Arbeitsmarkt

Jobkiller Mindestlohn? Warum die 12 Euro jetzt problematisch sind

Jobkiller Mindestlohn? Warum die 12 Euro jetzt problematisch sind

Jobkiller Mindestlohn? Warum die 12 Euro jetzt problematisch

Inga Gercke
Kiel
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Anjé Killian ist Taxiunternehmerin aus Kiel und für sie kommt gerade jetzt der Mindestlohnanstieg zur falschen Zeit. Foto: Michael Staudt

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2015 wurde der Mindestlohn eingeführt und seitdem schrittweise erhöht. Nun steigt er auf 12 Euro pro Stunde. Aber profitieren Arbeitgeber davon?

Am 1. Oktober steigt der Mindestlohn auf 12 Euro. Das heißt für knapp 210.000 Schleswig-Holsteiner mehr Geld für die gleiche Arbeit. Kritiker befürchten allerdings, dass Arbeitgeber nicht mehr bezahlen, sondern einfach die Arbeitszeit verkürzen. Nicht weil sie nicht zahlen wollen, oft können sie es schlicht nicht. Im schlimmsten Fall droht sogar der Jobverlust.

Erhöhung des Mindestlohns – was heißt das für die Arbeitnehmer?

Laura Pooth, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Norden, freut sich über den Anstieg des Mindestlohns und sagt: „Der neue Mindestlohn wird nicht zu Arbeitsplatzverlusten führen.”

Fragt man Anjé Killian, Taxiunternehmerin aus Kiel, hört sich das anders an. Bisher hatte sie acht Fahrer, „zwei musste ich jetzt schon entlassen“, so die 57-Jährige. Der Mindestlohn sei aber nur der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Allein 3000 Euro pro Monat müsse sie momentan für Mehrkosten wie beispielsweise Diesel ausgeben. Zudem sei seit Corona das Abend- und Nachtgeschäft immens eingebrochen. „Eine Taxe musste ich abmelden, nun habe ich noch drei. Die 12 Euro hätte ich jetzt so nicht gebraucht. Ich gönne das wirklich vielen, aber für umsatzabhängige Branchen wie dem Taxigewerbe wird es sehr schwer sein, den Mindestlohn zu zahlen. Gerade, wenn die Mitarbeiter nicht genügend einfahren. Und jeder möchte doch gerade nachts sicher nach Hause kommen“, sagt Killian. Die letzten Lohnerhöhungen gingen noch, „aber der Sprung auf 12 Euro wird Arbeitsplätze kosten“, sagt sie.

1,55 Euro mehr die Stunde – bisher größter Sprung beim Mindestlohn

Konkret geht es um 1,55 Euro pro Stunde und Angestellten mehr. Das ist die höchste Anhebung seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015. Zuletzt lag der bei 10,45 Euro die Stunde.

Seitdem wurde der Mindestlohn, oder Lohnuntergrenze, von anfänglich 8,50 Euro pro Stunde in mehreren Schritten erhöht. Die erste Erhöhung auf 8,84 Euro erfolgte zum 1. Januar 2017. Danach wurde der Mindestlohn jeweils zum 1. Januar der Jahre 2019, 2020 und 2021 auf 9,19 Euro, 9,35 Euro und 9,50 Euro angehoben, zuletzt in halbjährlichen Schritten auf bis zu 10,45 Euro zum 1. Juli dieses Jahres. Nun steigt der Mindestlohn schließlich auf 12 Euro pro Stunde, der bis dato höchste Sprung.

Weniger Arbeitslose seit Einführung des Mindestlohns

Wie aber hat sich der Anstieg des Mindestlohns auf die Arbeitslosenzahlen ausgewirkt? Wieder ist DGB-Vorsitzenden Pooth optimistisch und spricht von einem „Beschäftigungsboom“. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Nord – zeigen tatsächlich, dass es seit der Einführung des Mindestlohns weniger Arbeitslose in Schleswig-Holstein gibt. So waren es 2015 noch 106.411 Menschen, die keinen Job hatten. Im Januar dieses Jahres lag die Zahl bei 83.746. Ein Minus von 21,3 Prozent. Gleichzeitig nach die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu. Im Januar 2015 waren es noch 892.561. Sieben Jahre später sind es 1.033.188 – eine Steigerung von 15,8 Prozent.

Mindestlohn führt zur Arbeitszeitreduzierung

Was diese Zahlen aber nicht zeigen: Durch den Mindestlohn haben Arbeitnehmer nicht zwangsweise mehr Geld im Portemonnaie. Häufig würde einfach die Arbeitszeit verkürzt, sagt Dr. Dominik Groll aus dem Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Nach der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 hat dies Schätzungen zufolge zu einem beträchtlichen Ausmaß stattgefunden, und zwar so weit, dass der Arbeitszeitrückgang den Stundenlohnanstieg kompensierte, so dass die Monatsverdienste weitestgehend unverändert blieben.”

Mindestlohn hat keinen Einfluss auf die Armutsgefährdung

Durch diese mindestlohnbedingte Reduzierung der Arbeitszeit steige das Monatseinkommen der Betroffenen kaum oder gar nicht, so der Experte. „Grundsätzlich kann ein gesetzlicher Mindestlohn die Armutsgefährdung in Deutschland nicht spürbar senken, auch wenn es keine Beschäftigungsverluste gäbe und unabhängig von der Höhe des Mindestlohns”, so Groll.

Veränderte Rahmenbedingungen lassen Zukunft ungewiss

Zudem könne man die Ergebnisse der Mindestlohnstudie, also weniger Arbeitslose seit Einführung einer Lohnuntergrenze, nicht auf die jetzige Erhöhung auf 12 Euro übertragen. Veränderte Rahmenbedingungen gegenüber 2015 seien Hauptgrund. Mehrkosten durch Energiekrise, Lieferengpässe et cetera würden die Zahlen nun anders beeinflussen. Und da wären wir wieder bei Unternehmerin Anjé Killian, den gestiegenen Dieselpreisen und gleichzeitig gesunkenen Fahrgastzahlen. Die Unternehmerin geht davon aus, „dass die Erhöhung des Mindestlohns auch in vielen anderen Branchen Arbeitsplätze kosten wird“. Aber wenn es hart auf hart kommt, sagt Anjé Killian, fahre sie auch mit einer Taxe alleine und ohne Mitarbeiter weiter. „Aber ich möchte nicht auf meine Fahrer verzichten, weil sie tolle Mitarbeiter sind“, sagt sie.

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