Dänemark

EU-Kommission wird wegen andauernder Grenzkontrollen aktiv

EU-Kommission wird wegen andauernder Grenzkontrollen aktiv

EU-Kommission wird wegen andauernder Grenzkontrollen aktiv

Kopenhagen/Brüssel
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Die Lockerungen vom 12. Mai blieben nur etwa anderthalb Monate bestehen. Koranverbrennungen in Dänemark und Schweden sorgen für eine erneute Verschärfung an der Grenze. Foto: Karin Riggelsen

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Seit 2016 gibt es „temporäre“ Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze, die trotz aller Kritik immer wieder verlängert werden. Die EU-Kommission ist mittlerweile aktiv geworden, um deren Rechtmäßigkeit zu prüfen. Eine aktuelle Bedrohungslage sorgte Anfang August für die Rücknahme der seit Mai bestehenden Lockerungen. Ein Überblick über die Entwicklungen.

Sieben Jahre gibt es bereits „temporäre“ Grenzkontrollen von Deutschland nach Dänemark. Sie wurden von wechselnden dänischen Regierungen systematisch mit immer ähnlichen Begründungen verlängert. Die EU-Kommission hat nun eine offizielle Untersuchung eingeleitet, ob die seit 2016 durchgeführten Kontrollen gesetzmäßig sind. Das teilte die Europäische Union gegenüber der Zeitung „Information“ mit.

Das Schengen-Abkommen sieht nur kurzzeitige Kontrollen an den Grenzen vor – etwa vor und während eines G7-Gipfels, einer Fußball-EM oder wegen akuter Gefahren für die innere Sicherheit eines Landes. Ansonsten gewährt das Abkommen allen Bürgerinnen und Bürgern der Schengen-Staaten, die Binnengrenzen ohne Personenkontrollen zu überschreiten.

Zuletzt hatte die EU-Kommission die Verlängerungen der Kontrollen im Mai 2023 um weitere sechs Monate genehmigt. Justizminister Peter Hummelgaard (Soz.) hatte die Verlängerung allgemein mit der Terrorgefahr, dem Krieg in der Ukraine, Migrationsbewegungen und Gefahren durch ausländische Geheimdienste begründet. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen an der Grenze jedoch zurückgefahren.

EU-Kommission hat klare Vorgaben

Die EU-Kommission hatte schon im Mai gewarnt, eine Untersuchung einzuleiten. Sie betrifft die Länder, die in den vergangenen Jahren „temporäre“ Grenzkontrollen eingeführt haben: Dänemark, Schweden, Deutschland und Österreich. Den Grund liefert Anitta Hipper, Sprecherin der Kommission für innere Angelegenheiten. Sie sagte auf Nachfrage von „Information“, die Position der Kommission sei klar. Eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen muss eine Ausnahme sein, zeitlich streng begrenzt und der letzte Ausweg. 

Nicht zuletzt deshalb, weil das höchste EU-Gericht im April 2022 entschieden hatte, dass es so nicht weitergeht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) forderte die EU-Kommission zum Handeln auf. Denn die Schengen-Vorschriften sind unmissverständlich. Sie besagen, dass Umfang und Dauer der Kontrollen nicht über das hinausgehen dürfen, „was zur Abwehr der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist“. Und der „Gesamtzeitraum“ darf „sechs Monate nicht überschreiten“.

EU-Gericht schiebt Verlängerungen Riegel vor

In Dänemark gibt es die Grenzkontrollen an der Grenze nach Deutschland aber ohne Unterbrechung seit 2016. Wie in anderen Ländern wurde nach dem Auslaufen der sechs Monate eine Verlängerung mit oft ähnlichen Begründungen angemeldet.

Laut EuGH müssen neue Bedrohungen existieren, die eine Verlängerung rechtfertigen. Eine Verlängerung mit immer gleichen Begründungen sei nicht rechtmäßig.

Erstes Gespräch mit Dänemark

Derzeit beurteilt die Kommission also, inwieweit Grenzkontrollen notwendig und verhältnismäßig sind und ob sie auf einer neuen schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit beruhen. Hier kommt ein juristisches Werkzeug zum Einsatz, von dem die Kommission bis dato keinen Gebrauch gemacht hat: der „formelle Konsultationsprozess“. Er ist Teil der Schengen-Regelungen und findet sich in Paragraf 27 unter Absatz 5. 

Laut „Information“ gab es im Juni ein erstes Treffen der EU-Kommission mit Dänemark, in dem die Einleitung des Konsultationsverfahrens angekündigt wurde.

In letzter Instanz kann die EU-Kommission rechtliche Mittel gegen ein Mitgliedsland einlegen, das EU-Recht bricht. Das aber nur, sofern die Konsultationen vorher kein klares Bekenntnis zur Veränderung beinhalten.

Die Entwicklung deute jedoch darauf hin, dass die Kommission die Geduld mit der wiederholten Verlängerung der dänischen Grenzkontrollen verliert, so Jens Vedsted-Hansen, Professor für Migrationsrecht und EU-Recht an der Universität Aarhus zu „Information“.

Petition aus Dänemark erhöht den Druck

Nicht zuletzt die Petition eines Dänen aus Odense übt weiteren Druck auf den Fortbestand der Grenzkontrollen aus. Petent Tor Valstrøm bittet darin das Europäische Parlament, die von Dänemark in den vergangenen Jahren durchgeführten Grenzkontrollen als Verstoß gegen das Schengener Abkommen zu betrachten und die ständigen Verstöße zu unterbinden. Die Kommission gibt Valstrøm recht, schien bis dato aber das Vorgehen Dänemarks zu tolerieren. Denn wie das Justizministerium mitteilt, habe die Kommission bisher zu keinem Zeitpunkt Bedenken gegen die Verlängerungen geäußert.

Neue Bedrohungslage verändert Situation

In einer Stellungnahme der Kommission wurde die Verlängerung im April auch deshalb erneut genehmigt, weil damit Lockerungen einhergingen. Diese sind Anfang August nur wenige Wochen später aufgrund einer aktuellen Bedrohungslage einkassiert worden, die unabhängig von den seit 2016 bestehenden dauerhaften Kontrollen betrachtet werden muss. Die Koranverbrennungen in Schweden und Dänemark waren Auslöser für die Rückkehr zu einer zunächst einwöchigen Einreisekontrolle Anfang August. Diese Maßnahmen wurden zunächst bis zum 17. August und erneut am Mittwoch bis zum 22. August verlängert.

Die neuerlichen Drohungen der Terrororganisation Al-Qaida, sie hat Dänemark und Schweden den Krieg erklärt und ruft zu Angriffen auf beide Länder auf, haben zur jüngsten die Verlängerung der Grenzkontrollen in der derzeitigen Form beigetragen. Die Bedrohungslage sei ernst, sagt Hummelgaard.

Die Möglichkeit, zu verschärften stationären Stichprobenkontrollen zurückzukehren, sofern es die Lage erfordert, war bereits mit den Lockerungen im Mai kommuniziert worden.

Ob die neue Lage die Beurteilung der Kommission verändert, bleibt abzuwarten.

Massive Kritik an Kontrollen

Besonders interessant: In der Stellungnahme sagte Kommissionssprecherin Karina Ulrich auch, dass aus Deutschland keine Beschwerden über Dänemarks Vorgehen bekannt seien. Im Gegenteil: Die deutschen Behörden seien sehr zufrieden mit der deutsch-dänischen Zusammenarbeit.

Richtig ist, dass die Verlängerungen in Deutschland, das selbst Grenzkontrollen zu Österreich durchführt, durchaus für Kritik sorgen. Insbesondere kommt diese aus dem Grenzland und Schleswig-Holstein.

Unter anderem forderte der Landtag im Herbst vergangenen Jahres bereits einstimmig ein Ende der Grenzkontrollen. Ein Gutachten der Europa-Universität Flensburg mit Unterstützung des Europa-Abgeordneten Rasmus Andresen (Grüne) kam im Februar 2023 zu dem Schluss, dass die Kontrollen „rechtswidrig“ sind

Schon zuvor hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Grenzkontrollen im Beisein ihres Kollegen Jeppe Kofod (Soz.) kritisiert und eine gemeinsame Lösung eingefordert

In einem offenen Brief, der in der vergangenen Woche an Justizminister Hummelgaard geschickt wurde, fordern die Unterzeichner von Vereinen und der Lokalpolitik im Grenzland „raffiniertere Antiterrorstrategien“. Darunter sind der stärkere Einsatz von Kennzeichenscannern, Videoüberwachung und Hinterlandkontrollen gemeint – zugunsten offener Grenzen.  

Und auch die beiden Minderheiten-Parteien, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) und die Schleswigsche Partei (SP) werden nicht müde, die Grenzkontrollen in ihrer derzeitigen Form zu kritisieren.

Zweifel an Effektivität

Immer wieder wurde in der Vergangenheit deutlich, dass die stationären Grenzkontrollen kaum Schutz vor Terror bieten. Zu diesem Schluss kommt auch der polizeiliche Geheimdienst Dänemarks, PET, in einer Analyse aus dem vergangenen Jahr. Auch die Polizeigewerkschaft kritisierte den Erfolg der „Stichprobenkontrollen“ und nannte sie Symbolpolitik.  

Hummelgaard schmetterte Kritik bislang zurück. Zuletzt noch im Februar, als er sagte, es gebe keine Hinweise, dass Dänemark mit den Kontrollen gegen EU-Recht verstoße. Im Mai dann der Paukenschlag. Hummelgaards eigene Juristinnen und Juristen im Ministerium kamen zu dem Schluss, dass die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen mit „großer Unsicherheit behaftet“ ist. Was folgte, war die Umstrukturierung der Grenzkontrollen mit einem größeren Fokus auf das Hinterland. An der Grenze standen nur noch selten Beamtinnen und Beamte.

Die Konsultationen und nicht zuletzt die von einem Dänen angestoßene Petition dürften in der EU weitere Kreise ziehen. Voraussichtlich im Herbst, nach der Sommerpause, könnte das Thema erneut an Fahrt aufnehmen. Der Ball liegt nun beim Europa-Parlament.

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Apenrade/Aabenraa Künftig soll bei der Einführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter anderem die Verhältnismäßigkeit geprüft werden, doch dafür dürfen Grenzkontrollen in Zukunft von den Staaten im Schengenraum noch länger aufrechterhalten werden. Die Parteisekretärin der Schleswigschen Partei, Ruth Candussi, und die Grenzlandpolitiker Rasmus Andresen und Stefan Seidler sind deshalb enttäuscht von dem Beschluss.