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Deutsch-israelisches Ehepaar aus Angeln: „Wie sollen wir jetzt unseren Alltag bewältigen?“

Deutsch-israelisches Ehepaar„Wie sollen wir jetzt unseren Alltag bewältigen?“

Deutsch-israelisches Ehepaar verzweifelt

Wilhelm van de Loo/shz.de
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Silke und Daniel möchten aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. Foto: Wilhelm van de Loo

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Nach dem Überfall der Hamas-Terroristen ist nichts mehr, wie es einmal war – auch nicht für ein Ehepaar aus der Nähe von Flensburg. Für das Paar sind die Geschehnisse in seiner Heimat besonders emotional.

Die Luftlinie von Flensburg bis zum Süden Israels beläuft sich auf etwa 3500 Kilometer. Das Geschehen um den barbarischen Überfall von Hamas-Terroristen und seine Folgen kommt zwar ständig aktuell mit Fernsehbildern in deutsche Wohnzimmer. Trotz aller Betroffenheit ist es aber doch irgendwie weit weg. Für Silke und Daniel, ein deutsch-israelisches Ehepaar, das mit seinen Kindern am Rand von Flensburg wohnt, ist es hingegen nicht nur nah. Sie, deren Namen aus Sicherheitsgründen anonymisiert wurden, stecken vielmehr mittendrin.

In Angeln aufgewachsen, im Nahen Osten gearbeitet

Silke ist in einem kleinen Dorf in Angeln aufgewachsen und kennt auch die palästinensische Seite dadurch, dass sie dort mehrere Monate bei einer Nichtregierungsorganisation gearbeitet hat. Sie bekam am vergangenen Sonnabend in der Frühe im Radio mit, dass im israelischen Grenzgebiet zum Gaza-Streifen Kämpfe ausgebrochen waren.

Ihr Mann hielt das im ersten Moment für eines der dort üblichen Geplänkel. So etwas kannte er, war er doch in einem Kibbuz geboren und aufgewachsen. Die nahe Grenze wurde nach seinen Worten in seiner Kindheit gar nicht als solche empfunden. Es bestanden freundschaftlich-nachbarschaftliche Kontakte hinüber und herüber. Junge Israelis fuhren mit dem Fahrrad durch Gaza, um am Strand des Mittelmeeres zu baden.

Kontakt mit Verwandten in der Heimat

Mit der sogenannten Ersten Intifada Ende der 1980er-Jahre war diese friedliche Koexistenz vorbei. Anfang der 2000er übernahm die radikal-islamistische Hamas, vom Westen als Terrororganisation eingestuft, die Macht und wurde zunehmend extrem. Am 7. Oktober kam es nun zu einem bestürzenden, traurigen Höhepunkt mit hemmungslosem Terror und etwa 1400 Toten allein auf israelischer Seite.

Sofort nahmen Silke und Daniel per Whatsapp Kontakt mit Verwandten und Freunden auf. Diese hatten sich in die in jedem Haus befindlichen Bunker geflüchtet und dort verbarrikadiert. Durch das Telefon hörten beide Schüsse und Schreie. Von ihren Gesprächspartnern erfuhren sie, dass Anrufe bei den Sicherheitskräften lange ohne Resonanz geblieben wären. Erst nach vielen Stunden seien die überfallenen Dörfer befreit worden. Die Angreifer mordeten ohne Erbarmen und Unterschied, auf schrecklichste Weise sogar Kinder. Silke bezeichnet die Geschehnisse als das schlimmste Verbrechen an Juden seit der Nazi-Zeit.

Viele Dörfer inzwischen evakuiert

Die grenznahen Dörfer sind, wie bei täglichen telefonischen Kontakten berichtet wurde, mittlerweile evakuiert und die überlebenden Bewohner weiter im Landesinneren provisorisch untergebracht. Mittlerweile ist die israelische Bodenoffensive eingeleitet. Dazu wurden Tausende Reservisten einberufen. Zu ihnen gehört auch eine 19-jährige Cousine von Daniel. Sie hatte nach ihrem neunmonatigen Grundwehrdienst gerade ihr Studium begonnen und muss nun direkt aus dem Hörsaal heraus wieder Soldatin werden.

Hier in Deutschland gehe das Leben seinen normalen Gang weiter, Silke aber fühlt sich innerlich zerrissen.

Ihre Erwartung geht einerseits dahin, dass sich die Bundesregierung mit größtmöglichem Nachdruck für die Befreiung der Geiseln einsetzt. Andererseits dürfe die deutsche Bevölkerung keineswegs in Schweigen und Gleichgültigkeit verfallen. Es gehe nicht um Israelis oder Juden, sondern um Menschen.

Silkes eindringlicher Appell richtet sich an alle: „Zeigt euch solidarisch und lebt Menschlichkeit und Herzenswärme vor.“ Das sei die Antwort auf diese Terrorakte. Sie schließt mit einem Ausspruch aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“

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