Leserbeitrag

Nachruf: Johanna Elisabeth Christensen zum Gedenken

Nachruf: Johanna Elisabeth Christensen zum Gedenken

Nachruf: Johanna Elisabeth Christensen zum Gedenken

Werner Christensen
Tondern/Tønder
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Johanna Christensen mit ihrem jüngsten Enkel Holger Foto: privat

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Die gelernte Gärtnerin verstarb im hohen Alter von 94 Jahren in Tondern. In ihrem langen Leben ist sie nach der Flucht aus ihrer Heimat viele Male umgezogen. Ihr Sohn Werner hat einen Nachruf über seine Mutter geschrieben.

 

Johanna Elisabeth Christensen, geb. Dudzik, wurde am 19. Mai 1928 in Weißenfels an der Saale (damals Thüringen) geboren. Ihre ältere Schwester hat sie jedoch nie erlebt. Sie starb zuvor, weshalb Johanna als Einzelkind aufgewachsen ist. Schon früh entfaltete sie ihre kreativen Fähigkeiten, und zu ihren Lieblingsfächern in der Schule, die sie kurz vor Kriegsende beendete, zählten unter anderem Geschichte und Heimatkunde. Anschlie­ßend begann sie eine Ausbildung zur Anlagengärtnerin, die anfangs in Halle stattfand. Das Interesse für Blumen und Pflanzen hat sie ihr Leben lang begleitet.

Die Wirren und Zerstörungen des Krieges und der Nachkriegszeit schienen auch Johan­nas Zukunftsträume zerstören zu wollen, zumindest waren die Ausbildungs- und Beschäfti­gungsmöglichkeiten, die ihren Träumen entsprachen, in der von den sowjetischen Truppen besetzten Zone Deutschlands sehr gering. Außerdem entging sie bei mindestens einer Gelegenheit nur knapp einer Vergewaltigung durch russische Soldaten, die mitunter nachts die Züge anhielten und sich über die jungen Frauen hermachten. Da half nur die Flucht über die offenen Felder mitten in der Nacht. Die Versorgung der deutschen Bevöl­kerung in der Sowjetzone mit lebenswichtigen Gütern war zudem eine Katastrophe – es gab fast nichts zu essen. Die bereits geernteten Felder wurden anschließend noch mehrmals nach Essbarem durchkämmt. Selbst die Konkurrenz in Form von kleinen Nagetieren waren hier eine willkommene Bereicherung des Essplans.

Johanna Christensen wagte die Flucht

In der Nacht des 9. März 1949 wagte Johanna dann die Flucht in die Freiheit, über eine teilweise zerstörte Brücke eines Grenzflusses ging es in die britische Nachbarzone. Wurde man dabei auf bereits erreichtem Gebiet von den englischen Truppen erwischt, wurde man wieder zurück in den Osten abgeschoben, einer dann ungewissen Zukunft entgegen. Aber das Glück stand Johanna bei. Sie fand zunächst Unterkunft bei zwei Tanten in Kassel, und später wechselte sie nach Mainz, wo sie im dortigen botanischen Garten ihre Ausbildung weitermachen und schließlich erfolgreich beenden konnte. Während sie sich hier befand, machte sie auch eine Reise, die für die erlebnishungrige, junge Frau wie eine Weltreise vorkam: eine Busreise durch die Berge Süddeutschlands.

Umzug nach Hamburg

Johanna zog nach Hamburg um, in diese durch Bomben sehr in Mitleidenschaft zerstörte Stadt, in der sie bei der Aufzucht von neuen Pflanzen eine Beschäftigung fand. Hier sah sie eines Tages im „Hamburg Tagesblatt“ eine Kontaktanzeige eines Mannes in Nordschleswig, der in einem kleinen Ort namens Hoyer wohnte. Sein Name war Henrik Mads Christensen, der 5 Jahre älter war. Die beiden Menschen verliebten sich schnell ineinander, als sie ihn dort besuchte. Noch im selben Jahr, 1953, fand die Verlobung in Wiesby statt. Geheiratet wurde im Folgejahr, am 15. April in der Christkirche in Tondern. Im Jahr darauf, als das junge Paar ihre zweite Wohnung in Norburg auf Alsen bewohnte, kam der Sohn Werner zur Welt. Da er zu Hause geboren wurde, und die Wohnung sich im Obergeschoss der deutschen Schule befand (heute befindet sich darin das örtliche Museum), ist dies der weltweit einzig bekannte Fall, in dem ein Kind in einer deutschen Schule geboren wurde.

1959 zurück nach Nordschleswig

Johanna hatte genügend im Haus zu tun, versuchte sich aber auch mit Arbeitsaufgaben außer Haus, während ihr Mann bei Danfoss eine Arbeit fand. Die Arbeitsverhältnisse waren jedoch schwierig. Ein Jahr später zog zuerst Johanna mit ihrem Sohn nach Kassel zu den Tanten, kurze Zeit folgte der Familienvater den beiden, und nun lebte die kleine Fami­lie drei Jahre lang ein harmonisches Dasein, während Henrik als Lkw-Fahrer den Unterhalt verdiente. Nach zwei Jahren wurde Birgit geboren, und ein Jahr später – 1959 – zog die junge Familie zurück nach Nordschleswig. Man fand zunächst eine Bleibe im alten Bahnhofsgebäude von Mögeltondern. Nachts fuhren damals noch kurze von Dampf geführte Güterzüge nach Hoyer – und später in einem „richtigen“ Haus auf dem Strengvej.

Johanna Christensen an ihrem 91. Geburtstag Foto: privat

Im Februar 1962 erfolgte dann endlich der langersehnte Umzug nach Dahler, wo die Fami­lie das Geburtshaus von Henrik, ein reetgedecktes Haus aus dem Jahr 1797, nach dem Tod seiner Mutter und dem Umzug seines Vaters in das Altersheim in Hoyer, übernahm. Nun begann für Johanna endlich eine lange ruhige Periode ohne Umzüge, die fast 28 Jah­re anhielt. Henrik war ein tüchtiger Handwerker, der das Haus über die Jahre laufend ver­besserte und sogar eigenhändig eine geräumige Werkstatt anbaute, in der er ältere Pkws reparierte und verkaufte.

Garten und Blumen

Heute befindet sich in diesem Gebäude das Restaurant „Kalgo“. Johan­na legte dafür einen großen Garten nach eigenen Vorstellungen an, und später kam noch ein Wintergarten dazu – ebenfalls von ihrem Mann eigenhändig erbaut. Beruflich erledigte sie im Laufe der Jahre verschiedene Jobs, unter anderem in der Schuhfabrik in Bredebro. Zu einem richtigen Dänisch-Sprachkursus ist es leider nie etwas geworden, entweder fehlten die praktischen Möglichkeiten oder das nötige Geld dazu, dieser Umstand hat sie immer etwas bedrückt.

Die Kinder gingen in die Schule, zuerst in die deutsche Schule in Hoyer, dann in die LAS in Tondern. Birgit besuchte auch das Staatsgymnasium in Tondern, während der Sohn mit 17 Jahren flügge war und in eine Militärschule nach Nordseeland zog. Stattdes­sen war bereits 1964 Johannas Mutter Martha aus Weißenfels nach Dahler gezogen, nachdem ihr Mann ebenfalls verstorben war. Treu pflegte Johanna ihre Mutter ein viertel Jahrhundert lang, bis auch sie 1989 verstarb. 6 Jahre vorher war Henrik auch bereits verstorben, nach einer schweren Krebs-Krankheit. Er starb anderthalb Monate vor seinem 60. Geburtstag.

Zum ersten Mal in moderner Wohnung

Johanna verkaufte nun das große alte Haus in Dahler und zog in ein neu gebautes Doppelhaus im „Hullet“ in Mögeltondern – zum ersten Mal in ihrem Leben wohnte sie in einer mo­dernen Wohnung, nun in einem Alter von 61 Jahren. Dazu ein kleiner Garten, ein Auto und ein Kater. Die folgenden Jahre zählen zu den glücklichsten in ihrem Leben – sie war frei von großen Lebensaufgaben, war finanziell unabhängig, mobil und konnte viele Reisen unternehmen, was vorher nicht möglich gewesen war. Dazu gehörten Kreuzfahrten auf der Wolga, auf dem Nil und auf der Donau, sowie zahlreiche andere Auslandsreisen.

Zum per­sönlichen Glück zählte auch, dass nun endlich Enkelkinder auftauchten, dafür sorgte die Tochter Birgit. Jens-Henrik kam im Frühjahr 1991, und Holger fast genau zwei Jahre spä­ter. Nur wohnten diese weit weg in Deutschland, außerhalb von Göttingen, und sie konnte sie deshalb nicht so häufig sehen, wie gewünscht.

Letzter Umzug nach Tondern

Kurz vor der Jahrhundertwende zog Johanna nach Tondern, und wohnte anfangs in einer Wohnung am Kongevej, direkt neben der Wiedau. Als dieses Gebäude nach einigen Jah­ren komplett renoviert werden sollte, zog sie in ihre letzte Wohnung gleich neben dem Markt­platz. So zentral hat sie vorher nie gewohnt, was nun im gehobenen Alter eine Erleichte­rung war. Anfangs konnte sie noch alles selbst erledigen, aber mit zunehmenden Alter wurde ihr allgemeiner Gesundheitszustand immer schlechter, und so war sie am Ende mehr und mehr auf die Hilfe anderer angewiesen.

Aber – so wie das ihr ganzes Leben lang der Fall gewesen war – sie war niemals unzufrieden mit ihrem Dasein, und beklagte sich kaum. Im Gegenteil: Sie bewahrte sie stets ihr positives Gemüt und war häufig zu Scherzen aufgelegt. Alle schätzten sie deshalb, bis zu ihrem Ende.

Mit knapp 95 Jahren war ihr an Erlebnissen reiches Leben vollzogen, und sie war bereit für ihre letzte Reise – ihre Mutter erwartete sie bereits im nächsten Leben, das hatte diese ihr an ihrem vorletzten Tag mitgeteilt. Und bereit zur letzten Reise war sie – und glücklich, dass sie von einer langen, schweren Krankheit sowie Schmerzen verschont geblieben war. Sie konnte in ihrem eigenen Bett in Ruhe einschlafen, umgeben von zwei Menschen, die ihr sehr nahestanden. Auch die liebevollen Pflegekräfte der Kommune hatten hier Großartiges geleistet, dafür sei diesen sehr gedankt.

Trauerfeier in Dahler

Die Beisetzung findet am Mittwoch, 5. April, von der Kirche zu Dahler aus statt. Die Trauerfeier beginnt um 15 Uhr.

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