Reportage Teil 2

„Ich finde meine eigenen Grenzen. Die Leute mögen ihre finden.”

„Ich finde meine eigenen Grenzen. Die Leute mögen ihre finden.”

„Ich finde meine eigenen Grenzen. Die Leute mögen ihre finden.”

Sara Wasmund, Tim Wegner
Apenrade/Aabenraa
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Spuren des Selbstmordattentäters an Tommy Mørcks Basis: Als der Mann seine Bombe zündet, sitzt Mørck am Fenster links im Bild, um die Haustür zu sichern, die rechts im Bild noch zu erahnen ist. Foto: Privat

In Teil 2 redet Tommy Mørck alias Bakûr Berxwedan („Widerstand des Nordens“) nun über den Kampf gegen den IS, wie er die Terroristen in Syrien wahrgenommen hat, warum Selbstmordattentäter schlechte Kämpfer sind und weshalb sich die dänische Polizei bei seiner Rückkehr nach Dänemark merkwürdig verhalten hat. Zudem haben wir Tommy Mørck gefragt, ob er sich der kurdischen Miliz noch einmal anschließen wird, um in Syrien gegen den IS zu kämpfen.


Der Kampf gegen den Terror

 

Was treibt den IS deiner Meinung nach an?

”Der IS hat viele Seiten. Zu Beginn waren es Saddam Husseins alte Soldaten, die entlassen wurden. Die Soldaten der Baath-Partei. Als wir Saddam Hussein und die Partei abgeschafft haben, wurden die Soldaten arbeitslos. Während sie noch immer auf den Basen saßen. Mitsamt aller Waffen. Was eine richtig dumme Idee war. Denn plötzlich gab es abertausend Soldaten, die ohne Arbeit dastanden. Ihre Partei war abgeschafft, ihr Chef, ihr Präsident wurde hingerichtet. Kein Wunder, dass sie sauer waren. Es gab also diesen Aufruhr gegen den Imperialismus.”

Mit der neuen, von den Amerikanern unterstützten Regierung habe sich die Unzufriedenheit gesteigert. ”Die Amerikaner sind und waren unglaublich unbeliebt”, sagt Mørck. Islamistische Gruppen an der Irak-Iran-Grenze hätten diese Unzufriedenheit und das Machtvakuum zu nutzen gewusst. ”Die haben eine Möglichkeit gesehen, die Unzufriedenheit für eigene Zwecke zu kanalisieren.”

Was den IS und die IS-Führung konkret antreibt? ”Macht, religiöser Fanatismus, alles mögliche.” Einigen Soldaten gehe es um religiöse Erlösung. ”Viele der Lokalen sind sehr ungebildete, unausgebildete Leute, die irgendwie da hineingeraten sind. Die ziehen sich eine Bombenweste an weil sie glauben, dass sie dann in den Himmel kommen. Die sind beim IS dabei, weil sie gerne sterben wollen. Auf eine religiöse Weise, sodass sie in den Himmel kommen und ihre Belohnung erhalten.” Für die YPG seien solche IS-Kämpfer von Vorteil. ”Manchmal lassen sie ihre Bombenweste zu schnell hochgehen. Es geht ihnen nicht darum, wieviele Feinde man tötet.”

Mørcks Einheit wird von einem Selbstmörder fast in die Luft gesprengt. In einer Nacht sind plötzlich Schritte im Haus zu hören, eine Tür geht auf und zu. Mørck sieht nach – wenige Meter von ihm entfernt sprengt sich der Mann in die Luft. ”Zum Glück an der Wand vor dem Haus. Es hat keinen von uns getroffen. Doch wenn einer von der Truppe nicht zufällig wach geworden wäre – dann hätte der uns erwischt, keine Frage.”

Das Leben im täglichen Kampf gegen die Terrororganisation IS verlangt von Mørck vieles ab. Die Unterstützung der NATO ist in Europa ein lang diskutiertes Thema. Doch inwiefern hilft die militärische Intervention der NATO den Menschen im Kampf vor Ort?

 

 

„IS-Mitglieder sind vieles, jedoch alle Außenseiter“

Andere IS Kämpfer trieben andere, weitaus weltlichere Gründe an. ”Man hört viel von Sex-Sklaven, oftmals junge Frauen. Auch das ist eine Art, wie Männer ihre Macht demonstrieren können. Ein Leben leben, in dem man machen kann, wozu man Lust hat. Wenn der Mann da drüben dir nicht gefällt, dann erschießt du ihn. Wenn du die Frau da drüben attraktiv findest, dann nimmst du sie einfach mit.”

IS Kämpfer in Rakka. Mittlerweile ist die Stadt zum Teil von der Terrororganisation befreit. Foto: Scanpix

Übergeordnet betrachtet, sagt Mørck, sei es naiv, ”den” IS als eine homogene Gruppierung zu betrachten, die ein gemeinsames Ziel verfolgt. ”Dahinter stehen massenweise verschiedene Menschen. Einige sind wie gesagt lokale Syrer, die irgendwie überleben wollen. Andere sind religiöse Fanatiker. Dann gibt es Leute, die aus Tschetschenien kommen. Vor deren Können hat die YPG übrigens großen Respekt. Das sind Leute, die schon fünf bis zehn Jahren gegen die Russen gekämpft haben, bevor sie nach Syrien kommen. Die sind unglaublich tüchtig und kaltblütig. Warum sie dort sind? Sind es Sadisten? Glauben sie an die Sache? Sind sie Psychopathen? Das ist schwer zu sagen. Ich denke, es ist eine Mischung aus allen möglichen Typen Mensch.” Eine Sache hätten aber alle IS-Anhänger gemeinsam, sagt Mørck. ”Es sind Außenseiter. Menschen, die keinen anderen Weg sehen und den IS als Möglichkeit nehmen, um etwas zu tun. Um auf irgendeine Weise in ihrem Leben voran zu kommen.”

Tommy Mørck am Strand in Apenrade. Foto: Karin Riggelsen

Rückkehr nach Dänemark

Knapp ein halbes Jahr lang kämpft Mørck für die YPG in Syrien. Da er über seinen Aufenthalt in Rojava kein Geheimnis macht und auch öffentlich einsehbar über Facebook darüber berichtet, wird irgendwann auch der dänische Verfassungsschutz PET auf ihn aufmerksam. Seit September 2016 ist es Dänen per Gesetz verboten, sich in einem bestimmten Gebiet in Rojava aufzuhalten.

”Bevor ich ausgereist bin, dachte ich mir schon: das ist wohl nicht ganz legal, was ich da mache. Ich hab das nicht näher untersucht. Ich wollte einfach ausreisen”, sagt Mørck rückblickend. Bei seiner Ankunft am Kopenhagener Flughaften Kastrup Anfang April rechnet er damit, von der Polizei in Empfang genommen zu werden. Doch zu Mørcks Überraschung interessiert sich niemand für den Mann in kurdischer Tracht, der am 8. April durch das Gate schreitet und nach Dänemark zurückkehrt.

Mørck fährt zur Familie seines Bruders nach Holstebro, wo sich auch seine Mutter aufhält. ”Ich nahm mir vor: nach Ostern rufe ich lieber mal bei der Polizei an. Um anzufragen, ob da was auf mich zukommt”, erinnert sich Mørck. Kurz darauf, Mørck ist mittlerweile in Aarhus, erfährt er von seiner Mutter, dass die Polizei soeben das Haus des Bruders in Holstebro umstellt hat. Schusssichere Westen inklusive.

”Zuerst waren sie beim Nachbarn. Meine Mutter schaute aus dem Fenster und wunderte sich, was da los sei. Offenbar hatten sie sich zunächst im Haus geirrt. Sie waren auch bei der Adresse meiner Mutter hier in Apenrade. Bei meinem Vater in Holebüll, Wilsbek, sind sie ebenfalls ums Haus geschlichen.”

Warum, fragt sich Mørck, hat die Polizei ihn nicht einfach direkt kontaktiert? ”Das hat meine Mutter die Bediensteten auch gefragt: Habt ihr versucht, ihn anzurufen? Da wurden sie wohl etwas still, denn sie waren offenbar nicht in der Lage, meine Nummer nachzuschlagen.” Eine öffentlich zugängliche Nummer, wie Mørck betont.

Wenige Tage später meldet sich dann aber doch noch ein Polizist von der Lokalpolizei Aarhus. ”Er sagte, sie hätten mich gesucht. Ich sagte, davon hätte ich gehört. Ich könne einfach mal vorbeikommen. Ich dachte: Warum rennt ihr in ganz Dänemark umher und belästigt meine Familie wenn ich einfach nur vorbeikommen soll, wenn ich mal Zeit habe? Das war merkwürdig.”

Eine Stunde später fährt Mørck zur Polizeiwache. Drei Stunden lang wird er verhört, muss Fingerabdrücke und DNA-Proben abgeben. Die Polizei nimmt ihm den Pass ab und erstellt Anzeige nach dem Strafgesetz Paragraf 114. ”In einem bestimmten Distrikt in Rojava darf man sich nicht aufhalten. Und da war ich. Deswegen bin ich angeklagt worden.” Wann und ob seine Sache verhandelt wird, weiß Mørck noch nicht. Trotz mehrmaligem Nachfragen bei der Staatsanwaltschaft. ”Ich wüsste schon gerne, was da auf mich zukommt. Ein Verstoß gegen das Gesetz kann bis zu sechs Jahre Gefängnis mit sich bringen.”

Seinen Pass hat er mittlerweile wieder. "Der alte lief aus und ich konnte mir einen neuen bestellen, dazu hat die Polizei ihr Okay gegeben", so Mørck. Ob er ein Ausreiseverbot erhalten hat, weiß er trotz mehrmaliger Nachfragen bei Polizei und Staatsanwaltschaft bis heute nicht.

Rechts oben im Bild bereitet der Anführer von Mørcks Truppe eine Spritze für einen verletzten Kämpfer (re.) vor, der bei einem Angriff auf das Lager der Männer verwundet wurde. Foto: Privat

Die Zukunft

Ob er nocheinmal nach Rojava reisen will? ”Ja, das werde ich”, sagt Mørck. Noch aber sei offen, in welcher Form. ”Es war ein wichtiges Erlebnis, eine wichtige Erfahrung, dort unten gewesen zu sein. Denn ich verstehe nun viele Dinge sehr viel besser.” Um die kurdische Revolution in Rojava zu unterstützen, könne er aber auch von Dänemark aus aktiv sein. Mørck hofft auf eine Zusammenarbeit mit der dänischen Organisation Okologisk Rojava, die vor Ort eine Landwirtschaftsschule nach ökologischen Richtlinien errichten will.

http://www.eco-rojava.dk/the-project-idea/

Mørck will helfen, die Schule zu errichten. ”Die Vorstellung von nachhaltiger Landwirtschaft sind dort sehr begrenzt. Unter Assad wurde diese Gegend als Kornkammer genutzt. Das Land dort ist sehr fruchtbar.” Wenn alles wie geplant läuft, fliegt Mørck im November nach Rojava, ”um noch mehr Kontakte zu knüpfen und um Saatgut vor Ort auszuprobieren”.

Ob er sich vorstellen kann, vor Ort in Rojava zu leben? ”Solange das Projekt mit der Landwirtschaftsschule umgesetzt werden soll, würde ich wohl für einige Zeit da sein.” Aber leben? Nein, sagt Mørck. Ihm gehe es nicht darum, für sich selbst ein gutes Leben zu finden.Sondern darum, die Sache zu unterstützen. ”Es ist eine humanistische, eine humanitäre Revolution, die dort gerade stattfindet. Und ich bin sehr gespannt, ob sie sich bewähren wird. Ich hoffe, sie breitet sich in ganz Syrien aus. Denn Syrien ist gerade in einer Lage, in einem Bürgerkrieg, in der es keine guten Lösungen gibt. Egal, wer gewinnen wird, wen wir unterstützen. Es wird in Chaos und ethnischen Säuberungen enden. Die einzige Möglichkeit, wie es meiner Meinung nach funktionieren würde: wenn die Idee aus Rojava, die Ideologie und die Art und Weise, Gesellschaft zu gestalten, sich verbreitet.”

Es ist für Mørck die Gleichstellung der Geschlechter, Ethnien und Glaubensrichtungen und das Praktizieren direkter Demokratie, die ihn an die Sache glauben lassen. ”Mir ist wichtig, dass genau das verbreitet wird. Dass die Gedanken und Werte in ganz Syrien Anwendung finden, im Nahen Osten, in Europa, in der ganzen Welt. Es geht ja nicht darum, etwas zu kopieren. Das können wir nicht, denn die Kulturen unterscheiden sich, die Umstände unterscheiden sich. Dennoch lernt man sehr viel von dem, was sie tun.”

Und die Miliz? Kann er sich vorstellen, wieder für die YPG zu kämpfen? Würde ihn seine alte Einheit darum bitten, geriete er in ein Dilemma, sagt Mørck. ”Wenn ich da wieder runter reise, werde ich meine alte Einheit natürlich besuchen. Der Leiter meiner Truppe wurde getötet, etwa eine Woche, nachdem ich wieder zurück in Dänemark war. Aber ich will gerne zurückkehren und die anderen wiedersehen. Wir waren eine kleine Einheit, 16 Leute.” Zusammen kämpfen, Häuser bewohnen, abends Tee trinken, Tauben fangen – die geknüpften Bande sind stark, sagt Mørck. ”Aber wenn ich darüber nachdenke, wieder mit der Miliz zu kämpfen, sage ich mir: Nein, das würde ich nicht tun. Auch deshalb, weil ich mit dem, was ich jetzt tue, mehr helfen kann. Aber ich wäre in einem Dilemma. Es wäre schwer, nein zu sagen, wenn sie fragen.”

Tommy Mørck
Tommy Mørck hat einen etwas anderen Weg eingeschlagen, als die meisten Nordschleswiger. Foto: Karin Riggelsen

Wurzeln in der deutschen Minderheit

Seine Wurzeln hat Tommy Mørck in der deutschen Minderheit in Nordschleswig. „Ich bin in Nordschleswig aufgewachsen und habe an vielen Adressen zwischen Krusau und Apenrade gelebt”, erinnert sich Mørck. Nach dem Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig probiert sich Mørck in vielen Berufen aus. Er dient in der königlichen Leibgarde, arbeitet als Bürokaufmann und in der Kommunalverwaltung im Rathaus von Lyngby. Er studiert mehrere Fächer, ”aber nicht bis zum Abschluss”, wie Mørck sagt.

Warum ist dein Leben so anders verlaufen ist, als das der meisten Nordschleswiger?

Mit Anfang 20 eine Familie gründen, Kinder kriegen, ins eigene Haus ziehen, Karriere machen – für ihn nicht der richtige Weg, sagt Mørck. ”Das will ich gar nicht verurteilen. Aber es sind oft Grenzen vorgegeben, die man nicht überwinden möchte. Es ist schwer, aus dieser Lebensart auszubrechen, wenn alle es von dir erwarten. Für mich war es kein befriedigendes Leben. Ich wollte mehr.

Sind dir deine Mitbürger im eigenen Land fremd geworden?

”Ich kann diese Lebensart verstehen, ich will sie aber nicht teilen. Für viele Bürger ist es das höchste der Gefühle, auf eine Demo zu gehen oder bei Facebook etwas zu posten. So sieht Revolution in der westlichen Welt aus. Nichts gegen Demos. Aber durch demonstrieren alleine hat sich noch selten etwas geändert. Die Demo kann nur ein erster Schritt sein. Man muss auch mal etwas tun, um Dinge zu verändern. Aber die Leute posten ihre Unzufriedenheit, ihren Aufruhr, bei Facebook und haben dann das Gefühl, etwas getan zu haben. Aber tatsächlich haben sie nicht sonderlich viel getan."

In Dänemark rede man am liebsten über das Wetter und über den Nachbarn, sagt Mørck. ”Bloß keine Konflikte. Bloß keine Diskussion, an deren Ende man sich nicht einig wird!” Für Mørck gibt es nicht nur Schwarz oder Weiß. ”Nehmen wir das Beispiel Kindersoldaten. Auch bei der YPG gibt es Kindersoldaten, die beispielsweise 15 Jahre alt sind. Warum ist das so? Da unten herrscht ein irres Chaos, für mache Kinder und Jugendlichen ist die YPG die einzige Möglichkeit, um Essen und Gemeinschaft zu kriegen, nachdem ihre Familie ausgerottet worden ist. Die YPG schickt diese Kinder nicht an die Front sondern setzt sie im Hinterland beispielsweise als Chauffeure ein. Wo ist da die Grenze? Das muss jeder selbst bestimmten”, sagt der 39-Jährige und blickt hinaus in den dunklen Sommerhimmel über Apenrade. ”Ich finde meine eigenen Grenzen. Die Leute mögen ihre finden.”

Mehr in Teil 1: Tommy - ein Nordschleswiger kämpft gegen den IS

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