Interview

Essstörungen bei Männern: Student Jacob möchte enttabuisieren

Essstörungen bei Männern: Student Jacob möchte enttabuisieren

Essstörungen bei Männern: Jacob möchte enttabuisieren

Hadersleben/Haderslev
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Jacob Lillie Mikkelsen studiert am UC Süd und sucht derzeit Probanden für seine Studie zum gestörten Essverhalten bei Männern. Foto: Privat

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Wie verändert sich das Selbstbild durch eine Essstörung? Und wie ist die Situation für Männer? Diese Fragen und noch mehr stellt sich gerade UC Syd-Student Jacob Lillie Mikkelsen in seinem Bachelorprojekt. Warum für ihn die Fitness-Community, vor allem auch in den sozialen Medien, gestörtes Essverhalten begünstigt und wie er selbst betroffen war, erzählt er im Interview.

Triggerwarnung:

Dieser Text beschäftigt sich mit Essstörungen. Betroffene oder Menschen, die das potenziell belastet, sollten eventuell nicht weiterlesen. Falls du betroffen bist oder denkst, betroffen zu sein, findest du eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst.

Die dänische Telefonberatung von „Spiseforstyrrelse“ unter der Nummer  (+45) 7010 1818 ist jeden Montag und Donnerstag von 9-19 Uhr und Dienstag und Mittwoch von 16-19 Uhr erreichbar. Die Beratung ist anonym und kostenlos und richtet sich an alle, die von einer Essstörung oder Selbstverletzung betroffen sind.

Das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erreicht ihr unter der Telefonnummer (+49) 0221 892031 montags bis donnerstags von 10-22 Uhr und freitags bis sonntags von 10-18 Uhr. Es fallen die Kosten für Gespräche ins Kölner Ortsnetz an. Die Beratenden unterliegen der Schweigepflicht.

 

 

Jacob Lillie Mikkelsen hatte nicht vermutet, dass sein Essverhalten problematisch war. Als Jugendlicher wollte er abnehmen, trieb exzessiv viel Sport und fastete. Erst später erkannte er, dass sein Verhalten ungesund war. Nun, einige Jahre später, forscht er genau zu dem Thema. Dafür sucht er noch Probanden. 

Essstörungen bei Männern noch ein Tabuthema 

Von Essstörungen betroffene Menschen, die an die Öffentlichkeit treten, sind häufig weiblich. Auch die Statistik zeichnet ein eher weibliches Bild: Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Störung kommen wesentlich häufiger beim weiblichen als beim männlichen Geschlecht vor. Von 100 Patienten mit Magersucht sind etwa 8 Prozent männlich, mit Bulimie 15 Prozent und mit Binge-Eating-Störung etwa 20 Prozent, schreibt das „Ärzteblatt“. Das liege vor allem daran, dass Essstörungen als „typisch weiblich“ betrachtet werden und die Hemmschwelle für Männer, ein gestörtes Essverhalten zuzugeben, höher ist. 

Für Jacob, der ursprünglich aus Mols, einer Gegend in Djursland, stammt ist das Thema „Selbstbild von essgestörten Männern“ besonders spannend. Im Rahmen des Studiums konzipiert er gerade ein Bachelorprojekt, das genau auf das Thema aufmerksam machen soll. Mit dem „Nordschleswiger“ sprach der Student vom UC Syd über seine Forschung und über seine persönlichen Erfahrungen mit seiner eigenen Essstörung. 

 

Jacob, wie bist du auf das Thema – Essstörungen bei Männern – für dein Bachelor-Projekt gekommen?

„Ich habe angefangen zu trainieren, als ich noch sehr jung war und groß und stark sein wollte. Damals wollte ich abnehmen, weil ich schon immer übergewichtig war. Und um ehrlich zu sein, als ich anfing, mich für Mädchen zu interessieren, dachte ich damals: Die wollen nicht jemanden, der übergewichtig ist.

Ich denke, die meisten Leute wissen, dass sie weniger essen müssen, um abzunehmen.  Aber ich hatte schon immer eine Alles-oder-Nichts-Mentalität, also habe ich so wenig wie möglich gegessen. Es mussten die richtigen Lebensmittel sein, die ich aß, und ich habe auch viel Sport gemacht – zweimal die Woche Handball und viermal die Woche Krafttraining. Zunächst sah es gut aus, da ich abgenommen hatte, und ich bekam viel Lob für meine Gewichtsabnahme. Aber die Art und Weise, wie ich abgenommen hatte, war falsch. Damals wusste ich nicht, dass es so etwas wie Orthorexia gibt, aber das war wahrscheinlich die Essstörung, die ich hatte. Und die sich später zu einer Mischung aus Orthorexia und Bulimie entwickelte.

Meine Kompensationen nach einem Fressanfall waren nicht Erbrechen oder Abführmittel, wie man es sonst kennt, sondern exzessiver Sport und Fasten. Damals benutzte ich eine App zum Kalorienzählen und wusste genau, wie viele Kalorien ich zu viel gegessen hatte. Wenn es etwa 1.300 Kalorien waren, die ich zu viel gegessen hatte, ging ich ins Fitnessstudio und lief entweder auf dem Laufband oder fuhr mit dem Fahrrad, bis ich die 1.300 Kalorien verbrannt hatte, und am nächsten Tag aß ich weniger, weil ich am Vortag zu viel gegessen hatte. Zwei- bis dreimal pro Woche hatte ich Essanfälle und kompensatorisches Verhalten, und meine Gedanken drehten sich ständig ums Essen. Etwa: Wann sollte ich essen, wie viel sollte ich essen, was könnte ich essen? Ich fantasierte von meinem Frühstück, wenn ich abends ins Bett ging, und oft wachte ich nachts auf und konnte nicht wieder einschlafen, weil ich ans Essen dachte.

Ich habe mir auf YouTube viele Videos über Ernährung angesehen, und jeder Fitness-Influencer auf YouTube hat eine Meinung dazu, wie man sich richtig ernährt. Die meisten von ihnen hatten den Körper, den ich wollte: einen muskulösen Körper mit einem geringen Körperfettanteil. Viele von ihnen haben keinen ernährungswissenschaftlichen Hintergrund und reden trotzdem über Ernährung und darüber, was gut und schlecht für den Körper ist. Da ihr Körper aber den Körper widerspiegelte, den ich wollte, hörte ich auf sie und befolgte ihre Ratschläge, auch wenn es mir weder körperlich noch geistig guttat.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen wusste ich, dass ich über die Körperzufriedenheit von Männern und Essstörungen schreiben wollte, weil ich das Gefühl habe, dass das Thema sehr tabuisiert wird und die Fitness-Community restriktives Essen und ein Körperideal normalisiert, das für die meisten Menschen unerreichbar ist. Ich habe auch das Gefühl, dass es in der Fitness-Community an Nuancen mangelt, wenn es um Ernährung, Bewegung und Körperbild geht, was ich theoretisch untersuchen möchte.“



 

Jacob möchte, dass die Fitness-Community inklusiver wird. Foto: Privat

Wie ist dein Forschungs- und Projektvorhaben aufgebaut?

„Meine Informanden bilden die Grundlage für die Arbeit, in der ich ihre Aussagen anhand ihrer Interviews theoretisch analysieren werde. Vor den Interviews habe ich mich bisher nicht für bestimmte Theorien entschieden, die ich für die Analyse ihrer Aussagen verwenden werde, sondern ich werde es so nehmen, wie es kommt.    

Ich befinde mich noch in der Anfangsphase des Bachelorprojekts und bin mir daher bislang nicht ganz sicher, wie ich was wie strukturieren möchte, abgesehen von den formalen Anforderungen an ein Bachelorprojekt.“   

Was erhoffst du dir von deinem Projekt?

„Ich erhoffe mir durch die Arbeit, mehr Wissen in diesem Bereich zu erlangen und dieses Wissen in mein zukünftiges Berufsleben mitnehmen zu können. Gleichzeitig hoffe ich, durch das Schreiben über das Thema und die Weitergabe meiner eigenen Erfahrungen den Männern etwas von ihren Schuld- und Schamgefühlen zu nehmen, wenn sie mit einer Essstörung zu kämpfen haben.“

Haben sich bereits einige Männer bei dir gemeldet?

„Ja, einer hat sich gemeldet, und ich suche noch zwei weitere Männer. Ich hoffe, durch den Artikel vielleicht noch die letzten beiden Männer zu finden. Um interviewt zu werden, müssen die Probanden folgende Kriterien erfüllen: ein Mann zwischen 18 und 40 Jahren sein, der zur Fitness-Community gehört und mit einer Essstörung kämpft oder gekämpft hat."

Glaubst du, dass es schwieriger ist, die Meinung von Männern einzuholen, besonders bei einem so sensiblen Thema? 

„Auf jeden Fall, weil es solch ein Tabuthema ist und vor allem, weil Essstörungen als ‚Frauenkrankheit‘ gelten, fühlen sich Männer plötzlich doppelt falsch. Gleichzeitig ist es oft so, dass es nicht als sehr männlich gilt, mit den Freunden, mit denen man ins Fitnessstudio geht, über Ess- oder Körperprobleme zu sprechen. Ich glaube, dass Männer generell schlecht über ihre Gefühle sprechen können und schwierige Gefühle lieber für sich behalten.“ 

Betroffene Männer können sich noch bei Jacob melden 

Auf wen die Suche zutrifft, der kann sich unter der Mail: 3029926@ucsyd.dk  oder über Instagram: jmikkelsen_ bei Jacob Lillie Mikkelsen melden. 

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