Lokalgeschichte

Auf der Suche nach unbekannter Familie ihres Piraten-Opas

Auf der Suche nach unbekannter Familie ihres Piraten-Opas

Auf der Suche nach unbekannter Familie ihres Piraten-Opas

Tondern/Tønder
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Die Besatzung des Luftschiffs L 23 aus Tondern kapert ein norwegisches Frachtschiff. Foto: Archiv: Elisabeth Bliesener

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Der Großvater der 76-jährigen Elisabeth Bliesener aus Reinbek war Steuermann auf dem Zeppelinstützpunkt in Tondern. Er war Steuermann des Zeppelins, der 1917 von der Luft aus einen norwegischen Dreimaster kaperte. Auf ihrer Suche konnte ihr Lokalhistoriker Horst Fries aus Solderup helfen.

Ihren Großvater Ernst Fegert hat Elisabeth Bliesener aus Reinbek bei Hamburg nie kennengelernt. Er starb 1937, sieben Jahre vor ihrer Geburt. Die 76-jährige Enkelin hat sich auf die Suche nach der „ersten“ Schwiegerfamilie ihres Opas gemacht, der im Ersten Weltkrieg auf dem Zeppelinstützpunkt der deutschen Marine bei Tondern stationiert war und in der Wiedaustadt seine erste Frau Marie, geborene Ewers, kennenlernte und am 27. Juli 1917 heiratete.

 

Der Opa war Pirat

Dass ihr Großvater ein „Pirat“ war, erzählt Elisabeth Bliesener gerne. Schon als Kind faszinierte sie diese Geschichte. Nur wenige Wochen vor seiner Eheschließung ging Fegert mit einer waghalsigen Aktion als Steuermann des Luftschiffes L 23 unter dem Kommando von Kapitänleutnant Ludwig Bockholt in die Geschichte ein. Bei einer unblutigen Schlacht am 23. April 1917, 85 Seemeilen vom Leuchtturm von Bovbjerg bei Lemvig, kletterten er und zwei Kameraden an einer Strickleiter vom Luftschiff aus auf den Dreimaster. Unter Fegerts Kommando wurde die gekaperte Bark nach Cuxhaven und später nach Hamburg gebracht.

Eine Zeitung berichtet von dem ungewöhnlichen Angriff. Foto: Archiv: Elisabeth Bliesener

Ein solches Manöver hatte es noch nie gegeben. Nie zuvor hatte jemand gewagt, von einem Luftschiff aus ein Schiff zu entern. In Cuxhaven wurden die Zeppelin-Soldaten vom Führer der Luftschiffe, Peter Strasser, höchstpersönlich abgeholt. Natürlich war man stolz auf den Mut und die Leistung, aber Strasser verbot es, weitere Manöver dieser Art zu unternehmen. Er wollte seine Luftschiffe nicht in Gefahr bringen.

Elisabeth Bliesener kann weiter recherchieren. Foto: Privat

Gute-Nacht-Geschichte

Die Kaperfahrt ihres Großvaters war die geliebte Gute-Nacht-Geschichte der kleinen Elisabeth, die im Haus ihrer Großeltern aufwuchs. Die Geschichte hat sie nie losgelassen. Sie begab sich auf Spurensuche und sucht nach möglichen Nachkommen der ersten Schwiegerfamilie ihres Großvaters, der dreimal verheiratet war, in Dänemark und wandte sich in diesem Zusammenhang auch an die Lokalredaktion des „Nordschleswigers“ in Tondern. 

 

Foto: Archiv: Elisabeth Bliesener

Die Zeitung verwies sie an Horst Fries aus Solderup. Der versierte Ahnenforscher brachte sie ein Stück weiter in ihren Recherchen. Sie wünscht Kontakt zur Familie der ersten Ehefrau ihres Großvaters, Marie Ewers, aus Tondern, aufzunehmen. Horst Fries war der richtige Mann für diese Aufgabe. Dank ihm hat sich jetzt herausgestellt, dass es tatsächlich noch Familienangehörige von Marie Fegert gibt, die am 13. November 1895 in Looft als Tochter von Katarina Ewers, geborene Wohlers, und Claus Ewers geboren wurde.

Sie wuchs an der Tonderner Carstenstraße auf. Marie Evers verstarb am 5. September 1917 im Alter von nur 21 Jahren aus ungeklärter Ursache, wenige Wochen nach der Hochzeit mit dem deutschen Soldaten. Einen Tag später verschied auch Maries Großmutter. Oma und Enkelin wurden am selben Tag im selben Grab in Tondern beerdigt.  Die Ehe von Marie und Ernst Fegert blieb kinderlos.

Nachfahre gefunden

Doch sie hatte vier Geschwister. Einen der Nachfahren (mittlerweile aus der 4. Generation) fand Fries  in Kekenis (Kegnæs). Mit ihm hat sich Elisabeth Bliesener, die auch Vorträge über Zeppeline hält und Zeitungsbeiträge schreibt, in Verbindung gesetzt. Ein Treffen hat aufgrund unglücklicher Umstände noch nicht stattgefunden.

Bevor sie beim Lokalhistoriker in Nordschleswig landete, hatte sie schon Kontakt zu Knud Jacobsen vom Sea War Museum in Thyborøn aufgenommen. Er hatte in seinem Buch „Die Seeschlacht vor dem Skagerrak und der Erste Weltkrieg in der Nordsee“ auch über das Husarenstück des Tonderner Zeppelins geschrieben. 

Die Besatzung des Luftschiffs L 23 (Bildschirmfoto) Foto: Knud Jacobsen
Foto: Archiv: Elisabeth Bliesener

Wichtige Unterstützung erfuhr sie auch von Manfred Petersen und vom verstorbenen Gerd Uwe Christiansen vom Tonderner Zeppelin-Museum. Sie halfen ihr, Urkunden der Archive und Kircheneintragungen zu beschaffen. So befindet sich Elisbeth Bliesener im Besitz der Heiratsurkunde ihres Opas. Ihre Sterbeurkunde liegt ihr auch vor. Die Personalakten ihres Opas gingen im Zweiten Weltkrieg verloren.

Elisabeth Bliesener entdeckt ihren Großvater auf einem Bild im Zeppelinmuseum in Friedrichshafen. Foto: Archiv: Elisabeth Bliesener

Ihr Interesse für die Luftschifffahrt bekam einen zusätzlichen Auftrieb, als Elisabeth Bliesener 2008 mit ihrem Mann im Rahmen eines Klassentreffens das Zeppelinmuseum in Friedrichshafen besuchte. Dort schaute sie sich ein Mannschaftsfoto des Luftschiffes an. Ein ihr unbekannter Mann in der Mitte war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Es war ihr Opa.

„Ich bekam eine Gänsehaut, das ging mir unter die Haut. Ich war emotional wie elektrisiert und war völlig durcheinander. Ich war mir plötzlich gar nicht mehr sicher, ob ich meinen Großvater wirklich vor mir hatte, ich kannte ihn ja nicht“, erzählt Elisabeth Bliesener.

Ich bekam eine Gänsehaut, das ging mit unter die Haut.

Elisabeth Bliesener

Vier Jahre später sollte sie ein zweites Mal unverhofft auf ihren Opa stoßen. Diesmal bei einem Besuch im Tonderner Zeppelin- und Garnisonsmuseum.

„Dort entdeckte ich meinen Opa auf dem Deckblatt eines Prospekts. Nun wurde ich so richtig vom Luftschiffvirus befallen. Es hat jahrelang gedauert, bis ich das alles recherchiert hatte. Letzte Ergebnisse hoffe ich noch aus dem Militärarchiv aus Freiburg zu bekommen. Ohne mein Zutun und konsequentes Am-Ball-Bleiben wäre das bis heute nicht aufgeklärt worden. Es hat sich für die Luftschifffahrt-Forschung schon jetzt gelohnt, mich mit an Bord zu nehmen, weil ich als Fegert-Spross anders involviert bin als jeder Unbeteiligte“, sagt die aktive Rentnerin selbstbewusst.

Fakten über Ernst Fegert

Ernst Fegert, 1889 in Heilbronn geboren, meldete sich 1916 freiwillig zu den Luftschiffern. An der Marineschule Mürwick in Flensburg wurde das Fundament für seine Ausbildung gelegt. Als 14-Jähriger kam er zur Seefahrtschule und war auf Segel- und Dampfschiffen. Bei Kriegsausbruch war er Steuermann auf dem Dampfschiff Westmark der großen deutschen Reederei Hapag. In Tondern hatte er den Rang eines Obersteuermannsmaats des Luftschiffes L 23. Auf der gekaperten Bark Royal übernahm Ernst Fegert das Kommando. Er wurde später zum Steuermann und damit Deckoffizier befördert. Weitere Auszeichnungen folgten wegen bewiesener Tapferkeit. Fegert überlebte den Krieg. Er wurde zum Leutnant der Reserve ernannt und wurde dann Kapitän auf großer Fahrt und Leiter des Heuerbüros der Reederei Hansa-Linie in Hamburg.

Ernst Fegert überlebte auch seine zweite Frau. Seine dritte Ehefrau war die Großmutter der 76-jährigen Elisabeth Bliesener aus Reinbek. Ernst Fegert verstarb, nachdem er in Bergedorf und Groß Flottbek gelebt hatte, 1937 an Krebs in Hamburg. Er wurde 48 Jahre alt. 

„Sein“ Luftschiff L 23, das 178,5 Meter lang und 8,7 Meter im Durchmesser war, wurde im August 1918 an der dänischen Nordseeküste von englischen Fliegerbomben nördlich von Søndervig getroffen beim ersten Luftangriff, der von einem Flugzeugträger gestartet wurde. Die 19-köpfige Besatzung kam um. Fegert konnte von Glück reden, dass er nicht an Bord war. Pilot war Bernard Arthur Smart. Er zählte zu den Besten seines Landes. Er war auch am Angriff auf den Zeppelinstützpunkt in Tondern beteiligt, der im Sommer 1918 fast gänzlich zerstört wurde.

 (Quelle Knud Jacobsen)

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