Abschiedsbotschaft

Anke Meyer: „Minderheit ist ein Stück Heimat“

Anke Meyer: „Minderheit ist ein Stück Heimat“

Anke Meyer: „Minderheit ist ein Stück Heimat“

Nordschleswig/Kopenhagen
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Die stellvertretende Botschafterin Deutschlands hat in Dänemark auch die Verantwortung für den Kontakt zur deutschen Minderheit in Nordschleswig. Anke Meyer war ein häufiger Gast in Nordschleswig – hier beim Deutschen Tag. Foto: Karin Riggelsen

Nach fünf Jahren als stellvertretende Botschafterin in Kopenhagen – und somit verantwortlich für die deutsche Minderheit in Nordschleswig – kehrt Anke Meyer zurück nach Berlin. Was denkt sie über das Grenzland, die Minderheit und Dänemark? Chefredakteur Gwyn Nissen führte ein Abschiedsgespräch mit der 52-jährigen Diplomatin.

„Ich bin mit einem halbvollen Koffer angekommen, und jetzt ist er mit Geschenken prall gefüllt“, sagt Anke Meyer. Wir sitzen im Hotel Norden in Hadersleben/Haderslev, nachdem die stellvertretende Botschafterin Deutschlands in Dänemark am Abend zuvor im kleinen Kreise von Vertretern der deutschen Minderheit in Nordschleswig verabschiedet worden ist. Bald geht es für 52-jährige Diplomatin zurück nach Berlin.

Am 7. August hat Anke Meyer noch einen letzten Termin bei der Minderheit: An ihrem letzten Arbeitstag in Dänemark weiht sie das neue Deutsche Museum der Minderheit in Sonderburg mit ein. Danach ist ihre nächste Arbeitstation das Auswärtige Amt in der deutschen Hauptstadt.

Ob das Bild des vollen Koffers auch für ihren fünfjährigen Aufenthalt in Dänemark gilt?

„Ja, es passt eigentlich sehr gut. Ich kam hier an und wusste nicht viel von Dänemark. Das, was ich wusste, war durch meine frühere Tätigkeit sehr Hauptstadt bezogen. Aber über Grenzland und Minderheit wusste ich nicht viel – obwohl ich in Kiel studiert habe“, sagt Anke Meyer.

An der deutschen Botschaft in Kopenhagen war sie nicht nur stellvertretende Botschafterin, sondern war auch für den Kontakt zur deutschen Minderheit in Nordschleswig verantwortlich.

Infolgedessen war sie oft in Nordschleswig und hat über die Jahre enge Beziehungen zur Minderheit aufgebaut. Der Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, Hinrich Jürgensen, rechnet ihr den großen Einsatz für die Minderheit und ihre Präsenz in Nordschleswig hoch an.

Europa zum Anfassen

Viel Vorbereitungszeit hatte sie vor ihrer Ankunft nach Dänemark 2015 nicht. Daher war „learning by doing“ angesagt. Anke Meyer musste vor Ort dazulernen, was ohnehin von Vorteil ist, denn man könne schließlich nicht alles durch Lesen lernen. Vieles müsse man selbst erleben.

„Das deutsch-dänische Grenzland ist sozusagen Europa zum Anfassen“, sagt Anke Meyer über ihre Erfahrungen mit der Grenzregion. Ich habe in der Sache viel gelernt, unheimlich viele spannende Menschen getroffen und viele interessante  Geschichten gehört, die ich gerne in einem Koffer mit nach Berlin nehme. Ich behalte aber auch gerne noch einen ideellen Koffer in Kopenhagen und im Grenzland", sagt die Diplomatin.

Es ist im 21. Jahrhundert ein großer Schatz zu wissen, wo man hingehört.

Anke Meyer, Gesandte der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kopenhagen

Offenheit und Herzlichkeit

Bei der Minderheit in Nordschleswig habe sie sich schnell eingelebt. 

„Ich bin dankbar für die Geduld, die mir entgegengebracht wurde. Die Minderheit muss alle paar Jahre einer neuen Beauftragten die Welt neu erklären und sozusagen bei Adam und Eva beginnen“, sagt Meyer.

Bei der Minderheit sei dies aber nicht schwierig gewesen.

„Das liegt an der Offenheit und Herzlichkeit, mit der die Menschen mir begegnet sind. Ich komme selber aus Norddeutschland vom Lande, und ich behaupte mal, die Mentalität ist ähnlich. Wir sind alle bodenständig und ein bisschen gerade heraus, tendenziell wortkarger als in anderen Gegenden der Welt – aber vor allem herzlich. Das war für mich vom Gefühl her fast wie zu Hause  – von der Atmosphäre, vom Menschenschlag, – da gab es keine großen Anpassungsschwierigkeiten“, erzählt Anke Meyer.

Fünf Jahre in Dänemark

Sie ist inzwischen fünf Jahre in Dänemark. Wesentlich mehr als die üblichen drei Jahre für einen Diplomaten, aber Kopenhagen sei ihr zweites Zuhause geworden, und außerdem standen noch die Feierlichkeiten in Verbindung mit dem Genforeningen, der Grenzziehung von 1920, sowie die 100-Jahr-Feier der deutschen Minderheit und das Deutsch-Dänische Freundschaftsjahr an.

Also wurde ihre Zeit in der dänischen Hauptstadt verlängert – und dann fielen die vielen Veranstaltungen 2020 Corona-bedingt aus.

Was nimmst du nach fünf Jahren mit zurück nach Berlin?

„Vor allem die Erkenntnis, dass wirklich nichts von dem, was uns selbstverständlich erscheint, auch selbstverständlich ist. Und dass wir uns für das, was uns lieb und teuer ist, immer wieder und jeden Tag erneut einsetzen müssen“, sagt Meyer und verweist dabei unter anderem auf die deutsch-dänische Grenze.

Ich glaube, wenn man versucht, sich zu integrieren, dann versteht man auch besser, was politisch vor sich geht im Land, man versteht besser, wie die Gesellschaft funktioniert, wie die Leute ticken, was ihnen wichtig ist.

Anke Meyer, Gesandte der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kopenhagen

Grenze als Symbol

Zunächst eine offene Grenze, dann mit der Flüchtlingskrise die Einführung der temporären Grenzkontrollen (die schon vier Jahre andauern) und schließlich eine Corona-Krise, die „noch einschneidendere Konsequenzen hatte“, so Anke Meyer.

Die Grenzschließung habe den Alltag der Menschen im Grenzland stark beeinflusst.

„Am Anfang der Krise konnte man noch sagen, ein paar Wochen kann man das aushalten – es dient der Sache. Aber je länger es gedauert hat, desto mehr kamen menschliche Härten zum Tragen: dass man nicht mehr enge Familienmitglieder besuchen konnte oder den Lebenspartner oder einfach in Tondern Kaffee trinken oder über die Grenze zum Einkauf fahren. Es wurde klar, wie eng der Austausch ist im alltäglichen Leben im Grenzland", sagt die Diplomatin.

Enger Austausch im Alltag

„Es zeigt eben, dass das dänische Leben nicht an der Grenze aufhört und das deutsche ebenfalls nicht.“

Genau aus dem Grunde hätten Dänemark und Deutschland in diesem Jahr als gemeinsames Symbol die Unesco-Bewerbung eingereicht, um das deutsch-dänische Grenzland-Modell als bewahrenswert und beispielhaft aufzulisten.

„Wir wollten 2020 die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Freundschaft und die Erfolgsgeschichte Grenzland feiern. Und jetzt sehen wir eben, sie ist nicht in Stein gemeißelt. Das ist eines der ganz wichtigen Dinge, die ich mitnehme. Das so praktisch und hautnah miterlebt zu haben, ist schon eine wichtige Lehre“, sagt die stellvertretende Botschafterin.

Laut Meyer bedarf es noch weiterer Anstrengungen, bevor das Grenzland wieder da ist, wo es mal war.

Anke Meyer auf dem Rednerpult beim Deutschen Tag der Minderheit in Nordschleswig. Foto: Karin Riggelsen

Persönliche Beziehungen

Diplomaten sind per Definition immer auf der Durchreise. In zwei, drei Jahren wartet der nächste Job in einem anderen Land. Ist es in diesem Job schwierig, private Beziehungen aufzubauen?

„Es kommt immer darauf an, wie man sich darauf einlässt. Ich kann verstehen, dass am Ende eines Diplomatenlebens nach zehn Versetzungen die Bereitschaft, noch mal wieder ganz von vorn und tief einzutauchen in eine Gesellschaft, nicht ganz so ausgeprägt ist. Aber das ist letztlich das, was unseren Beruf reizvoll macht, führt aber auch dazu, dass es besonders wehtut, wenn es einem gefallen hat“, sagt Anke Meyer, die in den fünf Jahren Dänisch gelernt hat und durch ihr Hobby, das Schwimmen im Öresund,  viele lokale Bekanntschaften gemacht hat.

„Mir hat es unheimlich viel Spaß gemacht in Kopenhagen. Ich glaube, wenn man versucht, sich zu integrieren, dann versteht man auch besser, was politisch vor sich geht im Land, man versteht besser, wie die Gesellschaft  funktioniert, wie die Leute ticken, was ihnen wichtig ist. Und was Dänisch ist, was wirklich schwer zu definieren ist. Ich finde es total spannend, und ich hatte eben auch das Glück, dass ich nette Menschen kennengelernt und mich wirklich zu Hause gefühlt habe. Dann fällt der Abschied zwar schwerer, aber wenn es nicht so gewesen wäre, wäre es eben nicht eine so gute Zeit gewesen", so Meyer.

Wie Dänen und Nordschleswiger ticken

Wie ticken die Dänen denn?

„Die sind uns recht ähnlich, aber ich habe manchmal das Gefühl, es gibt einen stärkeren Gemeinschaftssinn als in Deutschland. Also ein stärkeres Bewusstsein, wir sind eine Gemeinschaft, für die es sich zum Beispiel lohnt, Steuern zu zahlen, weil wir auch etwas zurückbekommen“, sagt Anke Meyer.

„Es gelingt den Dänen besser, eine Balance zwischen Privatleben und Arbeit herzustellen und trotzdem gesellschaftlich und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Es ist nicht ohne Grund, dass Dänemark immer wieder in den Top drei der  glücklichsten Länder der Welt ist. Die Leute sind zufriedener. Der Deutsche sieht ein halb leeres Glas, die Dänen ein halb volles“, so Meyer.

Vertrauensgesellschaft Dänemark

Die Dänen würden erst einmal loslegen in dem Vertrauen, eventuelle Probleme würden auf dem Weg gelöst. Der Deutsche möchte den detaillierten Gesamtplan, so Meyer.

Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass die Dänen grundlegend dem Staat und der Regierung Glauben schenken und darauf vertrauen, dass es gut und richtig gemacht wird. Aber auch die Menschen unter sich würden einander vertrauen.

„Dieses Vertrauen ineinander, in den Staat und in die Gesellschaft trägt zu einer Grund-Entspanntheit und zum sozialen Frieden im Lande bei. Das ist ein gutes Fundament für die dänische Gesellschaft“, meint Anke Meyer.

Einsetzen für die eigenen Werte

Und wie tickt die deutsche Minderheit?

„Bodenständig, selbstbewusst und dabei gleichzeitig erfrischend outspoken.  Davor habe ich wirklich Respekt, und ich finde es toll, dass die Minderheit die Bereitschaft zeigt, Stellung zu beziehen, auch wenn es nicht immer populär ist – auch nicht in den eigenen Reihen“, erklärt Anke Meyer und weist auf die Flüchtlingsanzeige der Schleswigschen Partei 2015 hin, als Flüchtlinge willkommen geheißen wurden.

„Das finde ich unglaublich wichtig in unserer Zeit, in der Leute, die laut schreien, extreme Botschaften verbreiten, und Populisten diese Debatte bestimmen. Die Mehrheit vertritt zwar vernünftige Positionen auf dem Boden des Rechtsstaates, meldet sich aber nicht zu Wort. Ich finde es wichtig, dass Leute sich stark einsetzen für die Werte unserer Gesellschaft. Damit eckt man gelegentlich an, aber ich glaube, es verdient großen Respekt“, sagt die Diplomatin.

Minderheit ist ein Stück Heimat

Die Bodenständigkeit sei positiv zu verstehen, dass die Minderheit keine überzogenen Forderungen oder Ideen habe, sondern mit Ziel und Augenmaß in die Zukunft blickt.

In unserer globalisierten Welt, in der manche Menschen sich entwurzelt fühlen und der Populismus an Stärke gewinnt, bietet die Minderheit auch ein Stück Heimat und einen Bezugsrahmen, meint Meyer:

„Zu wissen, wohin man gehört und woher man kommt und am besten auch noch, wo man hinwill, das ist schon etwas, worum euch viele Leute beneiden, die sich in dieser Zeit ein wenig verloren fühlen. Es ist im 21. Jahrhundert ein großer Schatz zu wissen, wo man hingehört.“

Minderheit nicht für ewig

Auf die Frage, wo sie Herausforderungen für die Minderheit sehe, sagt Anke Meyer, Minderheit sei „nicht für ewig, sondern nur so lange jemand Minderheit sein möchte“.

„Ich glaube, bislang sieht es ganz gut aus für die deutsche Minderheit in Nordschleswig. Es ist auch mein Eindruck, dass die Minderheit mit ihren Institutionen und Angeboten dazu beiträgt, dass die ländliche Region für alle lebenswert ist. Aber das will auch in die Zukunft übersetzt werden. Es kommt darauf an, ob die jungen Leute auch in 10 und 20 Jahren Minderheit sein wollen“, sagt die Botschafts-Gesandte.

In Vielfalt vereint

Dabei definierte sich Minderheit früher als Gegensatz zu anderen. Das sei heute nicht mehr der Fall, so Meyer:

„Beide Minderheiten im Grenzland sind heute ein integrierter Teil der Gesellschaft. Die Mehrheitsbevölkerung wird miteinbezogen, was natürlich die Minderheiten anfälliger macht für Erosion. Aber es gibt dazu keine Alternative, und letztlich ist es auch das, wofür das Grenzland von der Unesco ausgezeichnet werden soll. Die Minderheiten tragen dazu bei, diesen Raum lebenswert zu erhalten für alle im Grenzland. Das tun sie mit ihrer Kultur und ihrer Sprache, aber eben nicht, indem sie gegen etwas sind, sondern für etwas, ganz nach dem europäischen Motto „in Vielfalt vereint“, sagt Anke Meyer.

Sie ist zuversichtlich, dass auch die jungen Leute in der Minderheit einen Weg finden, um die Minderheit in die nächsten 100 Jahre zu führen.

Anke Meyer von der deutschen Botschaft in Kopenhagen und BDN-Generalsekretär Uwe Jessen unterschreiben den Fördervertrag der deutschen Minderheit im Deutschen Kindergarten Wilsbek. Foto: BDN

Zurück nach Berlin – ein Fuß in Dänemark

In Berlin wartet die alte Wohnung von Anke Meyer im Stadtteil Prenzlauer Berg auf die Rückkehr der Diplomatin.

In der Hauptstadt hat sie bereits im Bundeskanzleramt gearbeitet und kehrt nun zurück ins Auswärtige Amt, wo sie die Beauftragte für die Beziehungen zu den EU-Mitgliedsstaaten sowie regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit sein wird.

„Das heißt, ich bleibe auch weiterhin für Dänemark verantwortlich – aber eben auch für 25 andere EU-Staaten“, lacht Anke Meyer. „Aber Dänemark wird immer ein soft spot in meinem Herzen haben – das Grenzland und die Minderheit sowieso.“

Traumposten: Botschafter in Kopenhagen

Diplomatische Karriereplanung ist eine Geschichte für sich, aber Anke Meyer kann sich sehr gut vorstellen, wieder in Dänemark „vorbeizuschauen“.

„Es wäre schon ein Traumposten, als Botschafterin nach Dänemark zurückkehren zu dürfen, aber das darf man eigentlich gar nicht laut sagen, sondern man kann es sich im Herzen wünschen. Vielleicht klappt es ja“, sagt Anke Meyer.

Ihr Koffer nach Berlin wird bald gepackt. In Kopenhagen wird aber auch nach ihrer Abreise für immer ein Koffer stehen.

 

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