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Ostsee: Fang von Hering und Dorsch wird stark eingeschränkt

Ostsee: Fang von Hering und Dorsch wird stark eingeschränkt

Ostsee: Fang von Hering und Dorsch wird stark eingeschränkt

dpa
Luxemburg
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Ein Herings-Fischer fährt mit vollen Stellnetzen über den Greifswalder-Bodden zurück zum Hafen in Greifswald-Wiek. Foto: Christian Charisius/dpa/Archivbild

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Die Krise der Ostseefischerei spitzt sich zu: Angesichts einer drohenden Katastrophe für Dorsch und Hering darf 2022 viel weniger gefangen werden. Ministerin Klöckner zeigt sich enttäuscht. Auch auf Hobby-Angler kommen Einschränkungen zu.

Fischer dürfen in der westlichen Ostsee 2022 keinen Dorsch mehr und Hering nur noch in Ausnahmen gezielt fangen. Die EU-Länder einigten sich am Dienstag angesichts bedrohter Bestände nach mehr als 24 Stunden Verhandlung darauf, dass beim Dorsch lediglich Beifang in Höhe von knapp 490 Tonnen möglich sein soll und nur noch 788 Tonnen Hering gefischt werden dürfen, wie aus einer Mitteilung der EU-Länder hervorgeht. Für Deutschland sind es 435 Tonnen Hering und 104 Tonnen Dorsch.

Hintergrund sind drastische Bestandsrückgänge. Dorsch und Hering sind in der Ostsee die für die deutsche Fischerei bisher wichtigsten Fischarten. Gezielte Heringsfischerei mit Schleppnetzen wird untersagt.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium wies darauf hin, dass es dem Beschluss nicht zustimme. Ministerin Julia Klöckner (CDU) hatte vergeblich gefordert, dass über den westlichen Hering im Dezember entschieden werden sollte, weil dieser Bestand in nördlichere Gewässer wandert und auch andere Länder nach Hering fischen. Das Ressort warf der EU-Kommission vor, sie habe unterschiedliche Maßstäbe an die Befischung von Ostsee und Kattegat/Skagerrak angelegt. Die heimischen Fischer an der Ostsee müssten drastische Einschnitte hinnehmen, während weiter nördlich der Bestand abgefischt werde.

Das erwartet auch der Direktor des Thünen-Instituts in Rostock, Christopher Zimmermann. Damit bekomme der Heringsbestand keine Chance, sich zu erholen.

Die deutsche Ostseefischerei stehe vor dem Aus, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner. «Unter dem Strich ist das für die deutsche Fischerei, das muss man ganz klar sagen, eine Katastrophe», sagte Fischerei-Verbandssprecher Claus Ubl der Deutschen Presse-Agentur. Dorsch und Hering seien die «Brotfische». «Und wenn die dermaßen gekürzt werden, dass man sie nicht mehr gezielt befischen darf, dann kann sich jeder ausrechnen, dass da kaum noch ein Fischer von überleben kann», sagte Ubl. Einigen werde helfen, dass die Quoten für Scholle und Sprotte angehoben wurden.

Klöckner kündigte an, sich für eine finanzielle Unterstützung der Fischerei einzusetzen. Der Bund will mit den Ländern ausloten, ob weitere «Abwrack-Maßnahmen» notwendig seien.

«Uns bleibt nicht mehr lange, um einen vollständigen Kollaps des Ökosystems in der Ostsee zu verhindern», sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Neben zu hohen Fangmengen in den vergangenen Jahren habe der Klimawandel einen negativen Einfluss auf die Population, betonte die Organisation MSC, die sich für eine nachhaltige Fischerei einsetzt. Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack sagte, die Vollbremsung komme zu spät und stürze die Ostseefischerei sehenden Auges in den Abgrund.

Die Einigung zum Hering enthält eine Ausnahmegenehmigung für Fischerboote unter zwölf Meter, die mit «passivem Fanggerät», also etwa Stellnetzen, weiterhin gezielt Heringe fischen dürfen. Auch Hobby-Angler sind betroffen: Sie dürfen außerhalb der Schonzeit pro Tag und Person nur noch einen Dorsch und einen Lachs fangen.

Werden angesichts der Einschnitte nun auch Dorschfilet und Matjesbrötchen wesentlich teurer? Wohl eher bedingt. «Die Fangmengen in der Ostsee spielen für die Preisgestaltung auf den internationalen Märkten kaum eine Rolle», sagte ein Sprecher des Umweltministeriums in Kiel.

«Die starke Reduzierung der erlaubten Fänge vom westlichen Dorsch ist richtig, kommt allerdings zu spät», sagte der Kieler Fischereiexperte Rainer Froese. «Bereits im letzten Jahr war absehbar, dass es nur noch einen Jahrgang von Dorschen gibt anstatt der üblichen zehn bis zwölf - und dass sich dieser bisher nicht erfolgreich fortgepflanzt hat.» Wäre die Einstellung gezielter Fänge bereits im letzten Jahr beschlossen worden, wie vom Geomar-Forschungsinstitut und von Kieler Fischern gefordert, gäbe es jetzt eine Millionen mehr Laichdorsche und die Chancen für eine Erholung des Bestandes wären deutlich besser.

«So wie es jetzt steht können wir nur hoffen, dass der Dorschbestand nicht bereits verloren ist», sagte Froese. «Die wenigen verbliebenen Dorsche müssen daher ganz dringend geschützt werden.»

«Das Verbot der gezielten Fischerei ist notwendig, um den Beständen Erholungschancen zu eröffnen», erklärte die Kieler Umweltstaatssekretärin Doris Kuhnt. «Trotzdem steht die deutsche Ostseefischerei vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte und ich mache mir große Sorgen um unsere Betriebe und ihre Familien im Land.» Jetzt werde ein neues Gesamtkonzept zur Zukunft der deutschen Ostseefischerei benötigt. Gegenüber dem letzten Jahr bedeuteten die Beschlüsse beim Hering eine weitere Reduzierung der Fangquote um 50 Prozent und beim Dorsch um 88 Prozent.

Die Schonzeit für Dorsch wurde um 15 Tage verlängert. Sie beginnt nun am 15. Januar und endet am 31. März. Bei den für die deutsche Fischerei ebenfalls noch interessanten Arten Scholle und Sprotte wurden die Fangmengen um 25 beziehungsweise 13 Prozent angehoben.

«Das ist niederschmetternd für die Küstenfischerei in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern», sagte der Vize-Landesvorsitzende des Fischereiverbandes in Schleswig-Holstein, Benjamin Schmöde. Die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren sei schlimm. Ein «Lichtlein am Ende des Tunnels» gebe es mit der Anhebung der Quoten für Sprotte und Scholle. «Das kann die Quotenverluste insgesamt aber bei weitem nicht ausgleichen.»

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