens: Während auch bei der nordischen Fernsehdebatte stets als Kriegsziel an einem Sieg der Ukraine festgehalten wurde, gibt es in Deutschland nicht wenige, die Stegners Worte als eine realistische Standortbeschreibung verstehen, wonach zwar militärisch alles für die Ukraine getan werden muss, doch muss zugleich der Gesprächsfaden Richtung Frieden neu geknüpft werden, weil es eben keinen Frieden ohne Russland geben wird. 

„Stegner ist ein Feigling“, heißt es dazu in einem Leserbrief in „Berlingske“, aber dabei werden leider auch in Dänemark die Initiativen von Bundeskanzler Scholz (in China zur Einsatz-Frage russischer Atomwaffen) ebenso übersehen wie die eindeutige Haltung der deutschen Politik (minus AfD, Linke und BSW), dass es nur eine Friedenslösung geben kann, die letztlich vom ukrainischen Volk akzeptiert wird.  Um auf diesem Wege auch Fortschritte zu erreichen , ist Berlin offenbar bereit, einem früheren EU-Beitritt der Ukraine zuzustimmen; übrigens eine Position, die auch die neue dänische Europaministerin Marie Bjerre als höchste Priorität für den dänischen EU-Vorsitz im 2. Halbjahr 2025 anvisiert. 

Stegner hat sich „hart aber fair“ der dänischen Öffentlichkeit gestellt und dabei auch die Haltung von Bundeskanzler Scholz in Sachen Taurus-Raketen bzw. Angriffsziele auf russischem Territorium erläutert, wobei auch die wahlstrategische Taktik der SPD mit einem Friedenskanzler Scholz bei der Bundestagswahl 2025 nicht verborgen blieb. Das hat/wird in diesem Lande mehrheitlich nicht gefallen, aber es ist eben für den Meinungsaustausch zwischen unseren beiden Ländern dringend notwendig, dass auch die dänische Politik deutsche Motive zumindest besser kennenlernt; ob man sie nun teilt oder nicht ist eine andere Frage, gewiss eine überlebenswichtige für die Ukraine.   

Stegner, früher langjähriger SPD-Vorsitzender und auch Minister in Kiel, vertritt für den Wahlkreis Pinneberg Schleswig-Holstein im Bundestag.

Aus Schleswig-Holstein, das sich auf Werbeplakaten gerne als der „echte Norden“ präsentiert.  

Nun, der echte Norden sieht anders aus ... 

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