Die Woche am Alsensund

„Klitschko gegen Putin – mit dem Strumpfbandführer als Ringrichter“

Klitschko gegen Putin – mit dem Strumpfbandführer als Ringrichter

Klitschko vs. Putin – mit dem Strumpfbandführer als Richter

Sonderburg/Sønderborg
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Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

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Beim Anblick alter Zeitungen im Deutschen Museum stellte sich Kolumnistin Sara Eskildsen in dieser Woche am Alsensund die Frage, ob es einen gerechten Krieg gibt.

In dieser Woche am Alsensund stieß ich im Keller des Deutschen Museums Nordschleswig auf eine gute Geschichte. Dutzende Zeitungsbände der „Nordschleswigschen Zeitung“ aus den Jahren 1929 und 1945 waren ins Archiv gekarrt worden, wo sie nun archiviert und erforscht werden.

Während ich Museumsleiter und Archivleiterin mein Mobiltelefon zwecks Tonaufnahme vor die Nase hielt, wollte ich meine am liebsten sofort in die alten bedruckten Papierseiten stecken. Um zu lesen, was meine Vorgängerinnen und Vorgänger journalistisch alles so abgeliefert haben.

Überschriften wirken heute grotesk

Die Überschriften von einst wirken heute grotesk. „Hamburg ist stolz auf seine Hitlerjugend“ – nicht nur rein technisch unterscheiden sich die Zeitungen von damals vom Online-Auftritt des „Nordschleswigers“ von heute.

Damals gab es noch kein Facebook – nicht mal Internet – und so postete man nicht, man ließ drucken. Der Verband „Deutsche Berufsgruppen in Nordschleswig“ lud am 9. August 1943 zum Vortrag „Leistungsertüchtigung als Mittel zum Endsieg“ ein, und ein Sturmbannführer teilte seine Verlobung mit.

Freundlicherweise wurde ich nach Schreiben meines Artikels darauf aufmerksam gemacht, dass es „Sturmbannführer“ und nicht „Sturmbandführer“ heißt, wie ich ursprünglich getippt hatte. Zumindest hatte ich nicht Strumpfbandführer geschrieben, immerhin.

Die „Nordschleswigsche Zeitung“ berichtete am 11. August 1943 vom Krieg im Osten, unter anderem rund um die Stadt Charkow, heute Charkiw. Foto: Sara Eskildsen

Das Interview im Archivkeller war eine super interessante Zeitreise. Rund 80 Jahre später standen wir vor einem gedruckten und beschriebenen Alltag, der für die Menschen von damals völlig normal war. Als die Bezeichnung „Nationalsozialist“ absolut nicht negativ gemeint und die SS ein angesehener Arbeitgeber war.

Fast konnte man sich beim Blick in die Zeitungen ein wenig überlegen fühlen. Fortschrittlicher, aufgeklärter, Teil einer besseren, geläuterten Menschheit. Aber nur fast. Denn mitten im Überheben holte mich Museumsleiter Hauke auf den Kellerboden der Tatsachen zurück. „Viele der Städtenamen aus dem Krieg im Zweiten Weltkrieg höre ich jetzt wieder in den Nachrichten“, sagte er und meinte den aktuellen Ukraine-Krieg.

Wieder ist Russland der Feind, nur ganz anders

Und da standen wir, zwei Historiker und eine Journalistin der deutschen Minderheit in Nordschleswig, 80 Jahre später und mit einem aktuellen Krieg im Nacken.

In den Kriegsberichten von heute ist wieder von Charkiw die Rede. Wieder ist Russland der Feind, nur ganz anders. Heute transportieren nicht mehr Zeitungen die Neuigkeiten, sondern Twitter und Live-Streams. Internetseiten, die uns im Minutentakt mit News füttern. Tag und – bei Schlafproblemen – auch Nacht.

Wer einmal im Deutschen Museum in Sonderburg vor der Fotowand mit den gefallenen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gestanden hat, den beschleicht aktuell ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung, wer in diesen russischen Panzern und Kampffahrzeugen sitzt.

Sara Eskildsen, Journalistin

Hat die Menschheit in den 80 Jahren gar nichts hinzugelernt, mag man sich angesichts des Krieges in Europa fragen. Sind Krieg und Kampf jetzt doch die beste Lösung?

In den Medien kann ich täglich von Helden lesen, die in den Krieg gegen Putin ziehen. Home Storys von der Front. Mutige Menschen, die ein Land verteidigen. Doch gekämpft wird von Mensch zu Mensch, während Kriegstreiber Putin aus sicherer Entfernung Befehle gibt.

Erschossen und getötet werden russische Bürger. Ein jeder mit einer Geschichte, Wünschen, Freunden, Familie und einem Geburtstag. Jeder tote Soldat verändert den Lauf der Generationen – auf beiden Seiten der Front. Nicht Panzer steuern auf Kyjiw zu, sondern Menschen. Menschen, die Befehle ausführen und die mit den Waffen aus Europa gestoppt und getötet werden.

Damals zogen Soldaten aus Nordschleswig in den Krieg

Wer einmal im Deutschen Museum in Sonderburg vor der Fotowand mit den gefallenen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gestanden hat, den beschleicht aktuell ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung, wer in diesen russischen Panzern und Kampffahrzeugen sitzt.

Damals zogen Soldaten aus Nordschleswig in den Krieg gegen den vermeintlichen Feind. Damals wie heute vornehmlich Männer, geboren und aufgewachsen in einer Zeit*, in dem sie gelernt haben zu gehorchen, oder die keine Zukunft sahen und das Abenteuer suchten. Ausführende und zurechterzogene Glieder in einem von oben befohlenen Krieg.

Nicht Putin wird von den europäischen Raketen getroffen. Sondern russische Soldaten, die Namen, Eltern, Verlobte und Kinder haben. Menschen, um die geweint wird, wenn sie von den Raketen getötet werden.

Meine Wunschvorstellung von einem Krieg in Europa

Jeder ungerechte Frieden ist besser als ein gerechter Krieg, soll Cicero gesagt haben. Nie stand ein Satz mehr zur Debatte als dieser.

Denn es ist ein verlockender Gedanke, dass es einen guten Krieg gibt, gerade jetzt mit Blick auf das Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer und das Unrecht, das ihnen geschieht.

Meine Wunschvorstellung ist es, dass der Bürgermeister von Kyjiw und der russische Diktator die Sache im Boxkampf unter sich ausmachen. Klitschko gegen Putin, mit dem Strumpfbandführer als Ringrichter. Ein fairer Kampf ohne menschliches Kanonenfutter in Russland und der Ukraine. Das wäre meine Wunschvorstellung von einem Krieg in Europa.

 

 

 

 

 

 

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist am 21. März geändert worden. Wir haben uns entschieden, das Wort Regime im vorletzten Absatz zu streichen. Denn die SS-Soldaten aus Nordschleswig sind natürlich nicht im faschistischen Deutschland aufgewachsen, sondern im Königreich Dänemark. Dass sie hier an den Schulen der Minderheit, zumindest am Deutschen Gymnasium, auf Linie gebracht wurden, kann man unter anderem in der Chronik „50 Jahre Deutsches Gymnasium Nordschleswig” in der Schilderung Günther Oestens nachlesen. Sie unterlagen aber in Dänemark selbstverständlich nicht derselben systematischen Nazifizierung wie die Jugend in Deutschland.

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