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„Wenn die Meere Wälder wären, würden wir sie nicht sterben lassen“

Wenn die Meere Wälder wären, würden wir sie nicht sterben lassen

Wenn die Meere Wäldern wären ...

Kopenhagen
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Die SVM-Regierung verhandelt in diesen Tagen mit den Parteien über das grüne Drei-Parteien-Abkommen für die Landwirtschaft. Doch scheint sie immer noch nicht so recht begriffen zu haben, wie ernst die Lage in unseren Förden ist, meint Walter Turnowsky.

Stell dir vor, du machst einen Spaziergang im Wald und entdeckst bereits am Waldrand, dass die Sträucher von grünen Gewächsen überzogen sind. Als du zwischen die Bäume spähst, entdeckst du nur toten Boden; keine einzige grüne Pflanze, nur tote Mäuse, Insekten und Füchse.

Es steigt ein beißender Schwefelgestank auf, denn am Boden liegt eine dicke Schicht von vermoderten Flechten und Moosen. Nur ganz oben in den Baumwipfeln ist etwas Grün zu erspähen, ist Vogelgezwitscher zu hören. Nur geflügelte Wesen können dem toten Waldboden entfliehen.

Ich nehme mal an, es würde einen großen öffentlichen Aufschrei geben, würden unsere Wälder so aussehen; ein sofortiger und konsequenter Einsatz gefordert werden.

Stell dir vor, das wäre ein Wald (Archivfoto). Foto: Asger Ladefoged/Ritzau Scanpix

Am Meeresboden können wir jedoch nicht so ohne Weiteres spazieren gehen. Und so sehen wir nicht, was sich erneut in diesem Spätsommer und Herbst in den Flensburger, Apenrader und Haderslebener Förden sowie dem Alsensund abspielt. Und so ist es nur allzu leicht, sich einzureden, das Meer verwische alle Spuren

Jahrzehntelanges Versagen

Nun stell dir vor, die Wälder würden nicht erst in diesem Jahr so aussehen, sondern bereits seit Jahrzehnten. Es wird ein Maßnahmenpaket nach dem anderen beschlossen, und es kehrt ein wenig Leben zurück. So richtig besser wird es jedoch nicht. Und das überrascht eigentlich nicht, denn es war von vorneherein klar, dass die Maßnahmen nicht ausreichen würden. 

Ich denke mal, es hätte bereits vor Jahren erheblichen Druck auf die verschiedenen Regierungen gegeben, damit endlich mal das Nötige getan wird. 

Doch obwohl den dänischen Gewässern Jahr für Jahr der Atem ausgeht, und obwohl lange klar ist, was getan werden müsste, ist der Sturm auf die Regierung ausgeblieben. Stattdessen gibt es immer wieder freiwillige Absprachen mit der Landwirtschaft und Forderungen nach weiteren Untersuchungen.

Zwei Jahre mit traurigen Rekorden

Es hat geholfen, dass einst bessere Kläranlagen gebaut worden sind. Auch ist es sinnvoll, dass die Landwirtinnen und Landwirte heute den Dünger effizienter nutzen, damit weniger Stickstoff in die Gewässer gelangt. Die nackten Zahlen sprechen jedoch eine deutliche Sprache: 70 Prozent des Stickstoffs in den Binnengewässern stammen aus der Landwirtschaft, weniger als 10 Prozent von den Abwässern. 

An dieser Stelle möchte ich ein weiteres Mal bitten, dir das Bild vom leblosen Waldboden zu vergegenwärtigen. Stell dir vor, im vergangenen Jahr wäre eine Fläche, die fast doppelt so groß ist wie Nordschleswig, gestorben, so viel wie seit über 20 Jahren nicht. 

In diesem Jahr – und jetzt bleiben wir einmal bei den Gewässern, um die es ja geht – zeichnete sich bereits früh ab, dass es sogar noch schlimmer kommen könnte als im Jahr zuvor. Bereits im Frühjahr wuchsen Braunalgen (fedtemøj) meterhoch entlang der Ostseeküste.

Die „historische“ Lösung

Und dann – endlich – geschah im Juni etwas auf der politischen Bühne. Jetzt – so das Versprechen – will die Regierung nachholen, was ihre Vorgängerinnen versäumt haben: Einen Plan umsetzen, der tatsächlich den sterbenden Gewässern hilft. 

Bei den sogenannten grünen Drei-Parteien-Gesprächen haben sich die SVM-Koalition, der Landwirtschaftsverband „Landbrug og Fødevarer“ und der Naturschutzverband „Danmarks Naturfredningsforening“ auf eine Absprache geeinigt. Bei den Verhandlungen ging es vornehmlich um die Klimabelastung der Landwirtschaft, doch der Stickstoffeintrag wurde gleich mitgedacht

Die Regierung, der Landwirtschaftsverband und der Naturschutzverband feierten die Absprache als historisch. Landwirtschaftliche Flächen sollen stillgelegt und Wald angepflanzt werden.  

Nach den Sommerferien ernannte Staatsministerin Mette Frederiksen dann sogar einen eigenen Drei-Parteien-Minister, der jetzt für geringere Klimabelastung, aber eben auch für die Rettung der Förden zuständig ist. Jeppe Bruus heißt der übrigens und ist von der Sozialdemokratie.

Die Verhandlungen stocken

Er soll jetzt weitere Parteien im Folketing für die Drei-Parteien-Absprache gewinnen. Die SVM-Regierung könnte zwar versuchen, sie mit den eigenen Stimmen und ein paar Parteilosen durchzudrücken, aber das wäre mehr als nur ein bisschen unklug. Denn es könnte bedeuten, dass eine neue Mehrheit das Ganze nach einer Wahl ändert. 

Das ist auch der Grund, weshalb solch weitreichende Beschlüsse in der dänischen Politik immer von einer breiten Mehrheit getragen werden. „Flerårige forlig“ ist der Schlüsselbegriff. Wäre doch gelacht, wenn das nicht im Handumdrehen zu schaffen ist, dachte sich Bruus; schließlich ist alles millimetergenau zwischen den unterschiedlichen Interessen austariert. 

Doch mit dem Handumdrehen hapert es ein wenig. Währenddessen haben die Förden und Binnengewässer nicht mitbekommen, dass sie gerettet werden sollen – sie zeigen zumindest kein Entgegenkommen. Der Sauerstoffschwund umfasst noch einmal eine um 50 Prozent größere Fläche als im ohnehin schon katastrophalen vergangenen Jahr. 

Das schwächste Szenario

Das Bild von dem toten Meeresboden scheinen Bruus und seine Kolleginnen und Kollegen im SVM-Kabinett während der Verhandlungen jedoch nicht vor Augen zu haben. Darauf deutet zumindest eine Akte hin, die „Politiken“ und „DR“ zugespielt worden ist.

Demnach hat sich die Regierung von drei möglichen Szenarien auf das festgelegt, das den Stickstoffeintrag in die Gewässer am wenigsten reduziert. Weniger, als die Folketing Parteien bereits 2021 beschlossen hatten. Die Beraterinnen und Berater, die die Regierung herangezogen hat, warnen vor dieser Lösung.

Drei-Parteien-Minister Bruus sagte am Donnerstag zu „Politiken“, es sei ein „aus dem Zusammenhang gerissenes Rechenbeispiel“. Selbstverständlich werde man die Gewässer retten. Expertinnen und Experten sowie Umweltverbände sehen das ein wenig anders. „Versagen“, „hoffnungslos“ und „absurd“ gehören zu den Worten, die ihnen dazu einfallen. 

Versagen bei der Kontrolle

Und als ob das alles nicht schon ernst genug wäre, hat die Staatsrevision in der vergangenen Woche scharf kritisiert, dass die Landwirtschaftsbehörde den Eintrag von Stickstoff aus der Landwirtschaft so mangelhaft kontrolliert, dass man kaum noch von Kontrolle sprechen kann.

So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die Verhandlungen länger dauern, als Bruus es eigentlich geplant hatte. Donnerstag und Freitag hat er intensiv mit den Volkssozialisten (SF), den Radikalen, den Konservativen und der Einheitsliste verhandelt. 

Parteien verlangen größere Reduktion

Allen vier Parteien, die sich gemeinsam als die grüne Opposition verstehen, ist das Ambitionsniveau der Koalition zu bescheiden. „Die Regierung muss sich bewegen“, sagte der Fraktionssprecher der Konservativen, Frederik Bloch Münster, laut „DR“ vor den Verhandlungen am Donnerstag. 

Am kommenden Dienstag beginnt die jährliche Delegiertenversammlung von „Landbrug og Fødevarer“. Bis dahin möchte die Regierung ein Verhandlungsergebnis erzielen.

Dann wissen wir, ob sie es diesmal geschafft hat, die sterbenden Förden so ernst zu nehmen, als wären sie ein Wald.

Aktualisierung 2.11. um 18.15 Uhr: Es ist nach Redaktionsschluss bekanntgeworden, dass Jeppe Bruus die Verhandlungen am Freitag abgesagt hat. Ein neuer Termin steht bislang nich fest,

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