Leitartikel

„Was ist denn hier los? Dänemark gibt das Grenzland auf“

Was ist denn hier los? Dänemark gibt das Grenzland auf

Was ist denn hier los? Dänemark gibt das Grenzland auf

Nordschleswig/Kopenhagen
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Grenzüberschreitend: Warum fördert Dänemark mit der einen Hand die Grenzregion, setzt sie mit der anderen aber um Jahrzehnte zurück? Chefredakteur Gwyn Nissen fordert Lösungen von der Regierung – und nicht nur Streichungen.

Die Freude im deutsch-dänischen Grenzland währte nicht lange: Ein neuer deutsch-dänischer Grenzrat soll Grenzbarrieren beheben. Jubel auf beiden Seiten der Grenze, denn damit ging unter anderem für die deutsche Minderheit ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Doch während Dänemark mit der einen Hand die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufwertet, will sie mit der anderen Hand die deutsch-dänische Kooperation gleichzeitig um Jahrzehnte zurückdrehen: Die Region Süddänemark soll im Zuge der geplanten Gesundheitsreform in Zukunft nichts mehr mit der deutsch-dänischen Zusammenarbeit zu tun haben. 

Dazu fällt einem nur eins ein: Die Landespolitik versteht das deutsch-dänische Grenzland (immer noch) nicht. 

Wir sind etwas ganz Besonderes und können nicht mit anderen Landesteilen Dänemarks  verglichen werden: Wir haben eine Landesgrenze und eine deutsch-dänische Grenzregion, die zusammengehört, und die von der Politik nicht in ihre Einzelteile getrennt werden kann. 

Das Zusammenleben im Grenzland hört nicht an der Grenze auf. Im Folketing mögen Politiker glauben, dass man nur über die Grenze fährt, um billiges Bier (in Deutschland) zu kaufen oder Hotdogs und Wienerbrot (in Dänemark) zu essen. Aber das Grenzlandleben hat so viel mehr zu bieten – in Bereichen wie Kultur, Wirtschaft, Sport, aber auch freundschaftlich, familiär.

Spätestens während der Corona-Pandemie muss allen auf Christiansborg bewusst geworden sein, dass die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland nicht zwei Länder trennt, sondern sie vielmehr vereint. Dass hier über Jahrzehnte Verbindungen hergestellt worden sind – und immer noch neu geschaffen werden – und wir zwar zwei Länder sind, aber nur eine Region.

27 Jahre lang hat sich die Region Süddänemark gemeinsam mit den regionalen und lokalen Akteuren für ein starkes Grenzland eingesetzt. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man deutsche und dänische Gesetzgebung, Regelungen und Kultur unter einen Hut bringen will. Doch trotz komplexer Grenzbarrieren lebt die Bevölkerung das Grenzland. Und das sogar über Nordschleswig hinweg: Deutschland und Schleswig-Holstein sind auch für Unternehmen und Universitäten in ganz Süddänemark und Fünen von großer Bedeutung. 

Der stetige Grenzrat ist ein wichtiger Ansatz, um im Grenzland weitere Probleme zu lösen. Daher war die Freude darüber groß, dass jetzt auf nationaler Ebene einige Dinge ins Rollen gebracht werden können. Aber der Rat sollte eine Ergänzung sein – kein Ersatz.

Heute gibt es einen guten Draht zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Region: Da ruft Daniel (Günther, Ministerpräsident) aus Kiel schon mal direkt seinen Freund Bo (Libergreen, Regionsvorsitzender) in Vejle an.

Womöglich wird der Ministerpräsident keinen Ansprechpartner mehr auf dänischer Seite haben – und der Regionsvorsitzende darf sich mit den Deutschen erst gar nicht beschäftigen. Die Region soll sich nur auf das Gesundheitswesen konzentrieren. Wie dumm ist das?

Der Hintergrund sind politische Bemühungen – unter anderem durch Parteichef Lars Løkke Rasmussen von den Moderaten – die Regionen abzuschaffen (kleines Bonmot: Lars Løkke hatte die Regionen damals als Innenminister bei der Kommunalreform 2007 selbst ins Leben gerufen).

Jetzt sind die Regionen von fünf auf vier reduziert, und die Aufgaben sind beschnitten worden. Doch es gibt sie noch – und es gibt vor allem die Region Süddänemark, die an Deutschland und Schleswig-Holstein grenzt. Warum also nicht die verbliebene Struktur nutzen, um weiterhin auf die Erfahrungen und Bemühungen im Grenzland zurückgreifen zu können?

Dieses über Jahrzehnte erlangte Wissen und Engagement im deutsch-dänischen Grenzland wird in dem Reformpapier der Regierung mit zwei Sätzen über Bord geworfen. Ohne irgendwelche Lösungsansätze oder Visionen für die Region.

Die Akteure im deutsch-dänischen Grenzland haben die erste Schockstarre überwunden und sind gleich aktiv geworden. „Es braucht nur kurze Zeit, bis alles vergessen ist, aber es dauert sehr lang, etwas aufzubauen”, sagte Jens Wistoft (Venstre), Vorsitzender des Sonderausschusses für die deutsch-dänische Zusammenarbeit der Region Süddänemark, zum „Nordschleswiger“. Er befürchtet, wie auch der Hauptvorsitzende der deutschen Minderheit, Hinrich Jürgensen, dass die deutsch-dänische Zusammenarbeit zum Erliegen kommt.

Ganz so schlimm wird es vielleicht nicht werden, aber die deutsch-dänische Zusammenarbeit einfach wegzustreichen ist nicht nur unmöglich (Zitat: Jürgensen) und eine Katastrophe (Zitat: Wistoft). Es ist einfach planlos, geschichtslos und rücksichtslos. Man fragt sich: Was ist denn hier los?

Vielleicht kann Tonderns Ex-Bürgermeister und Folketingsmitglied für die Moderaten, Henrik Frandsen, zum Grenzland-Verständnis beitragen. Das wäre eigentlich seine Pflicht, bevor der Schaden entsteht.

 

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