Schule in Tansania

Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl

Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl zum drauf sitzen

Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl zum drauf sitzen

Janni Moshage Moldt
Karatu
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Schüler in Tansania
Ein Schüler der weiterführenden Schule in Karatu in Tansania, die unter anderem von Kindern der Mitarbeiter der Shangri-La-Farm besucht wird, auf der die Autorin des Artikels, Janni Moshage Moldt, derzeit lebt Foto: Janni Moshage Moldt

Snapchat, Schulstress und Konsum – die junge Nordschleswigerin Janni Moshage Moldt hat das alles für eine Weile eingetauscht gegen ein Leben auf einer Farm in Afrika. Mit Elefanten, lachenden Kindern, traumhaften Sonnenuntergängen – und in Dänemark ungekannter Armut. Zweiter von drei Teilen.

„Man lernt viel darüber, wie anders das Ausbildungssystem einfach ist  und wünscht sich jeden Tag wieder, dass man ihnen dieselben Möglichkeiten geben könnte, die ich hatte.“

Diese Gedanken gehen mir jeden Tag durch den Kopf, wenn ich morgens um acht in der Mlimani Secondary School ankomme, um die „Form One“-Schüler in Englisch zu unterrichten.

Schule in Tansania
Die Schüler genießen es, wenn sie etwas entspannen können und wir zwischendurch lehrreiche Spiele mit ihnen spielen. Sie sind alle unglaublich wettbewerbsorientiert, und ihren Eifer zu sehen, die Besten sein zu wollen, ist einfach schön. Foto: Janni Moshage Moldt

Plötzlich Englisch statt Suaheli

Wer hier an die weiterführende Schule wechselt, muss sich darauf gefasst machen, dass sämtlicher Unterricht plötzlich auf Englisch vonstattengeht – und nicht mehr in der Muttersprache Suaheli.

Englisch war für die Kinder bis dahin nur ein Schulfach an der Grundschule, die sie bereits sechs bis sieben Jahre lang besucht haben. Eingeschult werden sie mit sechs oder sieben Jahren.

Die weiterführende Schule dauert dann vier Jahre für die, die es in einem Rutsch schaffen.

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Die Schüler genießen es auch, wenn sie selbst an die Tafel schreiben dürfen und Spaß machen können. Hier ein Schüler aus der Englischstunde. Foto: Janni Moshage Moldt

Gemeinsam mit einem anderen dänischen Mädchen unterrichte ich Englisch in der ersten Klasse der weiterführenden Schule, die sich „form one“ nennt.

An den Englisch-Kompetenzen der Schüler ist deutlich zu merken, dass es ihr erstes Jahr ist, in dem der gesamte Unterricht auf Englisch vor sich geht – noch sind sie nicht alle gleich gut und selbstbewusst, was die Sprache angeht.

Um in die nächste Klasse versetzt zu werden, müssen sie einen Test bestehen. Gelingt ihnen das nicht, können sie das Schuljahr wiederholen. Das allerdings nur einmal pro Schuljahr, ansonsten fliegen sie von der Schule.

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Spielerisches Lernen – bei den Schülern weckt das besonderen Eifer. Foto: Janni Moshage Moldt

Nicht jeder kann oder will sich weiterführenden Schulbesuch leisten

Seitens der Regierung sind die Menschen in Tansania nur dazu verpflichtet, die Grundschule zu besuchen, und deshalb sind es längst nicht alle Kinder, die auf weiterführende Schulen gehen.

Man spürt deutlich, dass es unter den Eltern solche gibt, die großen Wert darauf legen, dass ihre Kinder das Schulsystem ganz absolvieren – und solche, die nicht dieselbe Unterstützung haben.

Es gibt Schüler, die ihre Freizeit dazu nutzen können, Hausaufgaben zu machen und zu lernen, doch bei anderen Kindern ist es so, dass die Eltern von ihrer Freizeit abhängig sind.

Sie müssen Wäsche waschen, putzen, Essen zubereiten oder arbeiten. Dieser Unterschied spiegelt sich leider auch in den Fertigkeiten und im Engagement der Schüler im Schulalltag wider.

Doch kann man das nicht gut verstehen? Wenn die Eltern der Schüler ihren Schulbesuch nicht fördern, wenn die Eltern vielleicht selbst nicht zur Schule gegangen sind, dann ist es für die Schüler möglicherweise schwer, nach der Grundschule weiterzukommen. Denn warum vier Jahre „verschwenden“?

Die Schüler sind eifrig. Foto: Janni Moshage Moldt

Mir ist klar, dass Unterricht eine Grundlage für die Bildung in einer Gesellschaft ist und dass er der künftigen Generation nutzen wird. Doch leider sind es nur die allerwenigsten, die weiterkommen, weil es einfach zu teuer ist.

Nicht alle Lehrer brennen für ihren Beruf

Die Mentalität unter den Lehrern ist auch ganz anders. Einige der Lehrer nehmen ihre Arbeit wirklich ernst, sind pünktlich und wünschen den Kindern den größtmöglichen Erfolg.

Doch es gibt auch solche, die nur des Geldes wegen da sind und leider nicht immer die Fertigkeiten oder den Willen haben, ordentlich zu lehren. Das ist traurig, mitanzusehen.

Doch man kann eine Kultur nicht verändern, und nach zwei Monaten hier sehe ich ein, dass es nicht nur an meiner Schule so ist, sondern dass es hier unter den Lehrern einfach zur Mentalität gehört. Das muss man akzeptieren.

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In den Religionsstunden tanzen und singen die Schüler. Foto: Janni Moshage Moldt

Drei Stühle für vier Schüler

Die Unterschiede zwischen dem Gymnasium daheim und dem Klassenzimmer hier in Afrika sind allzu deutlich. Es mangelt an mehr, als dass es etwas gibt. Doch die Schüler zeigen sich unbeeindruckt. Sie kennen es nicht anders. Ich bin es, der es auffällt, weil ich daheim über reichlich Privilegien und Güter verfügt habe.

Beim Unterricht fühlen wir den Wind und den Regen durch die Fenster, die vielleicht einmal verglast waren. Wir sehen unsere Fußspuren auf dem halb zerstörten Betonboden, den die Schüler jeden Morgen selbst wischen.

Sie sitzen eng gepackt in Reihen, zwei Tische und drei Stühle werden leicht mal von vier Schülern geteilt, da es nicht immer genügend Tische oder Stühle für alle gibt.

Das ist schwer mit anzusehen, ganz bestimmt. Wie einige Schüler Löcher in ihren kleinen Uniformen bekommen, wie ihre Hefte auseinanderfallen und wie sie verzweifelt versuchen, auch die allerletzte Tinte aus ihrem Kugelschreiber zu bekommen.  

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Weil nicht genügend Bücher für alle da sind, schreiben wir immer an die Tafel, und die Schüler sollen das dann in ihre Hefte abschreiben. Foto: Janni Moshage Moldt

Im ersten Jahr ist alles neu

Der Schultag gibt einen Schub für den Rest des Tages. Anfangs waren die Kinder sehr schüchtern, was nur allzu verständlich ist. Aber mit der Zeit sind sie sehr viel offener geworden, redselig und einfach unglaublich lieb.

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Hier sitzen die Schüler in Gruppen, damit sie sich die Bücher teilen können – denn, wie berichtet, gibt es schlicht nicht ausreichend Bücher für alle. Die Bücher stehen also in der Bibliothek der Schule und werden für die Unterichtsstunden geholt. Doch nicht immer dürfen die Schüler selbst in den Büchern lesen – für sie ist es also immer aufregend, wenn sie endlich einmal ein Buch zwischen die Finger bekommen. Foto: Janni Moshage Moldt

 

Sie lieben es, sich mit uns zu unterhalten, Fragen darüber zu stellen, wo wir herkommen, über unser Leben – und sie lieben Lernspiele. Es ist ein einziges Erfolgserlebnis zu sehen, wie sie miteinander so viel Spaß haben, selbst wenn es nur um ein Wortspiel an einer verschmutzten Tafel und ein Stück Kreide geht.

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Ein fleißiger Schüler. Hier sieht man auch die Löcher in seiner Schuluniformen. Foto: Janni Moshage Moldt

Dankbarkeit angesichts der Möglichkeiten in Dänemark

Ich glaube, wenn ich eines Tages wieder in der Heimat die Schulbank drücke, um weiterzustudieren, werde ich die Privilegien, die mir gegeben sind, niemals vergessen, welches Glück ich habe und wie dankbar ich sein sollte, weil ich so viele Möglichkeiten vor mir habe – ohne wirklich vieles opfern zu müssen.

Ich glaube, ich werde niemals vergessen, wie ein Schulsystem aussehen kann, wie hart es eigentlich sein kann, zur Schule zu gehen, und wie sehr man schätzen sollte, dass man sein eigenes Mathe- oder Englischbuch einfach ausgehändigt bekommt – und es nicht mit sechs anderen Schülern in der Klasse teilen muss, weil es schlicht nicht genügend Bücher gibt.

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Manchmal haben die Schüler Jacken an, weil es einfach sehr kalt in den Klassenräumen wird. Schließlich gibt es keine Scheiben in den Fenstern. Foto: Janni Moshage Moldt

Jeden Tag dasselbe Essen

Jeden Tag essen die Schüler in der Schule ein Gericht mit dem Namen Makande. Jeden Tag wieder gibt es dieses eine Gericht zu essen.

Wenn die Mittagspause beginnt, stellen sich die Schüler in Reih und Glied auf mit ihrem eigenen kleinen Metalltellerchen, einige sogar mit einem Löffel, und dann verteilen die älteren Schüler an jeden einen Löffel Makande.

Um 8 Uhr morgens beginnt die Schule, und sie dauert bis 15.30 Uhr, wo nur diese eine Mahlzeit ausgegeben wird.

An einem Häuschen, das zur Schule gehört, können zwar Süßigkeiten und Kuchen gekauft werden, doch längst nicht alle Schüler können sich das leisten.

Und es ist auch nicht gerade das, was ihre kleinen Mägen brauchen, wenn sie einen so langen Tag haben, und das jeden Tag.

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Die Autorin dieses Textes, in weißem T.Shirt und braunem Hemd, unter den Schülern Foto: Janni Moshage Moldt

Nach der Schule geht es weiter mit dem Programm

Denn auch nach der Schule geht es mit dem Programm weiter. Sport, Chor, Singen und so weiter werden an der Schule angeboten.

Jeden Freitag gibt es zudem Religionsstunden, wo sich alle Schüler jahrgangsübergreifend treffen – in den unterschiedlichen Klassenzimmern verteilt nach Religionszugehörigkeit.

Hier leiten die älteren Schüler die Stunden, wo gebetet wird, gesungen, getanzt und gepredigt.

 

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In einer Religionsstunde trommeln die Jungen und tanzen nach den Gesängen der Mädchen. Foto: Janni Moshage Moldt

Es macht unheimlich Spaß, daran teilzunehmen, weil man wirklich sieht, wie sehr die Schüler es genießen. Kein Lehrer ist zugegen, einfach nur die Schüler, die zusammenhalten.

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Eine der zahlreichen Tätigkeiten nach der Schule: Die Schüler üben sich in Gesang und Tanz für verschiedene schulische Festlichkeiten, darunter auch die eigene Abschlussfeier. Foto: Janni Moshage Moldt

Ein klein wenig die Welt retten

Es stellt vieles auf den Kopf, aus einem gut funktionierenden, schönen, sauberen und privilegierten Gymnasium daheim hier nach Afrika zu kommen und zu erleben, wie die Wirklichkeit auch aussieht.

Ich werde das ganz klar viele Jahre mit mir tragen und damit nicht genug – ich werde niemals vergessen, wie dankbar ich für das Leben bin, das ich in Dänemark habe.

Doch zugleich denke ich jeden Tag daran, wie sehr ich wünschen würde, dass ich allen Kindern hier unten dieselben Möglichkeiten geben könnte, die die gleichaltrigen Kinder in Dänemark haben.

Leider kann ich nicht die ganze Welt retten, und ich versuche mir einzureden, dass allein meine Anwesenheit hier und jetzt vielleicht dazu beitragen kann, den Kindern jetzt ein wenig zu helfen. Und den Rest sehen wir, wenn ich zurückkomme.

Denn es wird ganz bestimmt nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich meine Fußspuren hier in Afrika hinterlassen habe.

 

Zum ersten Teil der Serie geht es hier:

 

Tansania

Tansania

Tansania liegt in Ostafrika und ist ungefähr doppelt so groß wie Schweden – und hat mit rund 57.000.000 Einwohnern ungefähr so viele wie Italien – oder zehnmal so viele wie Dänemark.
Regierungssitz ist Daressalam. Die Nationalsprache ist Swahili.

Auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen liegt das Land relativ niedrig auf Rang 151, auf dem ungleichheitsbereinigten Index immerhin auf Rang 115 (Dänemark: 11 und 9,  Deutschland 5 und 7).

Tansania wurde 1961 unabhängig vom Vereinigten Königreich. Bis 1916 gehörten Teile des Landes zur deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“.

Die Bevölkerung ist Schätzungen zufolge zu jeweils einem Drittel muslimisch, christlich oder traditionell religiös.

Während es keine religiösen Verfolgungen gibt, ist es laut den Vereinten Nationen um Frauen- und Kinderrechte in Tansania schlecht bestellt, Homosexuelle werden sogar staatlich verfolgt – obwohl das Land diverse Konventionen ratifiziert hat, die den Schutz von Frauen, Kindern und/oder sexuellen Minderheiten sicherstellen sollen.

Die Shangri-La-Farm

Die Farm in Tansania gehört Jacob Christian Jebsen aus der Apenrader Reeder-Familie Jebsen.

1990 übernahm Jebsen, der 1980 sein Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig in Apenrade gemacht hat und seit den 1980er Jahren auf dem Dorotheenhof bei Loit Landwirtschaft betreibt, die Farm am Rande des Ngorongoro-Kraters in rund 1.800 Metern Höhe.

Haupteinnahmequelle ist Kaffee, der als Rohkaffee („NgoroNgoro Mountai Coffee“) und gerösteter Kaffee („Kifaru“) vertrieben wird, unter anderem durch die Lübecker Bäckereikette „Junge“.

Die Farm wird vorwiegend von einheimischen Mitarbeitern betrieben und geführt.

Auf dem Gelände gibt es einen Kindergarten und Unterricht für die Kinder der Mitarbeiter und der Saisonarbeiter, zudem unterstützt das Unternehmen eine benachbarte Schule.

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