Diese Woche in Kopenhagen

„Keine Ballons am politischen Himmel“

Keine Ballons am politischen Himmel

Keine Ballons am politischen Himmel

Kopenhagen
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Der politische Sommer dauert vier Monate lang. Warum man dennoch nicht wegen des auf-der-faulen-Haut-Liegens eine politische Karriere wählen sollte, erklärt Walter Turnowsky. Und wer bis gegen Ende der Kolumne durchhält, bekommt als Belohnung auch eine Erklärung für die Ballons.

Es ist noch ausgesprochen ruhig hier auf Christiansborg. Einzelne Kolleginnen und Kollegen sind in den Nachbarbüros – aber eben nur einzelne.

Einer von ihnen begrüßte mich mit einem „Was machst du denn hier?“ als er an meiner offenen Tür vorbeiging. Ich verkniff es mir, ihn dasselbe zu fragen. Erzählte hat er es mir dennoch: Er wollte nur eben klären, wann und wo die Parteien ihre Sommerfraktions-Tagungen (sommergruppemøder) halten werden. 

Der Grund für die Frage des Kollegen ist nicht zu übersehen, beziehungsweise -hören. Die allermeisten Büros auf den Gängen der Parteien sind still und verlassen. Nach Abgeordneten hält man vergeblich Ausschau; vereinzelt sitzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen in ihren Büros. Sie sehen nicht aus, als würden sie sich geradezu überanstrengen. 

Vier Monate Urlaub?

Da könnte der oder dem einen, die oder der das täglich Brot auf andere Weise verdient, – vielleicht sogar dir – glatt der Gedanke kommen: Ich will auch Folketingsmitglied werden, da hat man schöne lange Sommerferien. Vor allem, wenn man das politische Geschehen etwas genauer verfolgt, und weiß, dass die Abschlussdebatte des Folketings Ende Mai stattfindet, und das neue Folketingsjahr erst am ersten Dienstag im Oktober die Arbeit wieder aufnimmt. Letzteres schreibt das Grundgesetz vor. 

Vier Monate Sommerferien also: Davon können andere nur träumen. Doch bevor du jetzt allzu sehr in Träumereien über eine gemütliche politische Karriere versinkst, sollst du eines wissen: Das mit den vier Monaten Sommerferien ist in Wahrheit gar nicht so.

Die eigentliche Arbeit

Zunächst einmal sind üblicherweise auch nach der Abschlussdebatte noch ein paar Sitzungen im Plenarsaal, damit die letzten Gesetzanträge noch beschlossen werden können. Vor allem aber tagen die Ausschüsse noch den gesamten Juni, und dort findet ja die eigentliche Arbeit statt.

Somit ist der erste von den vier Monaten also schon einmal weg. Und Mitte August fängt die Ausschussarbeit bereits wieder an. 

Viel Programm im August und September

Und dann sind da ja noch die bereits erwähnten „Sommergruppemøder“. Sie sind den Neujahrstagungen der deutschen Parteien ähnlich. Hier erörtern die Parteien die wichtigsten Vorhaben für das kommende Folketingsjahr – und wollen natürlich auch in der Öffentlichkeit Zeichen setzen. Die politischen Inhalte für so eine Veranstaltung bereiten sich nun einmal nicht von selbst vor. 

Wie mein netter Kollege mir erzählte, findet die erste dieser Sommertagungen in Sonderburg (Sønderborg) statt. Es ist die der Moderaten. 

Ach ja, und da wäre ja auch noch die kleine Sache mit dem Haushalt. Den Vorschlag dazu muss die Regierung spätestens am 30. August vorstellen. Auch hier ist es wiederum das Grundgesetz, dass dieses Datum vorschreibt. Unmittelbar danach beginnen die Verhandlungen darüber. Auch im September sind die Politikerinnen und Politiker also mit genügend Arbeit versorgt. 

Die Ballons

„Aber was ist mit den Ballons aus der Überschrift?“, werden sich allmählich einige Leserinnen und Leser ein wenig ungeduldig fragen. Diese, also die Ballons, lassen üblicherweise einige Abgeordnete im eigentlichen Urlaubsmonat, dem Juli, steigen. 

Mit Testballons (prøveballoner) meint man in der dänischen Politsprache Ideen, Vorschläge und Gedanken, die noch nicht in Stein gemeißelt sind. Man lässt sie eine Zeit lang schweben, um zu testen, wie die Reaktionen auf sie sind.

Das Schöne daran, sie im Juli steigen zu lassen, ist, dass man sehr leicht in den Medien unterkommt. Nicht umsonst sprechen wir im Journalismus von der saure-Gurkenzeit (die auf Dänisch allerdings nicht sauer, sondern nur Gurken sind). Einige Abgeordnete sind über die Jahre wahre Meisterinnen und Meister darin gewesen, mit ihren Ballons in die Schlagzeilen zu kommen.

Der leere Himmel

In diesem Sommer sind jedoch keine 99 Luftballons zu erblicken; es geht eher so gegen 0. Ein einziges Ballönchen habe ich entdecken können: Der Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Morten Messerschmidt, hat vorgeschlagen, dass man vor Wahlen eine Sperrzeit für Umfragen einführen sollte. Der Umfang der Berichterstattung entsprach so ungefähr der Größe des Ballons – man braucht sich also nicht zu schämen, sollte man das nicht mitbekommen haben.

Laut „Berlingske“ wird bereits darüber spekuliert – oder ist es in Wahrheit die Zeitung selbst, die spekuliert? – woher diese ungewöhnliche Ballonleere kommt. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Politikerinnen und Politiker mit ihrer immer weiter steigenden Präsenz in den Medien und vor allem den sozialen Medien, einfach auch mal eine Auszeit brauchen. 

Wer weiß: Das könnte vielleicht nicht nur ihnen persönlich guttun, sondern der politischen Auseinandersetzung insgesamt. Und wir Journalistinnen und Journalisten müssen unsere Gurken eben woanders ernten als in den politischen Beeten. 

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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