Ehrenamt

Nachfolger gesucht: Warum Vereine im Land in Gefahr sind

Nachfolger gesucht: Warum Vereine im Land in Gefahr sind

Nachfolger gesucht: Warum Vereine im Land in Gefahr sind

Karin Lubowski/shz.de
Henstedt-Ulzburg
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Das Sportangebot schrumpft, wenn es zu wenige Übungsleiter gibt. Foto: imago sportfotodienst/shz.de

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Ob in der Schule, im Sport oder beim Kinderschutzbund: Vielen Vereinen fällt es schwer, Ehrenamtliche zu gewinnen. Die Folgen treffen oft die Kinder.

Elternvertreterin Christine Richter ist alarmiert. Wenn sich niemand findet, der oder die künftig den Vorsitz für den Schulverein der Olzeborchschule in Henstedt-Ulzburg übernimmt, muss der seine Arbeit niederlegen. Aktuell wird der Vorsitz kommissarisch von Katharina Willmann-Schmilewski geführt, doch deren Kinder gehen schon längst nicht mehr auf die Olzeborchschule.

Sie hat den Verein noch durch die kontaktarmen Zeiten der Pandemie geleitet, doch nun möchten sie und ihr Mann Stefan Willmann, der die Funktion des Kassenwarts inne hat, sich zurückziehen. Nachfolgerinnen, Nachfolger sind indessen nicht in Sicht. Weihnachten 2022 hatte sich das Ehepaar zunächst als Frist gesetzt, die ist nun verlängert bis zum Schuljahresende 2023. Der Kassenwart sagt:

10.000 Euro sind noch auf der Habenseite. Löst sich der Verein auf, fließen die an die Gemeinde.

Lehrer übernehmen Ämter der Eltern

Was droht da, verloren zu gehen? „Der Schulverein unterstützt und organisiert unter anderem Kinder und Lehrkräfte durch Bereitstellung von zeitgemäßem Lehrmaterial, zum Beispiel Bücher, Sport- und Bastelmaterialien, Computer, Instrumente, Spielekörbe; schulische Veranstaltungen wie Klassenfahrten, Theatervorführungen und Autorenlesungen“, heißt es unter der Überschrift „Rettet den Schulverein“ auf einem Flyer, mit dem für den 8. Februar 2023 zur Teilnahme an der Mitgliederversammlung und Vorstandswahl aufgerufen wird.

Die Olzeborchschule ist kein Einzelfall. An der Theodor-Heuss-Schule in Kiel habe es während der letzten Wahlversammlung des Schulvereins bei der Besetzung der Ämter schon klare Probleme gegeben, berichtet der Schulelternbeiratsvorsitzende Andreas Hesse.

Kommenden Sommer dürfte sich das zuspitzen, dann gehen sowohl der Vorsitzende als auch die Schatzmeisterin, Nachfolger seien bisher nicht in Sicht. 

Wertvolle Arbeit ist bedroht, wo man keine Ehrenamtlichen findet

Das gute Gelingen hängt am Ehrenamt. „Wer sammelt die Kleiderspenden oder verteilt die Lebensmittel? Wer organisiert das Training im Sportverein? Wer bringt Chöre zusammen? Wer hilft bei der Altkleidersammlung oder liest im Altenheim vor?“, fragt das vom Landesverband der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins betriebene Web-Portal www.engagiert-in-sh.de und stellt fest:

Es braucht mindestens sieben geschäftsfähige Menschen, um einen rechtsfähigen, also eingetragenen Verein aus der Taufe zu heben. Und es braucht ehrenamtlich Engagierte, die ihn am Leben halten. „Mehr als eine halbe Million Vereine leisten hierzulande wertvolle Arbeit – vom Kindergarten über den Sport- oder Musikverein bis hin zum Förderverein“, hält der Verein Deutsches Ehrenamt fest. Doch diese wertvolle Arbeit ist vielerorts bedroht, weil sich nicht genügend ehrenamtliche Mitarbeiter finden lassen. Die Folgen treffen oftmals ausgerechnet Kinder.

Der Kinderschutzbund findet keine Nachfolger für den Vorstand

Im Ortsverband Malente des Kinderschutzbundes, der unter anderem Rutsche und Schaukeln auf dem vor dem Abriss geretteten Spielplatz am Bärwalder Weg finanziert hat, droht der Vorsitz zu verwaisen. Noch hat ihn Lina Harfst inne, doch die Fahrten, die sie für ihr Ehrenamt vom heimischen Selmsdorf ins rund 60 Kilometer entfernte Malente unternimmt, kommen zu denen, die sie als Lohnbuchhalterin werktags nach Lübeck fahren muss. „Es wird mir zu viel“, sagt sie.

„Auf jeden Fall“ bleibt sie bis Ende 2023 in ihrer Funktion. Dann aber möchte nicht nur sie sich zurückziehen, sondern auch die Schriftführerin des Vereins, in dem bislang niemand Interesse bekundet hat, für die Scheidenden einzuspringen. Lina Harfst hofft bei der Suche auf die Unterstützung von Landes- und Kreisverband. Aber ihr Eindruck ist, dass der Wille zum Ehrenamt insgesamt abgenommen hat. Den Zahlen nach (siehe Info-Kasten) ein subjektiver Eindruck, und doch: „Es scheint so zu sein, dass man niemanden bekommt, wenn es kein Geld zu verdienen gibt.“

Den Sportvereinen fehlen Ehrenamtliche

Von Vereinen in Nöten will Thomas Niggemann nicht sprechen. Er ist Geschäftsführer des Bereichs Vereins-, Verbandsentwicklung und Breitensport beim Landessportverband Schleswig-Holstein (LSV). Aber er sorgt sich um die Zukunft des Vereinssports und nennt die Situation „sehr herausfordernd“.

Gesucht werden auch hier Ehrenamtliche. „Vereinen und Verbänden fehlen zunehmend Übungsleiter, Betreuer. Es fehlen Leute, die sich in Vorständen und Gremien engagieren, die Jubiläen oder Kinderfeste organisieren“, sagt er.

Die Pandemie habe die Situation verschärft. Zwar sei man, wo immer es ging, auf alternative Formate wie Videoangebote ausgewichen, aber die klassischen Zusammenkünfte, eben das, was Vereinsleben ausmacht, hätten nicht stattfinden können. „Viele haben in der Coronazeit für sich festgestellt: ,Es geht auch ohne‘“, so Niggemann. Ohne Ehrenamt, ohne Verein. Das trifft vor allen die Sportvereine im ländlichen Raum, wo quasi alles in den Händen von Ehrenamtlern liegt.

Weil Übungsleiter fehlen, ist das Sportangebot in Gefahr

„1. Vorsitz (vakant)“ heißt es derzeit auf der Homepage des Kreissportverbandes Dithmarschen. „Beauftragte/r für Lehrgangsarbeit – Zur Zeit nicht besetzt. 1. Vorsitzende/r der Sportjugend – Zur Zeit nicht besetzt“ vermeldet der Kreissportverband Eckernförde. Und via LSV-Seite suchen der SV Adelby aktuell einen Trainer im Ringen, der Turnklub Flensburg e.V. und Rot-Schwarz Kiel Übungsleiter, ETSV Fortuna Glückstadt e. V. einen Sportlehrer.

„Ein Verein lebt vom Ehrenamt“, unterstreicht Niggemann. Der schlimmste Fall? „Der Betrieb kann nicht mehr am Leben erhalten werden.“ Soweit sei es bei LSV nicht, ein Vorstandsamt könne man zur Not überbrücken. Aber wenn beispielsweise Übungsleiter fehlen, ist die Breite des Angebots in Gefahr.

Es braucht Veränderungen bei der Suche nach Ehrenamtlichen

Eine herausfordernde Situation eben. „Die Leute wollen wissen, was sie erwartet, ehe sie sich in der Vereinsarbeit engagieren“, sagt Niggemann. „Eine Art Arbeitsplatzbeschriebung gewissermaßen.“ Entsprechend muss es Veränderungen in den Vereinen und bei der Suche nach Helfern geben. Niggemann nennt als Möglichkeit projektbezogenes Engagement, für ein Sportfest etwa einen Marathonlauf. „Wir unterstützen Vereine kostenlos mit externen Beratern in Organisationsentwicklung.“

„Die Bereitschaft, sich zu engagieren, sinkt“, wurde unlängst in einem Beitrag des Deutschlandfunks über die Lage in den Sportvereinen festgestellt. Beruht das tatsächlich nur auf subjektiven Wahrnehmungen? Thomas Niggemann sagt: „Die Einstellung zum Ehrenamt hat sich verändert.“

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