Folge des Klimawandels: Eisschmelze könnte gefährliche Krankheitserreger freisetzen

Folge des Klimawandels: Eisschmelze könnte gefährliche Krankheitserreger freisetzen

Folge des Klimawandels: Eisschmelze könnte gefährliche Krankheitserreger freisetzen

Barbara Barkhausen
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In einer neuen Studie wurden die ökologischen Risiken berechnet, die durch die Freisetzung alter Viren durch die Eisschmelze entstehen. Foto: dpa/PA Wire/Owen Humphreys

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Die Temperatur nimmt zu, das Eis schmilzt. Die Folge: ein steigender Meeresspiegel. Beim Schmelzvorgang können jedoch auch Krankheitserreger aus dem Eis freigesetzt werden. Eine neue Analyse zeigt, wie gefährlich diese wirklich sind.

Das Klima weltweit wird wärmer. Allerdings findet diese Erwärmung nicht überall gleichmäßig statt. In kälteren Regionen wie der Arktis erwärmt sich das Klima sogar bis zu viermal schneller. Die Folge ist, dass das Eis schmilzt. Durch diesen Prozess steigt aber nicht nur der Meeresspiegel: Schätzungen gehen davon aus, dass durch die Eisschmelze auch vier Sextillionen (4.000.000.000.000.000.000.000) Mikroorganismen pro Jahr freigesetzt werden.

Bisher hatte man schon eine vage Vorstellung, dass dies ein Risiko für die heutigen Ökosysteme und vor allem die Menschheit darstellen könnte. Doch angesichts der unvorstellbar großen Zahl an potenziell freigesetzten Mikroorganismen, sei es „bisher schwierig“ gewesen, das Risiko für moderne Ökosysteme darstellen zu können, heißt es im akademischen Magazin „The Conversation“. Bekannt ist jedoch bereits, dass unter den Mikroorganismen auch Krankheitserreger sind, die möglicherweise Tiere wie auch Menschen infizieren könnten.

Beunruhigende Präzedenzfälle in der Vergangenheit

Dass dies nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigen erste Fälle aus der jüngeren Vergangenheit. Im Jahr 2003 wurden Bakterien aus Proben wiederbelebt, die vom Boden eines Eiskerns entnommen wurden, der in eine Eiskappe auf der Qinghai-Tibet-Hochebene gebohrt worden war. Das Eis in dieser Tiefe war mehr als 750.000 Jahre alt.

Im Jahr 2014 wurde das sogenannte Pithovirus sibericum aus 30.000 Jahre altem sibirischen Permafrost wiederbelebt und im Jahr 2016 kam es in Westsibirien zu einem Ausbruch von Milzbrand, einer durch das Bakterium Bacillus anthracis verursachten Krankheit, die auf das schnelle Auftauen von Bacillus anthracis-Sporen im Permafrost zurückgeführt wurde. Die Krankheit tötete Tausende von Rentieren und ließ Dutzende Menschen erkranken.

Freisetzung könnte zu großen Schäden weltweit führen

In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Computational Biology veröffentlicht wurde, ist es Wissenschaftlern nun gelungen, die ökologischen Risiken zu berechnen, die durch die Freisetzung alter Viren entstehen. Die Simulationen der Forscher zeigen, dass ein Prozent der simulierten Freisetzungen von nur einem ruhenden Krankheitserreger weltweit großen Schaden anrichten könnte.

Bei ihrer Analyse arbeiteten die Forscher mit einer Software namens Avida, eine von der Michigan State University entwickelte Softwareplattform für künstliches Leben. Auf diese Weise führte die internationale Forschergruppe Experimente durch, die die Freisetzung alter Krankheitserreger in moderne biologische Gemeinschaften simulierten.

Tierarten könnten stark dezimiert werden

Insgesamt fanden die Experten, dass eindringende Krankheitserreger häufig überleben, sich weiterentwickeln und in einigen Fällen außergewöhnlich hartnäckig und dominant in der Gemeinschaft werden. Letzteres könnte in der Folge zu erheblichen Verlusten oder zu Veränderungen in der Anzahl der lebenden Tierarten führen, wie Giovanni Strona von der University of Helsinki sagte, der die Studie leitete. Was sich bisher meist nur im Science-Fiction abgespielt habe, könne damit auch in der Realität „ein ernstes Risiko darstellen“.

In etwa drei Prozent der Fälle wurde der Erreger in der neuen Umgebung dominant. Etwa ein Prozent dieser Eindringlinge führte zu unvorhersehbaren Ergebnissen wie dem Aussterben von bis zu einem Drittel der Wirte, also der Tierarten, die die Krankheitserreger in sich trugen. Die Risiken, die von diesem einen Prozent der freigesetzten Krankheitserreger ausgehen, mögen auf den ersten Blick gering erscheinen. Doch die Forschenden verwiesen auf die schiere Anzahl alter Mikroben, die regelmäßig in moderne Gemeinschaften freigesetzt werden könnte. Dies habe zur Folge, dass Ausbrüche durchaus „eine ernsthafte Gefahr darstellen“ könnten.

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Viren könnten sich von Tieren auf Menschen übertragen

Beispielsweise ist es laut den Forschern plausibel, dass ein einst im Eis gebundenes Virus sich über Tiere auf die menschliche Bevölkerung übertragen könnte. Denn auch Viren wie SARS-CoV-2, Ebola und HIV wurden wahrscheinlich durch Kontakt mit anderen tierischen Wirten auf den Menschen übertragen. Auf diese Weise könnten die Viren zu einer „unvorhersehbaren Bedrohung“ werden.

„Als Gesellschaft müssen wir das potenzielle Risiko verstehen, das von diesen alten Mikroben ausgeht“, sagt Corey Bradshaw von der Flinders University in Adelaide, der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat. Nur so könnte sich die Menschheit auf „die unbeabsichtigten Folgen ihrer Freisetzung in die moderne Welt vorbereiten“. Die Ergebnisse würden zeigen, „dass das Risiko nicht länger nur eine Fantasie ist, gegen die wir uns nicht wehren sollten“.

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