Deutsche Minderheiten

Warum Blumenmädchen Cathrine so gut Deutsch spricht

Warum Blumenmädchen Cathrine so gut Deutsch spricht

Warum Blumenmädchen Cathrine so gut Deutsch spricht

Apenrade/Aabenraa
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Cathrine wächst mit der Möglichkeit auf, sich sowohl in deutscher, also auch in dänischer Richtung kulturell und sprachlich uneingeschränkt entfalten zu können – das Gleiche gilt nicht für alle deutschen Minderheiten in Europa (Archivbild). Foto: Karin Riggelsen

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Deutsche Kindergärten, deutsche Schulen, deutsches Medienhaus: In Nordschleswig gibt es, wovon andere Minderheiten träumen. Doch wie kam dies eigentlich zustande und haben andere deutsche Minderheiten in Europa die gleichen Möglichkeiten?

„Das hat sich gut angefühlt“, erzählt Blumenmädchen Cathrine kürzlich freudestrahlend nach ihrem großen Augenblick: Die fünfjährige Nordschleswigerin durfte das dänische Königspaar in Gravenstein (Gråsten) persönlich begrüßen – und das tat sie ganz selbstverständlich auf Dänisch. Für das Video des „Nordschleswigers“ ließ sie ihre besondere Erfahrung Revue passieren – auf Deutsch. Sie erntet daraufhin viel anerkennendes Lob für ihre Sprachkenntnisse. Dabei ist Deutsch ebenso Cathrines Muttersprache wie Dänisch. 

Doch wie kommt es eigentlich, dass Cathrine, neben vielen weiteren Kindern der deutschen Minderheit in Nordschleswig – seit Generationen –, ganz selbstverständlich mit beiden Sprachen und Kulturen aufwächst und in beiden Richtungen gefördert wird? Nordschleswigs Kinder haben den Vorteil mit der deutschen und der dänischen Kultur gleichermaßen aufzuwachsen.

Minderheitenrechte dank Nato-Ambitionen

In der deutsch-dänischen Geschichte gab es infolge des Krieges 1864 und der Volksabstimmung 1920 Grenzverschiebungen, wodurch auf beiden Seiten der Grenze Minderheiten entstanden. Der „Norddeutsche Rundfunk“ (NDR) fasste die Entwicklungen anlässlich des 60. Jahrestages der Bonn-Kopenhagener-Erklärungen wie folgt zusammen: „Nach dem Sieg über Dänemark 1864 nahm Preußen das gesamte alte Herzogtum Schleswig ein – bis zur Wiedau und Königsau. Damit gab es über Nacht eine sehr große dänische Minderheit. Als die Grenzlandabstimmung 1920 die Grenze nach Süden bis auf die Höhe Flensburgs verschob, verblieb in Nordschleswig eine deutsche Minderheit.“

Historische deutsch-dänische Gespräche in Paris zwischen dem dänischen Staatsminister H. C. Hansen und Konrad Adenauer – damals neben der Kanzlerrolle auch noch Außenminister. Foto: Archiv

Bis ins Jahr 1955 waren die Minderheiten- und Grenzsituationen konfliktbehaftet. Nach der Niederlage Nazideutschlands 1945 wurden die nordschleswigschen Anhängerinnen und Anhänger der Nazi-Ideologie, die mit der deutschen Regierung sympathisierten und anstrebten, den Landesteil an Nazideutschland anzugliedern, juristisch zur Rechenschaft gezogen. Mit dem Bekenntnis zum dänischen Staat seitens der deutschen Minderheit begann sich das Verhältnis zwischen der dänischen und der deutschen Bevölkerung langsam zu entspannen.

Doch was änderte sich 1955? Die junge deutsche Bundesrepublik bemühte sich unter Konrad Adenauer, Teil der Nato zu werden. Dänemark war einverstanden – erkannte in der Debatte um den Beitritt der BRD aber auch eine günstige Gelegenheit, um auf die ungeklärten Minderheitenproblematiken in der deutsch-dänischen Grenzregion aufmerksam zu machen. Dies weckte Adenauers Eifer – und so kam es, dass der Bundeskanzler und der dänische Staatsminister Hans Christian Svane Hansen am 29. März 1955 die „Bonn-Kopenhagener-Erklärungen“ unterzeichneten – eine für jedes Land. Seitdem garantieren diese Verträge, dass die jeweils andere Kultur im eigenen Land frei ausgeübt werden kann und von beiden Regierungen gefördert wird.

Die Kinder der deutschen Minderheit haben in ganz Nordschleswig die Möglichkeit, auf Muttersprachenniveau unterrichtet zu werden. Mit den Abschlüssen stehen ihnen auch in Dänemark alle Türen offen (Archivbild). Foto: Marle Liebelt

Genauer: Beide Nationen hielten fest, die jeweilige Minderheit mit der Mehrheit im eigenen Land gleichzustellen, das Schulwesen zu tragen und dessen Abschlüsse anzuerkennen. Auch wurde die sogenannte Bekenntnisfreiheit eingeführt, was so viel bedeutet, wie: Wer sich als Teil der Minderheit identifiziert, ist Teil der Minderheit, ohne sich dafür in irgendeiner Weise rechtfertigen zu müssen. 

Eben wegen dieser Zugeständnisse sind diese Erklärungen die Grundsteine des harmonischen Miteinanders in der deutsch-dänischen Grenzregion heute – und ermöglichen, dass Minderheitenkinder wie Cathrine beide Facetten ihrer kulturellen und sprachlichen Identität gleichermaßen leben und ausbauen können.

Doch das ist in Europa nicht überall selbstverständlich. Es gibt andere deutsche – und nicht-deutsche – Minderheiten in Europa, die auch heute noch wenig unterstützt werden.

Sterben einer Minderheitenkultur

Ein Beispiel: In Frankreich wurde der deutschen Sprache aus historisch-kultureller Sicht immer schon wenig Raum geboten. Auf der Webseite der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) erklärt Robert Joachim vom Elsaß-Lothringischer Volksbund dies so: „Das Französische gewann vor allem zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert an Gewicht. Das hängt vor allem mit der politischen Geschichte zusammen, aber auch partiell mit dem Ansehen, welches das Französische vor allem in der frühen Neuzeit europaweit in Adel und gehobenem Bürgertum genoss.“

Die jüngeren Generationen, insbesondere in den größeren Städten, sprechen fast ohne Ausnahmen lediglich Französisch.

Robert Joachim

Nach dem Ersten Weltkrieg, zwischen 1918 und 1940, war die Sprachpolitik in Frankreich sehr restriktiv. In den öffentlichen Einrichtungen wurde ausschließlich die französische Sprache akzeptiert – dies betraf auch die durch den Versailler-Vertrag dazugewonnenen Gebiete Elsass und Lothringen. Bei Verstoß erfolgte mitunter das Verbot, Deutsch oder einen entsprechenden deutschen Dialekt zu sprechen.

Nachdem die Nazis während der Besatzung von Elsass-Lothringen den Spieß umgedreht hatten, führte Frankreich die zuvor betriebene Sprachpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt fort. „Seitdem ist Französisch alleinige Amts- und Verkehrssprache. Ausnahmen hiervon macht die Mehrheit der älteren Generation, die teilweise noch auf Deutsch beziehungsweise im deutschen Dialekt kommuniziert. Die jüngeren Generationen, insbesondere in den größeren Städten, sprechen fast ohne Ausnahmen lediglich Französisch“, erläutert Robert Joachim.

Die deutsche Minderheit in Oberschlesien war zu Europeada 2024 angereist (Archivbild). Foto: Sara Eskildsen

Und so erlebte die deutsche Sprache in den Gebieten, wo sie einst, ab dem Jahr 1872, nach der Angliederung an das Deutsche Reich, noch Amtssprache war, einen starken Rückgang.

Frankreich ist auch heute noch das einzige Land in Europa, in dem seine deutsche Minderheit keinen Deutschunterricht auf Muttersprachniveau angeboten bekommt. Jahrzehnte wurde die Sprache nur optional angeboten. Dies – und die Tatsache, dass die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit nahezu vollständig fehlte – führte dazu, dass heute kaum noch junge Menschen die Muttersprache ihrer Vorfahren, Deutsch – oder einen entsprechenden Dialekt – sprechen.

Vor zwei bis drei Generationen sprachen noch mehr als 95 Prozent der Bevölkerung Deutsch und seine Mundarten.

Robert Joachim

Allerdings: Seit einigen Jahren gibt es die Möglichkeit, die Kinder auf eine bilinguale Schule zu schicken. Außerdem gibt es zweisprachige Straßenschilder – allerdings mit elsässischem Dialekt. „Das Problem bei der Höherbewertung der Dialekte gegenüber der deutschen Standardsprache ist, dass auch im Elsass Mundarten regional und sozial starke Unterschiede aufweisen“, findet Robert Joachim.

In Frankreich wird also sichtbar, was passiert, wenn keine oder kaum Förderung stattfindet: Die Minderheitenkultur und -sprache stirbt aus – statt beider Sprachen und Kulturen findet im Alltag der Minderheit nur das Französische statt. Was bedeutet, dass ein Großteil der deutschen Minderheit in Frankreich kein oder nur wenig Bezug zum Deutschen hat. Und das, obwohl dies die Muttersprache vieler Eltern oder Großeltern ist. „Vor zwei bis drei Generationen sprachen noch mehr als 95 Prozent der Bevölkerung Deutsch und seine Mundarten“, schreibt Robert Joachim.

Das Unterbinden des Deutschen in dieser Zeit ist aber kein Alleinstellungsmerkmal Frankreichs. Nur die Entwicklung weicht von den im Osten Europas beheimateten deutschen Minderheiten ab.

Sport verbindet – FUEN ist der Hauptinitiator der Europeada (Archivbild). Foto: Karin Riggelsen

Die Wende für die deutschen Minderheiten im Osten

Die Geschichte deutscher Siedlerinnen und Siedler in Polen ist komplex, bekam aber mit der Westverschiebung Polens zur Oder-Neiße-Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Ausmaß. Mit dem Zugewinn diverser, vormals deutscher, Gebiete erhöhte sich der Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung Polens um ein Vielfaches. 

Nach dem Überfall der Wehrmacht und den folgenden Kriegsgrauen wurde Deutsch im neuen Polen allerdings nicht mehr gerne gehört. Die Folge: Die Rechte der deutschen Minderheit samt der Verwendung der deutschen Sprache in der Volksrepublik Polen wurden in den Jahren darauf stark eingeschränkt. Der eiserne Vorhang war auch hierfür undurchlässig.

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regierung in Polen im Jahr 1989 beendete den mehrere Jahrzehnte dauernden Prozess der Vergiftung der tausendjährigen polnisch-deutschen Nachbarschaft. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten standen Polen und Deutsche vor der Chance, ihre gegenseitigen Traumata sowie Anfeindungen zu überwinden.

Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands – als sich das ganze Land zur Bundesrepublik vereinte – wurde die deutsche Minderheit in Polen 1989 offiziell anerkannt. „Der Zusammenbruch der kommunistischen Regierung in Polen im Jahr 1989 beendete den mehrere Jahrzehnte dauernden Prozess der Vergiftung der tausendjährigen polnisch-deutschen Nachbarschaft. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten standen Polen und Deutsche vor der Chance, ihre gegenseitigen Traumata sowie Anfeindungen zu überwinden“, heißt es dazu auf der Webseite der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit, ein Verband aus dem Ermland (Warmia) im Nordosten Polens. Im Jahr 1991 kam der deutsch-polnische Vertrag für gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zustande und veränderte Grundlegendes: Seitdem wird die deutsche Minderheit von beiden Nationen staatlich gefördert.

Auf dieser Grundlage konnte sich der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaft in Polen etablieren – ein Dachverband, der zahlreiche Mitgliedsvereine und die Belange von rund 300.000 Personen vertritt.

FUEN vertritt als unabhängiger Dachverband die Interessen von autochthonen nationalen Minderheiten, Nationalitäten und Sprachgemeinschaften in Europa (Archivbild). Foto: FUEN/László Mihály

Ein Vorteil der deutschen Minderheit in Nordschleswig gegenüber jener in Polen ist, dass die Grenze der Länder zur Zeit der „Bonn-Kopenhagener-Erklärungen“ ausschließlich zwischen Dänemark und der Bundesrepublik verlief – der Eiserne Vorhang also kein Hindernis darstellte. Die Tatsache, dass Verträge bereits 1955 in Kraft traten, beschert der deutschen Minderheit in Nordschleswig einen Vorlauf von einigen Jahrzehnten, in denen an der Etablierung der deutschen Minderheit gearbeitet und deren Institutionen ausgebaut werden konnten.

Polen ist hier nur ein Beispiel für die Geschichte deutscher Minderheiten in den ehemaligen Ost-Block-Staaten. 

Minderheitenrechte mit Zukunft

Jedoch – seit den 1990er-Jahren werden auch die deutschen Minderheiten in Osteuropa verstärkt berücksichtigt. Nicht zuletzt, weil viele Regierungen den Nutzen der deutschen Minderheiten als Brückenbauerinnen zwischen den Nationen erkannt haben. Aber es gibt Ausnahmen und Rückschritte – abhängig von der jeweiligen amtierenden Regierung, die mitunter auch Minderheitenrechte diskreditieren. So zeigte sich Rafał Bartek, Politiker der deutschen Minderheit in Polen, 2022 ratlos über die Tatsache, dass quasi über Nacht 50.000 Schulkindern der Deutschunterricht auf ein Drittel zusammengestrichen wurde – mit der Begründung, dass es in Deutschland keine Bundesmittel für den Polnischunterricht polnischstämmiger Kinder gebe.

Rafał Bartek
Rafał Bartek stand der Streichung von Deutschunterricht 2022 ratlos gegenüber (Archivbild). Foto: Cornelius von Tiedemann

Heute weht der Wind in Polen – in politischer Hinsicht – nicht mehr von rechts. Und das ist grundsätzlich erst einmal positiv für die Stellung der deutschen Minderheit in der polnischen Gesellschaft.

Dass das Sprechen der deutschen Sprache auch heute nicht für alle deutschen Minderheiten in Europa selbstverständlich ist, zeigte sich jüngst bei der Europeada – der Fußball-Europameisterschaft der Minderheiten – deutlich. Ein Indiz für jahrelange mangelnde Förderung.

Unter anderem dafür, dass Kultur- und Sprachangebote für Minderheiten etabliert werden, setzt sich die FUEN, Hauptvertreterin und Dachverband der autochthonen nationalen Minderheiten, Nationalitäten und Sprachgemeinschaften Europas, ein. Das Motto des Verbands mit Sitz in Flensburg: Es braucht neben Sichtbarkeit und Beharrlichkeit insbesondere die Unterstützung von Gleichgesinnten, um Minderheitenrechte durchzusetzen. 

Auch wenn vielen Minderheiten noch ein langer Weg bevorsteht – und wie in Polen Rückschritte überwunden werden müssen – bis sie die gleichen Rechte genießen wie die deutsche Minderheit in Nordschleswig, gibt es Grund für Optimismus: Zeitlich betrachtet stehen viele Minderheiten noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung, die nicht wie in Nordschleswig seit 1955, sondern in vielen Fällen erst vor rund 35 Jahren damit begannen, ihre deutschen Wurzeln in organisierten Gemeinschaften vermehrt zu pflegen. Wenn diese Gemeinschaften die Möglichkeit bekommen, ihre Rechte als Minderheiten mit Leben zu füllen, sehen Expertinnen und Experten von Minderheitenfragen, eine Chance dafür, dass zeitnah mehr Kinder anderer deutscher Minderheiten die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu entfalten, wie Blumenkind Cathrine.

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
„VUC Syd: Der Fall eines Königreichs “