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Rüstungsindustrie im Norden mit Wachstum und Ernüchterung

Rüstungsindustrie im Norden mit Wachstum und Ernüchterung

Rüstungsindustrie im Norden mit Wachstum und Ernüchterung

dpa
Kiel (dpa/lno) -
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Gute wirtschaftliche Entwicklung, aber trotzdem Enttäuschung und viel Kritik - die Rüstungsindustrie im Norden zeichnet ein differenziertes Bild ihrer Lage. Und ein weit verbreitetes Problem geht auch an dieser Branche nicht vorbei.

Die Rüstungsindustrie in Schleswig-Holstein ist weiter auf Wachstumskurs, aber enttäuscht über ihre sehr geringe Einbindung in das Sondervermögen für die Bundeswehr. Dies gilt besonders für den im Land starken Marineschiffbau, wie Branchensprecher Dieter Hanel am Freitag in Kiel sagte. «Es zeichnet sich ab, dass Schleswig-Holstein nur geringfügig an dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen partizipieren wird.»

Von anfangs prognostizierten 8,9 Milliarden Euro des Sondervermögens für Beschaffungsvorhaben der Marine seien bisher nur wenige Vorhaben eingeplant und keine bei Unternehmen im Land in Auftrag gegeben worden. Das Sondervermögen sei zu 75 Prozent faktisch vergeben, wichtige Vorhaben wie die Beschaffung von Kampfflugzeugen, schweren Transporthubschraubern und Luftabwehrsystemen ins Ausland, hier namentlich in die USA und nach Israel.

Vor allem die größeren Rüstungsbetriebe schätzen ihre aktuelle Lage besser ein als im schon zufriedenstellenden Vorjahr. Entsprechend positiv sind die Umsatzerwartungen für das laufende Jahr, wie aus einer Umfrage des Arbeitskreises Wehrtechnik hervorgeht. Insgesamt wird demnach für das gesamte Geschäftsjahr überwiegend mit besseren oder zumindest gleich hohen Umsätzen gerechnet. Der Gesamtumsatz der Wehrtechnik im Land schwankt zwischen 1 und 1,5 Milliarden Euro im Jahr.

An der Umfrage beteiligten sich 25 der 32 Mitgliedsunternehmen. Nur sieben erwarten positive Auswirkungen des Bundeswehr-Sondervermögens auf den Geschäftsverlauf in den nächsten fünf Jahren.

Dennoch verzeichne die Branche insgesamt eine positive wirtschaftliche Entwicklung, sagte der Arbeitskreis-Vorsitzende Hanel. Mit knapp 7700 Beschäftigten direkt in der Wehrtechnik sei 2022 ein Höchststand seit 30 Jahren erreicht worden. Ganz vorn rangiert die Kieler Werft TKMS mit 3100 Beschäftigten. Der Personalaufwuchs beruhe nicht auf Folgen des Ukraine-Kriegs oder dem Sondervermögen, sondern auf langfristigen Verträgen und der globalen sicherheitspolitischen Situation. Unterstützungsleistungen für die Ukraine lieferten nur wenige größere Unternehmen, für die meisten im Land sei dieses Thema nicht relevant.

Die Branche plant weitere Investitionen und Neueinstellungen. Allerdings bremst auch hier der weit verbreitete Personalmangel. «Es fehlt an Fachkräften», sagte Hanel. Die FFG in Flensburg und Rheinmetall hätten jeweils 100 freie Stellen, die nur schwer zu besetzen seien.

Hanel kritisierte, bei der überfälligen Neuorganisation des Beschaffungswesens der Bundeswehr und der Schließung gravierender Ausrüstungslücken seien keine bedeutenden Fortschritte erreicht worden. Das vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel für den Verteidigungshaushalt werde weiterhin erheblich verfehlt.

Rüstungsexperte für zehn ausländische Streitkräfte bildeten 2022 mit 50 bis 70 Prozent des Umsatzes eine tragende Säule für die Unternehmen. Von den 73 laut Hanel relevanten Auftragseingängen, die der Marineschiffbau in Schleswig-Holstein seit 2010 erhalten habe, seien 47 von 23 ausländischen Marinen gekommen, vorrangig aus dem Mittleren Osten, Nordafrika und Asien.

Eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik behindere politisch geforderte Kooperationen, schwäche die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie und führe zum Verlust von Schlüsseltechnologien. Hanel verlangte einen Verzicht auf EU-weite Ausschreibungen, wo dies zum Erhalt von Schlüsseltechnologien und zur Verfügbarkeit der Ausrüstung erforderlich ist.

Zudem müsse die deutsche, besonders die mittelständische Industrie angemessen an Beschaffungen aus dem Ausland beteiligt werden. Während andere Länder hier hart eine Beteiligung von beispielsweise 50 Prozent hineinverhandelten, mache Deutschland das nicht. «Die Ausländer sind da cleverer», sagte Hanel.

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