Parteitag in Neumünster

Erdmann und Freitag neue Doppelspitze der Grünen in SH

Erdmann und Freitag neue Doppelspitze der Grünen in SH

Erdmann und Freitag neue Doppelspitze der Grünen in SH

Frank Jung
Neumünster
Zuletzt aktualisiert um:
Gazi Freitag und Anke Erdmann führen die Grünen in Schleswig-Holstein. Foto: Axel Heimken/dpa

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Nach fünf Jahren hat die grüne Regierungspartei in Schleswig-Holstein zwei neue Landesvorsitzende: Anke Erdmann kam mit überwältigender Mehrheit, Gazi Freitag bei einer Kampfabstimmung vergleichsweise knapp ins Amt. Mit Erdmann kehrt ein politisches Schwergewicht auf die Bühne zurück.

Die Grünen wollen die SPD bei der Kommunalwahl im nächsten Mai als zweitstärkste Kraft in Städten und Gemeinden ablösen. Diesen Anspruch hat die heute bei einem Parteitag in Neumünster neu gewählte Grünen-Landesvorsitzende Anke Erdmann formuliert.

Nur elf Nein-Stimmen für Erdmann

Nach einer kämpferischen Rede konnte die 50-jährige Kielerin 104 von 119 Delegiertenstimmen auf sich vereinen. Elf Mitglieder votierten mit Nein, vier enthielten sich.

Die einstige Umwelt-Staatssekretärin hatte sich der Parteibasis vor allem mit ihrer langjährigen Erfahrung empfohlen. „25 Jahre habe ich volle Kanne Politik gemacht“, bilanzierte Erdmann. Gemünzt war das etwa auf langjährige Tätigkeiten im Kieler Orts- und im Landesvorstand und als Bildungsexpertin der Grünen-Landtagsfraktion. 2017 wechselte Erdmann aus dem Parlament an die Seite von Minister Robert Habeck ins Umwelt-Ressort. 2019 „gesundheitlich kurzzeitig aus der Kurve geflogen“, kehrte sie als Teilnehmerin der Koalitionsverhandlungen im Bund im vergangenen Jahr und im Land in diesem Jahr in die politische Arbeit zurück.

„Da habe ich gemerkt: Es ist alles noch da - meine Lust am Debattieren, mein Verhandlungsgeschick und vor allem grünes Herzblut“, sagte die Rückkehrerin.

„Vor allem nach außen bin ich, wenn es darauf ankommt, hartnäckig“, erklärte Erdmann. „Die Krise, die wir jetzt erleben, ist eine Krise fossilen Ursprungs“, sagte die neue Parteichefin an die Adresse politischer Wettbewerber. „Energiewende geht mit uns oder sie geht gar nicht.“ Eine direkte Attacke ritt Erdmann auf die FDP und deren Widerstand gegen ein Tempolimit: Ein Pauschalticket als Nachfolger des 9 Euro-Tickets sei die wirkliche freie Fahrt für freie Bürger.“

Ihre Ehe mit dem sozialdemokratischen Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer kommentierte die Grünen-Vorsitzende so: „Ich bin mit Ulf verheiratet und nicht mit der SPD. Wer glaubt, dass ich mit Sozialdemokraten kuschel, hat sich geschnitten.“

Erdmanns Mit-Kandidatin fiel durch

Ganz in den Himmel lässt ihre Partei die Bäume für Erdmann jedoch nicht wachsen. Ausdrücklich gemeinsam mit Erdmann hatte als Co-Vorsitzende Katharina Bartsch aus Wentorf im Kreis Herzogtum Lauenburg kandidiert. Sie leitet das Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz. Doch statt ihrer bevorzugte der Parteitag mit 66 gegen 52 Stimmen den Kieler Gazi Freitag als Co-Chef.

Gazi Freitag punktet mit Emotionen

Der 42-jährige ist Geschäftsführer der lokalen Kieler Parteigeschäftsstelle. Er hatte die Delegierten emotional überzeugt. In einer sehr persönlichen Rede verwies er auf eigene Erfahrungen durch gesellschaftliche Benachteiligung und pries sich als soziales Gewissen der Partei an. Katharina Bartsch hatte vor allem ihr Organisationstalent in Wahlkämpfen und ihren Blick für den ländlichen Raum in den Vordergrund gestellt.

Frei geworden war die Parteispitze, weil sich die bisherigen Vorsitzenden Steffen Regis und Ann-Kathrin Tranziska nach fünf Jahren nicht mehr zur Wiederwahl gestellt hatten. Beide wollen sich beruflich neu orientieren. Beide erklärten, sie übergäben ein wohlbestelltes Haus.

Mitgliederzahl der Grünen hat sich verdoppelt

Stolz zeigten sie sich vor allem darüber, dass sich die Mitgliederzahl der Grünen im Land während ihrer Amtszeit auf 5639 mehr als verdoppelt hat. „Grünes Mitregieren ist gesellschaftliche Normalität geworden“, stellte Tranziska fest. Guten Gewissens verlasse sie die Landespolitik auch, weil es gelungen sei, die AfD nun wieder aus dem Landtag herauszuhalten.

Klar bekannten sich die Grünen dazu, bei der Krisenbewältigung Klima- und Sozialpolitik vereinen zu wollen. Einstimmig verabschiedete der Parteitag dazu einen Leitantrag. „Klarer als andere Parteien sorgen wir dafür, dass die sozial-ökologische Transformation weitergeht“, kündigte Energiewende- und Umweltminister Tobias Goldschmidt an. Wenn es „Schritte zurück“ gebe wie etwa ein LNG-Terminal in Brunsbüttel, müssten die Grünen „zugleich auch die nächsten zwei Schritte nach vorne beschreiben“.

Sozialministerin Aminata Toure appellierte mit Blick auf die Energieversorgungskrise und die Inflation: „Wir dürfen die gesellschaftliche Spaltung nicht zulassen. Wir müssen Lösungen für alle Gruppen zugleich anbieten.“ Zugleich müsse man den Blick für Visionen behalten: „Wenn Politik nur noch im Krisenmodus agiert, ist es nur noch Verwalten.“

Ein kritisches Wort über Robert Habeck

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte seine geplante Teilnahme am Parteitag seines Heimat-Landesverbands wegen auswärtiger Verpflichtungen kurzfristig absagen müssen. In Abwesenheit gab es - neben viel Zuspruch - auch mahnende Worte. Die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg hinterfragte Habecks Auftritt bei den Scheichs von Katar auf der Suche nach alternativen Energielieferanten zu Russland: „Wir müssen Robert schon die Frage stellen: Welchen Stellenwert haben Menschenrechte in unseren auswärtigen Beziehungen? Sind sie das Fundament oder nicht?“

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