Geschichte

100 Jahre „Wiedervereinigung“ aber auch Teilung Schleswigs

100 Jahre „Wiedervereinigung“ aber auch Teilung Schleswigs

100 Jahre „Wiedervereinigung“ aber auch Teilung Schleswi

Apenrade/Aabenraa
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Der Notgeldschein aus Tingleff wirft ein Licht auf den Grenzstreit 1920: Die deutschen Nordschleswiger forderten eine neue Grenze nördlich von Tondern (Tiedje-Linie), die dänische Seite die Clausen-Linie, der die neue Grenze weitgehend folgte. Foto: 100 Danmarkshistorier - Genforeningen

Der nordschleswigsche Historiker Hans Schultz Hansen liefert in seinem Buch „Genforeningen“ eine gelungene Übersicht zu den Ereignissen um die Volksabstimmungen und die Grenzziehung 1920.

In der Reihe „100 Danmarkshistorier“ ist im Aarhus Universitetsforlag unter dem Titel „Genforeningen“ ein 100 Seiten starkes Buch über die Ereignisse vor, während und auch in den Jahrzehnten nach den Volksabstimmungen und der Neuziehung der Grenze in der heutigen deutsch-dänischen Region im Jahre 1920 erschienen.

 

Wichtige Etappe in dänischer Geschichte

Dem Autor, Forschungsleiter am Reichsarchiv Hans Schultz Hansen, ist es gelungen, in knapper Form ein gut lesbares Werk zu den im kommenden Jahr 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen zu schreiben, die in Dänemark bis heute zu den wichtigsten Etappen der nationalen Geschichte zählen. Schultz Hansen stellt in seinem Buch zum Geschehen vor 100 Jahren auch bis heute fragwürdige Dinge vor.

Ritt des Königs eine Inszenierung

So nennt er den symbolträchtigen Ritt König Christian X. über die am 10. Juli 1920 bereits seit einigen Wochen ausgewischte Königsaugrenze eine Inszenierung, von der H. P. Hanssen, der verdienstvolle nordschleswigsche Architekt der neuen Grenze bewusst ausgeschlossen wurde.

H. P. Hanssen ausgegrenzt

Schultz Hansen erwähnt, dass H. P. Hanssen, den man wegen seines „Verzichts“ auf Flensburg auch von den Feierlichkeiten in Düppel auszuschließen versucht hatte, in seiner dortigen Rede eine liberale Politik gegenüber der deutschen Minderheit in Nordschleswig verlangt hatte.

Keine Wiedervereinigung aber „eigener Wunsch“ 

Und Schultz Hansen zitiert aus der Düppelrede von Staatsminister Niels Neergaard, dessen Satz, „wir sprechen von Wiedervereinigung. Die Sache ist die, dass niemals in unserer tausendjährigen Geschichte, ‘Sønderjylland‘ eins mit Dänemark gewesen ist. Erst jetzt geschieht das nach dem eigenen, glücklichen Wunsch, der ‘Sønderjyder‘“.

Und es wird die Äußerung des späteren deutschen Folketingsmitglieds Johannes Schmidt-Wodder anlässlich des Besuchs des Königs 1920 in Tondern zitiert, dass die neue deutsche Minderheit auf eine neue Entscheidung „ohne Zwang der En-bloc-Abstimmung“ hoffe.

Form der Abstimmungszonen entscheidend

Man findet im Buch die Fakten, wie es zur Neufestlegung der Grenze nach Abgrenzung der Abstimmungszonen im Sinne dänischer Wünsche und dem Votum der Bevölkerung gekommen ist. Thema sind dabei die Bemühungen um eine zweiseitige deutsch-dänische Lösung, die nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 aber vom Tisch war. Und es werden die dramatischen Vorgänge beschrieben, wie die Abstimmungszonen – und letztlich auch die neue deutsch-dänische Grenze – durch Einbeziehung der Angelegenheit in den Versailler Friedensvertrag vorgegeben wurden.

Trotz des knappen Umfangs des Buches werden auch die deutschen Positionen 1919/1920 gut dargestellt, die in jahrzehntelange Forderungen nach einer Grenzrevision übergingen. Schultz Hansen spricht von harten Friedensbedingungen für Deutschland. Nicht ausgelassen werden die Aktivitäten national-dänischer Kreise, die sich ebenfalls nicht mit den Realitäten der Abstimmungen abfinden wollten und sogar die dänische Monarchie erschütterten.

Volksabstimmungen andernorts oft manipuliert

Beachtenswert sind die Ausführungen Schultz Hansens über die Tradition von Volksabstimmungen zur Festlegung von Grenzen. Er erwähnt, dass im Gegensatz zu den Abstimmungen am 10. Februar und 14. März 1920 in Nord- und Mittelschleswig bei anderen Abstimmungen Ergebnisse oft manipuliert wurden. Thema im Buch sind die Vorgänge in Nordschleswig im Zeichen der Nazifizierung der deutschen Minderheit ab 1933, die Besetzung Dänemarks durch Deutschland von 1940 bis 1945, die Respektierung der 1920-Grenze und die Konsequenzen für die deutsche Minderheit. 

Schon 1970 „Abschied von Geschichte“ 

Bemerkenswert sind die Erinnerungsformen an die Ereignisse 1920 in den folgenden Jahrzehnten. Er zitiert den Historiker Troels Fink, der bereits 1970 in Düppel feststellte, dass die deutsch-dänische Konfliktsituation überwunden sei. Der Schriftsteller Peter Seeberg verkündete damals sogar, man „verabschiede“ sich nicht nur von der „Wiedervereinigung“, sondern auch von der Geschichte.

 

Schon ab 1848 wurde, wie in dieser Karikatur, vor einer Durchtrennung Schleswigs gewarnt. Foto: Genforeinigen Hans Schultz Hansen

Und aufgegriffen werden auch die Ansprachen der Spitzenmänner der deutschen und der dänischen Minderheit beim Düppelfest 1995. Hans Heinrich Hansen, Bund Deutscher Nordschleswiger,  sprach von der Verantwortung der deutschen Minderheit, in der NS-Zeit die deutsch-dänischen Gegensätze verschärft zu haben. Heinrich Schultz, Südschleswigscher Verein, stellte fest, dass das Abstimmungsresultat 1920 richtig gewesen sei.

Teilung und Peripherie

Zum Schluss wirft Schultz Hansen die Frage auf, ob man 100 Jahre nach der Grenzziehung nicht auch feststellen müsse, dass seitdem ein jahrhundertelang zusammengehörendes Gebiet wie Schleswig, das vor Aufkommen des Nationalismus von Wohlstand geprägt war, geteilt worden ist. Zwei reduzierte Peripherien seien entstanden.

Nord- und Südschleswig haben sich seit 1920 immer weiter voneinander entfernt. Aus einem solchen Blickwinkel gebe es nicht viel zu feiern, so der nordschleswigsche Historiker fast schon provozierend.

 

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