Abschlussbericht

Amtlich: Schwere Verstöße in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in SH

Amtlich: Schwere Verstöße in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in SH

Schwere Verstöße in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

SHZ
Kiel/Schleswig
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Kinder und Jugendliche mussten in vermeintlichen Hilfseinrichtungen leiden. Foto: Nicolas Armer/shz.de

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Ein Gutachten im Auftrag des Landes bescheinigt dem Betreuungs-Personal über 40 Jahre hinweg "Gewalt und Willkür in einem erschreckenden Ausmaß".

Es ist ein offizielles Schuldanerkenntnis: In der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Einrichtungen der Behindertenhilfe in Schleswig-Holsten sind Insassen von 1949 bis '90 „in erschreckender Weise vernachlässigt und misshandelt worden“. Zu diesem Fazit gelangt der Abschlussbericht eines Wissenschaftlerteams um den Medizingeschichtler Prof. Cornelius Borck von der Universität Lübeck im Auftrag von Landesregierung und Landtag.

Fixierung, Zwangsernährung, Ruhig gestellt mit Medikamenten

Darin bestätigen die Autoren nach mehrjähriger Forschung, dass Schläge, Zwang, Missbrauch und Ruhigstellung durch Medikamente an der Tagesordnung waren. Das 250-seitige Gutachten berichtet von Fixierungen und Zwangsernährung ebenso wie von psychischer Gewalt etwa durch Drohungen, Isolationsmaßnahmen oder Vorenthalten von Schulunterricht.

Die Erkenntnisse gründen sich auf die Auswertung von Archivakten, Fachpublikationen und Briefen ebenso wie auf 36 Interviews mit damaligen Bewohnern. Auf dieser Basis bescheinigt Borck dem damaligen Personal „ein gravierendes Ausmaß an Gewalttätigkeit und Willkür“.


Schwere Vorwürfe erhebt die Untersuchung auch gegen die früheren CDU-Landesregierungen: Sie hätten sich dem ab 1975 auf Bundesebene einsetzenden Umdenken zu einer humaneren Kinder- und Jugendpsychiatrie völlig verweigert. O-Ton des Berichts: „Das gesundheitspolitische Desinteresse der Verantwortlichen auf Landesebene an der Schaffung dezentraler Versorgungsstrukturen, insbesondere für Minderjährige mit schweren geistigen Behinderungen, hatte Anteil an einer Perpetuierung (Verstetigung, Anm. d. Red.) gewaltfördernder Strukturen in Großeinrichtungen.“

Die drei Einrichtungen mit den meisten Zeitzeugen-Meldungen

Konkret untersucht wurden das einstige Landeskrankenhaus Schleswig-Hesterberg, die ehemalige Internatsschule für Hörgeschädigte ebenfalls in Schleswig und die einstige „Krankenheilanstalt zur Betreuung psychisch und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher“ in Wyk auf Föhr. Aus diesen drei Einrichtungen hatten sich die meisten Zeitzeugen gemeldet. Der Bericht legt indes im selben Zeitraum ähnliche Verfehlungen in zahlreichen weiteren öffentlichen wie privaten Einrichtungen nahe.

Borck betont weiter: Auch für die Gegenwart unterstrichen die Ergebnisse, „wie notwendig ein rechtlicher Schutz von Patienten und Bewohnern sowie eine effektive externe Kontrolle solcher stationären Einrichtungen“ sei.

Sozialminister Heiner Garg (FDP) nennt es „erschütternd, dass Menschen, die Hilfe und Schutz erwarteten, Misshandlung und Vernachlässigung erfahren haben“. Sozialausschussvorsitzender Werner Kalinka (CDU) ein „tiefes Mitgefühl“ aus.

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