Nationalsozialismus

Prozess gegen KZ-Sekretärin: Jugendstrafrecht empfohlen

Prozess gegen KZ-Sekretärin: Jugendstrafrecht empfohlen

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dpa
Itzehoe (dpa/lno) -
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Als Sekretärin im KZ Stutthof soll Irmgard F. Beihilfe zum tausendfachen Mord geleistet haben. Möglicherweise sei sie damals noch nicht ganz erwachsen gewesen, meint die Jugendgerichtshilfe. Bei einem Schuldspruch könnte die 97-Jährige eine Ju...

Im Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat sich die Jugendgerichtshilfe für die Anwendung von Jugendstrafrecht für die bei Kriegsende erst 19 Jahre alte Angeklagte ausgesprochen. «Ich gehe davon aus, dass Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen sollte, für den Fall, dass eine Schuld festgestellt werden sollte», sagte am Dienstag der Sozialpädagoge Josef Lux vor dem Landgericht Itzehoe. Es sei nicht auszuschließen, dass es in der damaligen Gesellschaft zu Entwicklungsverzögerungen bei der Frau gekommen sei.

Irmgard F. sei nach Schule und Ausbildung am 1. Juni 1943 als Mitarbeiterin in dem Lager bei Danzig angestellt worden. Ihr Vater habe ihr gesagt, sie solle das tun. Die heute 97-Jährige sei aber nicht bereit gewesen, ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen, eine Kontaktaufnahme sei gescheitert, erklärte Lux.

Die Angeklagte soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft Irmgard F. vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet zu haben. Die Angeklagte hat sich im Prozess bislang nicht zu dem Vorwurf geäußert.

Bei Heranwachsenden wird in Deutschland meist das Jugendstrafrecht angewendet, wenn die Jugendgerichtshilfe dies befürwortet. Beim Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Die Höchststrafe für Heranwachsende beträgt bei Verbrechen zehn Jahre Haft, bei Mord mit besonderer Schwere der Schuld 15 Jahre. Entscheidend für die Anwendung des Jugendstrafrechts ist das Alter zur Tatzeit.

Das Gericht hatte am Dienstag eigentlich die Beweisaufnahme schließen wollen, doch ein Streit um die Rolle des historischen Sachverständigen Stefan Hördler verzögerte den Plan der Jugendkammer. Die Verteidigung widersprach Angaben von Hördler, die bei einem Besuch zweier Richter in der Gedenkstätte in Stutthof Anfang November protokolliert worden waren. Demnach soll die Angeklagte damals von ihrem Arbeitsplatz in der Kommandantur aus freie Sicht auf einen Platz im KZ gehabt haben, an dem Häftlinge bei Fluchtversuchen erschossen wurden. Ein Modell des damaligen Lagers, das in der Gedenkstätte zu sehen ist, zeige jedoch, dass ein heute nicht mehr existierendes höheres Gebäude die Sicht versperrte, erklärte Verteidiger Niklas Weber.

Die Verteidigung beantragte zudem, dass das Gericht einen Vermerk zu einem Telefonat zwischen Hördler und der Staatsanwältin verlesen solle. Dabei gehe es um die Frage, ob sich der Sachverständige zu einem frühen Zeitpunkt auf eine Position festgelegt habe. «Es kommt auf das Maß seiner Unbefangenheit sicherlich an», erklärte Webers Kollege Wolf Molkentin. Sollte das Gericht die Verlesung des Vermerks ablehnen, behalte sich die Verteidigung vor, einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen zu stellen.

Der historische Sachverständige Hördler ist der wichtigste Zeuge in dem Verfahren. Die rund 30 Nebenkläger - alle hochbetagt - konnten in ihren Aussagen und Vernehmungen keine konkreten Angaben zur Angeklagten machen. Hördler trug sein Gutachten an 14 Verhandlungstagen vor, zudem begleitete er die beiden Richter bei ihrer Reise in die Gedenkstätte. Nebenklagevertreter Markus Horstmann beantragte am Dienstag, Hördler erneut zu laden und zu seinen Erklärungen in der Gedenkstätte zu befragen. Seine erneute Vernehmung könne dem Protokoll des Besuchs des ehemaligen Lagers eine gewisse Angreifbarkeit nehmen, sagte Horstmann.

Eigentlich soll nach Planung des Gerichts am nächsten Montag die Staatsanwältin ihr Plädoyer halten. Dann könnte die Kammer nach weiteren Plädoyers der Nebenklagevertreter und der Verteidigung das Urteil noch vor Weihnachten verkünden. Müsste der historische Sachverständige erneut geladen werden, wäre der Zeitplan aber hinfällig, sagte der Vorsitzende Richter Dominik Groß. Das Gericht werde seine Entscheidung aber unabhängig von dieser Frage treffen, versicherte er.

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