Alkoholsucht

Franz-Josef Hecker kämpft mit der Sucht – jeden Tag aufs Neue

Franz-Josef Hecker kämpft mit der Sucht – jeden Tag aufs Neue

Franz-Josef Hecker kämpft mit der Sucht

SHZ
Schleswig / Nübel
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Im KIBIS leitet Franz-Josef Hecker die Suchtselbsthilfegruppe „Haithabu“ Schleswig der Guttemplergemeinschaft und hilft dort anderen Betroffenen. Foto: Michelle Ritterbusch/SHZ

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Zur Konfirmation trank er das erste Mal Wein. Irgendwann bestimmten Wein, Schnaps und Co. den Alltag des Nübelers. Mithilfe eines Entzuges und Selbsthilfegruppen schaffte er es, sein Leben zu ändern.

Wenn vor der „Sportschau“ die Werbung darauf aufmerksam macht, wie wohlschmeckend Bier ist, trifft das bei Franz-Josef Hecker immer noch einen Nerv. Und das, obwohl er seit Jahrzehnten keinen Alkohol angerührt hat. Das war nicht immer so: Der 68-Jährige aus Nübel ist trockener Alkoholiker. Mittlerweile leitet er die Selbsthilfegruppe „Haithabu“ Schleswig der Guttemplergemeinschaft und hilft dort anderen Betroffenen, abstinent zu bleiben.


Bis dahin war es ein langer Weg. Denn seinen ersten Schluck Alkohol trank Hecker, der damals noch in Paderborn lebte, als Jugendlicher. Bei der Feier zu seiner Konfirmation drückten die Erwachsenen ihm erst ein Glas Weißwein in die Hand. „Anschließend kam der obligatorische Sekt“, erinnert er sich. „Der Junge muss doch mal nippen“, hätten die Älteren gesagt. Und das tat der Junge. „Es hat mir gleich geschmeckt“, erinnert er sich noch heute.

Der erste Filmriss in der Jugend

Der erste Filmriss folgte nur wenige Jahre später. 16 oder 17 Jahre war er damals alt – so genau weiß er das heute nicht mehr. Eine Kneipe hatte im Ort eröffnet und lud die Gäste zu Freibier ein. „Jeder konnte so viel trinken, wie er wollte. Das war natürlich ein preiswertes Angebot.“

Am nächsten Tag hatte der junge Mann Kopfschmerzen. Während sich andere von einem Kater mit „dicken Schädel“ und Übelkeit gebeutelt vornehmen, nie wieder auch nur einen Schluck Alkohol zu sich zu nehmen, kam der Jugendliche auf eine andere Idee: „Gegen Kopfschmerzen am nächsten Tag kann man etwas tun: Dann trinkt man noch einen drauf.“

Die große Freiheit in der eigenen Wohnung

Im Laufe der Jahre griff Franz-Josef Hecker immer wieder zur Flasche. Regelmäßigkeit und Menge nahmen zu. Der Alkoholkonsum beschränkte sich aber stark auf das Wochenende.

Das änderte sich bald, denn im Alter von 20 Jahren folgte der große Freiheitssprung: die erste eigene Wohnung. Hecker zog nach Frankfurt am Main. Und damit änderte sich sein Leben. Hatte er in seiner Heimat noch ein soziales Umfeld, das auf ihn Acht gab, konnte er in der Metropole machen, was er wollte.

Die Gewöhnung war vorbei

Er arbeitete in der Gastronomie, war als Kellner, in der Küche und in der Organisation tätig, war „Hans Dampf in allen Gassen“. „Das war der bedeutsamste Schritt in Richtung Sucht“, sagt er heute rückblickend. Der Punkt der Gewöhnung war überschritten.


Er hatte im Gastgewerbe immer Zugang zu alkoholischen Getränken. Bier, Schnaps – der junge Mann nahm verschiedene alkoholische Getränke zu sich. „Ich habe mal eine Zeit lang größenwahnsinnig Whisky-Bitter-Lemon getrunken und Zigarren geraucht“, erzählt er. Das hatte einen amerikanischen Einschlag und war einfach cool. Wenn er Hochprozentiges konsumierte, fühlte er sich gut: „Ich habe gemerkt, dass unter Alkohol alles viel toller ist. Größer, schöner, weiter – das hat mir alles der Alkohol geboten.“

Irgendwann geriet die Situation außer Kontrolle

Wann das alles außer Kontrolle geriet, kann Hecker heute nicht mehr sagen. Es gab nicht den einen Zeitpunkt. Viel mehr war das ein schleichender Prozess. Irgendwann war aber ein Stadium erreicht, in dem der Alkohol sein Leben bestimmte und er nur noch von Schluck zu Schluck lebte. Er verlor seinen Job, seine Beziehung ging in die Brüche. „Die Zuverlässigkeit war nicht mehr so gegeben.“


Noch dazu kam, dass im betrunkenen Zustand „aus dem lieben, netten Kerl auch mal ein unangenehmer Kerl wurde“. Streitsüchtig wurde er dann und verbal unbeherrscht. Hinzu kamen Arroganz und Zynismus. Wenn er etwas getrunken hatte, fühlte er sich immer im Recht. „Das Zusammenleben mit einem Alkoholiker ist unzumutbar. Das kann ich in der Rückschau sagen.“

Ausweg aus einem Leben in Trümmern

Irgendwann hatte er genug. Es war November 1989, Franz-Josef Hecker war 36 Jahre alt und stand vor den sprichwörtlichen Scherben seiner Existenz. „Ich hatte nur noch ein Trümmerfeld“, sagt er selbst. Also entschloss er sich, sein Leben ändern.

Hilfe bekam er von seiner Schwester, die ihn bei sich wohnen ließ und ihm half, alles zu ordnen. Denn dazu war er nicht mehr im Stande. In seinem Kopf herrschte nur noch Leere. Ein Sozialberater empfahl ihm eine Selbsthilfegruppe. Ein halbes Jahr dauerte es, bis er nach seinem Entschluss, „trocken zu werden“, eine stationäre Therapie in Bad Hersfeld beginnen konnte. In den Monaten zuvor reduzierte er seinen Alkoholkonsum auf eine bis zwei Flaschen Wein oder Apfelwein am Tag – „je nachdem, was greifbar und finanziell drin war“.

Neuanfang in Schleswig-Holstein

In dieser Zeit dachte er mehrfach darüber nach, dass er einen Entzug nicht braucht und den Absprung alleine schafft. Die Mitglieder seiner Selbsthilfe bestärkten ihn, seinen Plan umzusetzen und die Therapie anzutreten.

Nach dem Entzug stellte Hecker sich die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Zurück in sein altes Umfeld wollte er nicht. Zu groß wäre die Gefahr eines Rückfalls gewesen. Also nahm er eine Deutschlandkarte in die Hand und fragte sich: „Wo will ich den Rest meines Lebens verbringen?“ Die Wahl fiel auf Schleswig-Holstein. Das nördlichste Bundesland gefiel ihm wegen der Nähe zum Wasser. Und so kam der damals 38-Jährige im September 1990 nach Kiel. Ein Koffer reichte, um sein gesamtes Hab und Gut in die Landeshauptstadt zu bringen: „Es ist nicht viel, was nach so einer Karriere bleibt.“

Berufung: Hilfe für andere

In Kiel zog er zunächst in die sozialtherapeutische Übergangseinrichtung der Guttempler. Einen Arbeitsplatz fand er schließlich in der Landesstelle für Suchtfragen. 28 Jahre war er als Referent tätig, hat Veranstaltungen organisiert und Selbsthilfegruppen geleitet. Mittlerweile ist Franz-Josef Hecker Rentner. Der schlanke Mann mit den grauen Haaren hat sein Leben geordnet. Seit Jahrzehnten lebt er abstinent. Der Arbeit der Selbsthilfegruppen ist er bis heute treu geblieben und leitet jeden Mittwoch um 20 Uhr in der Schleswiger Selbsthilfekontaktstelle KIBIS (Kontakt – Information – Beratung in der Selbsthilfe) eine Gruppe. Dort gibt er seine Erfahrungen weiter und hilft anderen, die ebenfalls unter einer Sucht leiden.


Die Teilnehmer reden unter anderem darüber, was zu tun ist, wenn eine Bierwerbung zum sogenannten Trigger wird, also den Wunsch nach einem Schluck Alkohol aufkommen lässt. Heckers Strategie: Alternativen suchen. Statt dem Wein zum Essen kann auch ein leckerer Nachtisch etwas sein, auf das man sich freut. Die „Sportschau“ aus Angst vor Bierwerbung nicht mehr zu schauen, kommt für ihn nicht infrage. Er möchte sein Alltag meistern. Die Sucht ist ein Teil davon – und wird es wahrscheinlich immer bleiben: „Der Kampf wird zwar milder, aber er bleibt ein Leben lang“, sagt er.


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