Flucht nach Dänemark

Flüchtlingslager: Auch ein Teil Tonderner Stadtgeschichte

Flüchtlingslager: Auch ein Teil Tonderner Stadtgeschichte

Flüchtlinglager: Auch ein Teil Tonderner Stadtgeschichte

Tondern/Tønder
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Das frühere Gaswerk vor den Toren Tonderns: Die Kommune möchte das Gebäude aus den Zeiten des Luftschiffhafens Tondern nicht kaufen, die Freiwilligen aber unterstützen (Archivbild). Foto: Brigitta Lassen

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Der im Volksmund als Exerzierhof benannte Bereich am Ribe Landevej kurz vor dem Soldaterskoven, wo die Einrichtung eines Garnisonsmuseums im früheren Gaswerk geplant ist, war ab 1945 ein vorübergehender Schutzort für mehr als 1.300 geflüchtete Menschen aus den Ostgebieten Deutschlands.

Ein Stück Tonderner Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten. Bis auf eine kleine, rote Holzbaracke zeugt nichts mehr auf dem früheren militärischen Exerzierplatz am Ribe Landevej 33 von der Zeit, als dort ein Flüchtlingslager für mehr als 1.300 Menschen aus Deutschlands Ostgebieten eingerichtet war. Damit jüngere Generationen auch an diese Zeit erinnert werden, plant der Kreis Freiwilliger, der im früheren Gaswerk des 1918 durch Bomben zerstörten Luftschiffhafens, ein Garnisonsmuseum einrichten will, Informationen über dieses Kapitel der Geschichte. Im Rahmen dieses Projektes soll über das Internierungslager für deutsche Flüchtlinge berichtet werden.

Februar 1945 Ankunft der ersten Flüchtlinge

Vor 76 Jahren wurde das Lager endgültig geräumt, das 1945 zum Verdruss der Bevölkerung und der dänischen Widerstandsbewegung eingerichtet worden war. Die Deutschen waren in Dänemark nicht willkommen, da sie das Land1940 besetzt hatten. Doch am 3. Februar 1945 erreichten die ersten Flüchtlinge doch Tondern. Am 3. April 1945 kam die erste größere Gruppe aus Ostpreußen von Kopenhagen nach Tondern. Die meisten wurden weiter ins Flüchtlingslager in Oksbøl bei Varde gebracht. 

In Oksbøl entwickelte sich im Lager der deutschen Flüchtlinge rasch ein eigenes Kulturleben, und es entstanden Gartenanlagen zur Erzeugung von Lebensmitteln und zur Betätigung. Foto: Varde Museum

Am 24. September wurden die meisten ins größere Lager in Oksbøl verlegt. Auch im Saxburger Krug und auf dem Hof Hohenwarte in Hoyer wurden Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet. Im Lokalhistorischen Archiv in Tondern liegen heute noch herzergreifende Dankesbriefe von deutschen Familien vor, die gerne ins Tonderner Lager zurückkehren wollten, erzählt der Vorsitzende des Tonderner Zeppelin- und Garnisonsmuseums, Anders Jacobsen.

Mehr als ein Drittel waren Kinder

Auf dem Exerzierhof waren 1.350 Flüchtlinge interniert – davon 470 Kinder unter 15 Jahre. Die meisten kamen aus Ostpreußen. Die Flüchtlingsbaracken kamen hauptsächlich von Röm (Rømø). Für jeden Flüchtling gab es nur etwa zwei Quadratmeter Platz.

Nur 120 Personen kamen aus anderen westlichen Ländern, schreibt der Lokalhistoriker Uwe Brodersen auf seiner Internetseite Dengang.

Erster Lagerleiter zu links

Der erste Lagerleiter war der Lehrer des Tonderner Gymnasiums, Otto Høyer, der aktiv im Widerstand gewesen war. Er war vom politischen Gedankengut des Kommunismus angetan. Das passte dem damaligen konservativen Bürgermeister Tonderns, Johannes Paulsen, nicht. Daher wurde Leutnant E. Marquardsen zum neuen Lagerchef ernannt. Seine Ernennung löste Kritik aus, unter anderem in der Widerstandsbewegung und bei Otto Høyer. Daher übernahm Marquardsens Vater die Leitung des Lagers. Er brachte militärische Erfahrungen aus der Tonderner Kaserne mit.

Ihm folgten Oberstleutnant O. Oldfeldt und Ludvig Nielsen, Büroleiter bei der Kommune Tondern.

Jeder Flüchtling hatte Arbeitspflicht. Alle Arbeiten wurden unter Aufsicht von deutschen Vertrauensleuten ausgeführt. Die Internierten durften aber auch einen eigenen Stadtrat und Bürgermeister wählen.

 

Es gibt einige wenige Fotos, die den Aufenthalt der Flüchtlingskinder in den Jahren 1945 bis 1947 auf dem Hof „Hohenwarte" bei Hoyer dokumentieren. Foto: Privat

Schnell wurde eine Schule eingerichtet. Zweimal wurde im Lager Weihnachten gefeiert und bunte Abende mit eigenem Orchester und Theatergruppen und Chören veranstaltet. Auch fanden deutsche Gottesdienste und kirchliche Handlungen für Protestanten und Katholiken statt. Eine Schuster- und eine Tischlerwerkstatt sowie eine Schmiede wurden eingerichtet, wo unter anderem Kachelöfen für das Lager gebaut wurden.

 

Der Schwarzmarkt blühte

Bis zur Kapitulation Deutschlands am 5. Mai 1945 soll die Verpflegung im Lager gut, aber einseitig gewesen sein, schreibt Uwe Brodersen. Als die Widerstandsbewegung die Aufsicht übernahm, verschlechterte sich das Lageressen, bis die Aufsicht vier Tage nach Waffenstillstand von der zivilen Luftfahrtbehörde des Staates übernommen wurde. Zunächst war den Flüchtlingen verboten, außerhalb des Lagers Pakete mit Nahrungsmitteln, Tabak und Ähnlichem anzunehmen, teils gespendet von den Familien, die sie privat einquartiert hatten. Nach der Kapitulation blühte der Schwarzmarkt auf.

Vom Tonderner Flüchtlingslager gibt es kaum Bilder. Dieses Fotos zeigt Kinder im Flüchtlingslager Dragør bei Kopenhagen. Die Lager waren von der Öffentlichkeit isoliert, um Mitleideffekte zu unterbinden und die Insassen daran zu hindern, Kontakt mit der dänischen Bevölkerung zu suchen. Dennoch sind auch Partnerschaften und Ehen aus unerwünschten Kontakten über die Lagergrenze hinweg entstanden. Foto: Gyldendal

Die Sterblichkeit der Flüchtlinge war wegen Unterernährung und Epidemien groß, berichtet Uwe Brodersen. Ein Drittel der 1.350 Internierten war älter als 60 Jahre. Dennoch schrieb die Zeitung „Tønder Amtstidende“ 1946: „Im Flüchtlingslager gibt es kaum kranke Menschen. Seit mehr als einem Jahr sind nur 13 Personen gestorben, während 18 Kinder geboren wurden.“ 

Von Hausärzten und im Krankenhaus wurden die Erkrankten sowohl vor als auch nach Kriegsende versorgt. In diesem Zeitraum gab es Militärlazarette im Lehrerseminar, im Tønderhus und im deutschen Ruderklub, die nach dem Krieg von Engländern kontrolliert wurde.

87 Soldaten und Flüchtlinge verstarben in Tondern und wurden auf dem Tonderner Friedhof beigesetzt.

Auf dem Tonderner Friedhof wurden verstorbene Flüchtlinge und Soldaten beerdigt (Archivfoto). Foto: Elise Rahbek Ohlsen

Obwohl das Lager abgesperrt und bewacht war, kam es doch häufig vor, dass Insassen den Zaun überwanden. Vor Ende des Krieges hatten die Flüchtlinge noch Freigang, dies änderte sich nach der Kapitulation. Doch auch Männer aus Tondern gelangten auch ins Lager. Mit Konsequenzen, denn die Männer suchten die Nähe der Frauen auf. Die Kindesväter waren zu 50 Prozent teils Mitglieder des Wachpersonals und teils Männer aus Tondern, manche verheiratet. Es folgten mehrere Vaterschaftsklagen. Die weiblichen Flüchtlinge beschwerten sich über das Verhalten der Männer, die das Flüchtlingslager als reines Bordell betrachteten. Vor Ende des Krieges hatten die Flüchtlinge noch Freigang. Dies änderte sich nach der deutschen Kapitulation.

30 mussten aufräumen

Im November 1946 sank die Anzahl der Flüchtlinge im Lager langsam. Am 19. November konnten 25 Erwachsene und 10 Kinder das Lager verlassen. Sie kehrten zurück nach Deutschland. Anfang 1947 wurden 178 Personen ins Lager in Barsmark bei Loit (Løjt) verlegt. Sie sahen die Verlegung in andere Lager als Strafe an. Am 6. Februar 1947 um 4.30 Uhr verließ der erste große Tross das Lager. Zwölf Tage später folgten 624 Personen nach zwei Jahren hinter Stacheldraht. 30 blieben zurück, um das Lager aufzuräumen.

 

In Dänemark starben nach dem Krieg rund 17.000 Flüchtlinge aus Deutschland. 2,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger sowie verletzte Soldaten wurden innerhalb von 100 Tagen von Ostpreußen über die Ostsee in norddeutsche Häfen gebracht. Von dort ging es für 250.000 Flüchtlinge und rund 50.000 verletzte Soldaten nach Dänemark. 70.000 waren Kinder jünger als 15 Jahre.

 

 

 

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