Schule in Tansania
Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl
Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl zum drauf sitzen
Nicht jeder hat seinen eigenen Stuhl zum drauf sitzen
Snapchat, Schulstress und Konsum – die junge Nordschleswigerin Janni Moshage Moldt hat das alles für eine Weile eingetauscht gegen ein Leben auf einer Farm in Afrika. Mit Elefanten, lachenden Kindern, traumhaften Sonnenuntergängen – und in Dänemark ungekannter Armut. Zweiter von drei Teilen.
„Man lernt viel darüber, wie anders das Ausbildungssystem einfach ist und wünscht sich jeden Tag wieder, dass man ihnen dieselben Möglichkeiten geben könnte, die ich hatte.“
Diese Gedanken gehen mir jeden Tag durch den Kopf, wenn ich morgens um acht in der Mlimani Secondary School ankomme, um die „Form One“-Schüler in Englisch zu unterrichten.
Plötzlich Englisch statt Suaheli
Wer hier an die weiterführende Schule wechselt, muss sich darauf gefasst machen, dass sämtlicher Unterricht plötzlich auf Englisch vonstattengeht – und nicht mehr in der Muttersprache Suaheli.
Englisch war für die Kinder bis dahin nur ein Schulfach an der Grundschule, die sie bereits sechs bis sieben Jahre lang besucht haben. Eingeschult werden sie mit sechs oder sieben Jahren.
Die weiterführende Schule dauert dann vier Jahre für die, die es in einem Rutsch schaffen.
Gemeinsam mit einem anderen dänischen Mädchen unterrichte ich Englisch in der ersten Klasse der weiterführenden Schule, die sich „form one“ nennt.
An den Englisch-Kompetenzen der Schüler ist deutlich zu merken, dass es ihr erstes Jahr ist, in dem der gesamte Unterricht auf Englisch vor sich geht – noch sind sie nicht alle gleich gut und selbstbewusst, was die Sprache angeht.
Um in die nächste Klasse versetzt zu werden, müssen sie einen Test bestehen. Gelingt ihnen das nicht, können sie das Schuljahr wiederholen. Das allerdings nur einmal pro Schuljahr, ansonsten fliegen sie von der Schule.
Nicht jeder kann oder will sich weiterführenden Schulbesuch leisten
Seitens der Regierung sind die Menschen in Tansania nur dazu verpflichtet, die Grundschule zu besuchen, und deshalb sind es längst nicht alle Kinder, die auf weiterführende Schulen gehen.
Man spürt deutlich, dass es unter den Eltern solche gibt, die großen Wert darauf legen, dass ihre Kinder das Schulsystem ganz absolvieren – und solche, die nicht dieselbe Unterstützung haben.
Es gibt Schüler, die ihre Freizeit dazu nutzen können, Hausaufgaben zu machen und zu lernen, doch bei anderen Kindern ist es so, dass die Eltern von ihrer Freizeit abhängig sind.
Sie müssen Wäsche waschen, putzen, Essen zubereiten oder arbeiten. Dieser Unterschied spiegelt sich leider auch in den Fertigkeiten und im Engagement der Schüler im Schulalltag wider.
Doch kann man das nicht gut verstehen? Wenn die Eltern der Schüler ihren Schulbesuch nicht fördern, wenn die Eltern vielleicht selbst nicht zur Schule gegangen sind, dann ist es für die Schüler möglicherweise schwer, nach der Grundschule weiterzukommen. Denn warum vier Jahre „verschwenden“?
Mir ist klar, dass Unterricht eine Grundlage für die Bildung in einer Gesellschaft ist und dass er der künftigen Generation nutzen wird. Doch leider sind es nur die allerwenigsten, die weiterkommen, weil es einfach zu teuer ist.
Nicht alle Lehrer brennen für ihren Beruf
Die Mentalität unter den Lehrern ist auch ganz anders. Einige der Lehrer nehmen ihre Arbeit wirklich ernst, sind pünktlich und wünschen den Kindern den größtmöglichen Erfolg.
Doch es gibt auch solche, die nur des Geldes wegen da sind und leider nicht immer die Fertigkeiten oder den Willen haben, ordentlich zu lehren. Das ist traurig, mitanzusehen.
Doch man kann eine Kultur nicht verändern, und nach zwei Monaten hier sehe ich ein, dass es nicht nur an meiner Schule so ist, sondern dass es hier unter den Lehrern einfach zur Mentalität gehört. Das muss man akzeptieren.
Drei Stühle für vier Schüler
Die Unterschiede zwischen dem Gymnasium daheim und dem Klassenzimmer hier in Afrika sind allzu deutlich. Es mangelt an mehr, als dass es etwas gibt. Doch die Schüler zeigen sich unbeeindruckt. Sie kennen es nicht anders. Ich bin es, der es auffällt, weil ich daheim über reichlich Privilegien und Güter verfügt habe.
Beim Unterricht fühlen wir den Wind und den Regen durch die Fenster, die vielleicht einmal verglast waren. Wir sehen unsere Fußspuren auf dem halb zerstörten Betonboden, den die Schüler jeden Morgen selbst wischen.
Sie sitzen eng gepackt in Reihen, zwei Tische und drei Stühle werden leicht mal von vier Schülern geteilt, da es nicht immer genügend Tische oder Stühle für alle gibt.
Das ist schwer mit anzusehen, ganz bestimmt. Wie einige Schüler Löcher in ihren kleinen Uniformen bekommen, wie ihre Hefte auseinanderfallen und wie sie verzweifelt versuchen, auch die allerletzte Tinte aus ihrem Kugelschreiber zu bekommen.
Im ersten Jahr ist alles neu
Der Schultag gibt einen Schub für den Rest des Tages. Anfangs waren die Kinder sehr schüchtern, was nur allzu verständlich ist. Aber mit der Zeit sind sie sehr viel offener geworden, redselig und einfach unglaublich lieb.
Sie lieben es, sich mit uns zu unterhalten, Fragen darüber zu stellen, wo wir herkommen, über unser Leben – und sie lieben Lernspiele. Es ist ein einziges Erfolgserlebnis zu sehen, wie sie miteinander so viel Spaß haben, selbst wenn es nur um ein Wortspiel an einer verschmutzten Tafel und ein Stück Kreide geht.
Dankbarkeit angesichts der Möglichkeiten in Dänemark
Ich glaube, wenn ich eines Tages wieder in der Heimat die Schulbank drücke, um weiterzustudieren, werde ich die Privilegien, die mir gegeben sind, niemals vergessen, welches Glück ich habe und wie dankbar ich sein sollte, weil ich so viele Möglichkeiten vor mir habe – ohne wirklich vieles opfern zu müssen.
Ich glaube, ich werde niemals vergessen, wie ein Schulsystem aussehen kann, wie hart es eigentlich sein kann, zur Schule zu gehen, und wie sehr man schätzen sollte, dass man sein eigenes Mathe- oder Englischbuch einfach ausgehändigt bekommt – und es nicht mit sechs anderen Schülern in der Klasse teilen muss, weil es schlicht nicht genügend Bücher gibt.
Jeden Tag dasselbe Essen
Jeden Tag essen die Schüler in der Schule ein Gericht mit dem Namen Makande. Jeden Tag wieder gibt es dieses eine Gericht zu essen.
Wenn die Mittagspause beginnt, stellen sich die Schüler in Reih und Glied auf mit ihrem eigenen kleinen Metalltellerchen, einige sogar mit einem Löffel, und dann verteilen die älteren Schüler an jeden einen Löffel Makande.
Um 8 Uhr morgens beginnt die Schule, und sie dauert bis 15.30 Uhr, wo nur diese eine Mahlzeit ausgegeben wird.
An einem Häuschen, das zur Schule gehört, können zwar Süßigkeiten und Kuchen gekauft werden, doch längst nicht alle Schüler können sich das leisten.
Und es ist auch nicht gerade das, was ihre kleinen Mägen brauchen, wenn sie einen so langen Tag haben, und das jeden Tag.
Nach der Schule geht es weiter mit dem Programm
Denn auch nach der Schule geht es mit dem Programm weiter. Sport, Chor, Singen und so weiter werden an der Schule angeboten.
Jeden Freitag gibt es zudem Religionsstunden, wo sich alle Schüler jahrgangsübergreifend treffen – in den unterschiedlichen Klassenzimmern verteilt nach Religionszugehörigkeit.
Hier leiten die älteren Schüler die Stunden, wo gebetet wird, gesungen, getanzt und gepredigt.
Es macht unheimlich Spaß, daran teilzunehmen, weil man wirklich sieht, wie sehr die Schüler es genießen. Kein Lehrer ist zugegen, einfach nur die Schüler, die zusammenhalten.
Ein klein wenig die Welt retten
Es stellt vieles auf den Kopf, aus einem gut funktionierenden, schönen, sauberen und privilegierten Gymnasium daheim hier nach Afrika zu kommen und zu erleben, wie die Wirklichkeit auch aussieht.
Ich werde das ganz klar viele Jahre mit mir tragen und damit nicht genug – ich werde niemals vergessen, wie dankbar ich für das Leben bin, das ich in Dänemark habe.
Doch zugleich denke ich jeden Tag daran, wie sehr ich wünschen würde, dass ich allen Kindern hier unten dieselben Möglichkeiten geben könnte, die die gleichaltrigen Kinder in Dänemark haben.
Leider kann ich nicht die ganze Welt retten, und ich versuche mir einzureden, dass allein meine Anwesenheit hier und jetzt vielleicht dazu beitragen kann, den Kindern jetzt ein wenig zu helfen. Und den Rest sehen wir, wenn ich zurückkomme.
Denn es wird ganz bestimmt nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich meine Fußspuren hier in Afrika hinterlassen habe.
Zum ersten Teil der Serie geht es hier: