Schleswig-Holstein & Hamburg

Rechtsmediziner mit dem Boogie im Blut

Rechtsmediziner mit dem Boogie im Blut

Rechtsmediziner mit dem Boogie im Blut

dpa
Kiel (dpa/lno) -
Zuletzt aktualisiert um:
Claas Buschmann, stellvertretender Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Foto: Frank Molter/dpa/Archivbild

Auf seinem Tisch liegen die Opfer von Mord und Totschlag. Rund 3000 Leichen hat der Kieler Rechtsmediziner Claas Buschmann bereits obduziert. Er hilft dabei, Kriminalfälle aufzuklären. Und privat haut er mächtig in die Tasten.

Wer auf dem Behandlungstisch von Claas Buschmann landet, für den kommt definitiv jede Hilfe zu spät. Der ist nicht einfach nur tot, sondern allem Anschein nach keines natürlichen Todes gestorben. «Das Schlimme an der Rechtsmedizin sind nicht die Toten, das sind die Lebenden», sagt Buschmann. Der habilitierte Arzt ist seit Februar stellvertretender Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel. Ende März erschien sein erstes Buch «Wenn die Toten sprechen: Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin».

Laut Statistikamt Nord sterben im nördlichsten Bundesland jedes Jahr etwa 35 000 Menschen. Natürlich landet nicht jede Leiche in der Rechtsmedizin. Buschmann kommt im Auftrag der Staatsanwaltschaft aber dann zum Einsatz, wenn Morde, Suizide oder Kunstfehler-Vorwürfe zu untersuchen sind. Sein Telefon klingelt manchmal auch nachts. «Wenn irgendwo eine Leiche gefunden wird», sagt Buschmann. Bei Bereitschaft habe er deshalb nicht nur das Smartphone, sondern immer auch ein Auto da.

Fast wie im Fernseh-«Tatort». Einiges stimme in Filmen meist jedoch nicht, sagt Buschmann. «Was man aus dem Fernsehen kennt: Die Ehefrau kommt in die Rechtsmedizin. Die Bahre wird rausgezogen. Sie schreit: «Er ist es.» Das gibt es nicht. Das hat sich ein Drehbuchautor vor vielen Jahren ausgedacht.» Auch unterdrücke er seinen Geruchssinn bei der Arbeit nicht. Der liefere wichtige Informationen. «Das Fernseh-Zerrbild von unserem Beruf stimmt nicht.»

Buschmann wirkt lebensfroh. Seine Hamburger Herkunft hört man ihm trotz langer Zeit in Berlin deutlich an. Nach seiner Familie sei der Jazz seine zweite Leidenschaft. «Ich kann bis heute an Klavieren schlecht vorbeigehen.» Der Autodidakt tritt als «Dr. Boogie» gelegentlich als Jazzpianist solo oder auch mit Band auf. «Also eigentlich eher als Pausenclown.» Er sei weit entfernt von einem ausbildeten Konzertpianisten.

Im Februar wechselte Buschmann nach 14 Jahren an der Berliner Charité nach Kiel. Rund 3000 Leichen hat der 44-Jährige in seinem Berufsleben gesehen - tragische Unfälle, brutale Morde und tödliche Krankheiten. Er wird oft gefragt, wie er es mit den Toten aushält. «Ich habe lange Rettungsdienst gemacht und gesehen, wie es ist mit Menschen zu arbeiten, die einem in den Armen sterben, die vor den eigenen Augen verbrennen. Das ist furchtbar und das möchte ich nie wieder erleben.» Es sei für ihn keine Belastung, seit 2007 mit Leuten zu arbeiten, «die es hinter sich haben».

Zwischen einer und vier Obduktionen erfolgen Tag für Tag in der Kieler Rechtsmedizin. Nicht immer trat der Tod erst vor kurzer Zeit an. Einige Leichen lagen wochenlang in der Wohnung. An deren Geruch beim Aufschneiden der Körper gewöhne man sich, sagt Buschmann. Als Vergleich nennt er die volle Biotonne in der Sommerhitze. Die Klimaanlage im Institut helfe.

Buschmann hat geholfen, Mörder und Versicherungsbetrüger zu überführen. Besonders in Erinnerung ist ihm sein Einsatz nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016. «Der Attentäter Anis Amri hat es ganz offensichtlich beherrscht, dass an diesem Anschlagsort eine große Symbolik entstanden ist.» Die Gedächtniskirche, Weihnachtsbäume, zerstörte Engel und zerbrochene christliche Symbole. «Mittendrin ein schwarzer Laster wie aus der Hölle, als wenn die Erde sich auftut und einen solchen LKW ausspuckt. Zerstörte Leichen und alles stinkt nach Glühwein.»

Ob dies sein schwerster Fall war, vermag Buschmann nicht zu beantworten. «Ist ein dreijähriges Kind, das stirbt, schlimm oder ist ein Familienvater, der nicht von der Arbeit nach Hause kommt, schlimm oder schlimmer?» Medizin ist nicht immer nur schön. «Wenn man sich mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigen will, sollte man besser Künstler werden.»

Zweimal bereits landeten auf dem Tisch des Rechtsmediziners Leichen, die er gekannt hatte. «Das erste Mal habe ich den Toten gar nicht erkannt, weil der so fäulnisverändert war», sagt Buschmann. Unweit seiner Berliner Wohnung habe er in seiner Stammkneipe regelmäßig Fußball geschaut. «Da saß am Tresen immer ein älterer Mann, schwer alkoholkrank, aber nie ausfällig.» Irgendwann habe Manni nicht mehr dort gesessen. Wie sich herausstellte, hatte der Biertrinker wochenlang tot im Hochsommer in seiner Wohnung gelegen und Buschmann selbst habe den Leichnam obduziert. «Der war nicht mehr zu erkennen.»

Im anderen Fall handelte es sich um einen Partygast. «Der ist mir in Erinnerung geblieben, weil er so unheimlich viel Blödsinn erzählt hat und offensichtlich auf Droge war», sagte Buschmann. «Ein halbes Jahr später lag er dann bei mir auf Tisch - auch faul aus der Wohnung; wegen Drogen.» Noch nicht beantwortet hat sich Buschmann die Frage, ob er auch wissentlich einen Bekannten oder ein Familienmitglied obduzieren würde.

Schwieriger wird es für den Rechtsmediziner in den wenigen Momenten, in denen er doch Kontakt mit Angehörigen hat. Vor Jahren habe er als Gutachter im Prozess um einen bestialischen Mord unter Studenten ausgesagt, sagt Buschmann. Während seiner Ausführungen zu der tödlichen Attacke in der WG sei es im Gerichtssaal mucksmäuschenstill gewesen. «Als ich das Gericht verließ, fragte mich ein Mann, ganz offensichtlich der Vater der Studentin: Hat sie gelitten?» Buschmann musste die Frage leider bejahen. «Ich habe kurz zuvor im Saal ja auch eine Dreiviertelstunde genau erzählt, warum das so war. Das Schlimme an der Rechtsmedizin sind nicht die Toten, das sind die Lebenden - nämlich solche Momente.»

Mehr lesen