Neuer Wohnraum in SH

Neue Wohnungen: Im Westen zu viele, im Osten zu wenige

Neue Wohnungen: Im Westen zu viele, im Osten zu wenige

Neue Wohnungen: Im Westen zu viele, im Osten zu wenige

SHZ
Kiel
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Bauarbeiter arbeiten auf einer Baustelle an der Kieler Hörn. Foto: Marcus Brandt/dpa/shz.de

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In Schleswig-Holstein werden viele neue Wohnungen benötigt. Aber um die regionale Verteilung der Neubauten ist eine Diskussion entbrannt – Kritiker halten die Pläne für unausgewogen.

Die neue Bundesregierung hat große Pläne. Vor allem beim Wohnungsbau soll sich in Deutschland einiges tun. 400.000 Wohnungen sollen pro Jahr gebaut werden. So soll vor allem in Großstädten wieder bezahlbarer Wohnraum entstehen.

Im Jahr 2020 wurden bundesweit etwa 300.000 neue Wohnungen gebaut. In Schleswig-Holstein waren es laut Kreismonitor des Statistikamtes Nord 14077 neue Wohnungen. Das Innenministerium bestätigt diese Zahl. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack betont: „Das ist der höchste Wert seit Anfang der 2000er-Jahre.“ Man sehe generell einen Trend zu mehr Vorhaben im Land. Doch: Wo wird gebaut? Und vor allem: Wird ausreichend gebaut?

Kritik an Plänen der Ampel

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt: In Städten wird deutlich weniger gebaut als auf dem Land. Teilweise geht dies sogar deutlich über den Bedarf hinaus. „Um den Wohnungsmangel zu beseitigen, muss in den nächsten Jahren in vielen Großstädten und in deren Umland deutlich mehr als bisher gebaut werden“, sagt IW-Immobilien-Ökonom Ralph Henger. Von den Ampelplänen hält der IW-Forscher wenig. Seiner Einschätzung nach bräuchte man keine 400.000 neuen Wohnungen, sondern 308.000. Neubauten, die deutlich über diese Schwelle gehen, würden Leerstand provozieren. Diese Einschätzung hat für die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt einen bitteren Beigeschmack.

Zu viele Neubauten in Nordfriesland

So könne Kiel nur 28 Prozent des Bedarfs an neuen Wohnungen decken. Bundesweit ist die Landeshauptstadt damit auf dem letzten Platz. Nur in drei Kreisen im Norden würde das Ziel erreicht. Hier allerdings dann auch gleich übertroffen. In Dithmarschen würden 473 Wohnungen benötigt, gebaut wurden 515. Im Kreis Schleswig-Flensburg wurden demnach 1252 neue Wohnungen gebaut und nur 915 benötigt. In Nordfriesland wurden sogar mehr als doppelt so viele neue Wohnungen gebaut wie benötigt. Hier befürchtet das IW, dass bis 2025 sogar fünf Mal so viele Wohnungen entstehen würden wie benötigt. Die Folge wäre ein flächendeckender Leerstand.

Furcht vor Leerstand

Alle anderen Kreise und kreisfreien Städte im Norden konnten den Bedarf hingegen nicht eigenständig decken. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass gerade die großen Städte dies auch nicht müssen, da viele Berufstätige, die dort arbeiten, eher in den benachbarten Kreisen nach Wohnungen oder Häusern mit Garten suchen. Deshalb würde gerade in den Städten viel Bautätigkeit großen Leerstand hervorrufen. „Von bedarfsgerechtem Neubau kann keine Rede sein. Sinnvoller wäre es, die Einzugsbereiche der Großstädte zu erweitern und mehr in die angrenzende Infrastruktur zu investieren“, sagt Ralph Henger.

Gemischte Wohnbebauung

Genau da sei Schleswig-Holstein nach Ansicht des Innenministeriums auf einem guten Weg. „Wir sehen darin eine Chance. Schleswig-Holstein ist in weiten Teilen attraktiv und gut an die Infrastruktur angebunden“, so Sütterlin-Waack. Jedes Jahr eine 100-prozentige Bedarfsdeckung zu erreichen, sei schon aus praktischen Gründen leider nicht möglich. „Wichtig ist deshalb, dass kontinuierlich gebaut wird. Wohnungsbau ist eine Daueraufgabe“, betonte sie.

Die Ministerin kommt zu dem Schluss: „Die Zahlen besorgen uns nicht.“ Abgesehen davon, dass die Bautätigkeit im Norden seit Jahren zunehme, wolle man eher auf die Art schauen als auf die reine Menge. „Wir müssen schon heute Baugebiete so denken, dass sie auch in 35 Jahren noch funktionieren“, findet die Ministerin. Damit würde sie sich genau auf einer Linie mit den IW-Forschern befinden, die eben so ein Vorgehen einfordern.

Das heißt: In Neubaugebieten würde eine Mischung aus Einfamilienhäusern und altersgerechten Wohnungen in Kombination mit guter Anbindung an den ÖPNV und Internet entstehen. „Dafür haben wir die Förderung ,Neue Perspektive Wohnen’ geschaffen. Hier kann jede Kommune bis zu 50000 Euro als Zuschuss beantragen, um Baugebiete zu planen“, so Sütterlin-Waack. Ziel ist es, Menschen lange in diesen Gebieten halten zu können.

Dass nun auch der Bund deutlich eingreifen will, wird in Schleswig-Holstein begrüßt. „Wir haben in den letzten Jahren den Bestand an geförderten Wohnungen stabil halten können. Wir brauchen aber mehr, um die Bedarfe zu decken“, erklärt die Ministerin. So sei es aufgrund gestiegener Baupreise kaum noch möglich, Gebäude zu errichten, die kostendeckend unter elf Euro pro Quadratmeter vermietet werden können. Hier sei eine Möglichkeit für das Eingreifen des Bundes. Dazu passt, dass die Bundesregierung angekündigt hat, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) deutlich besser zu fördern.

Norden auf gutem Weg

„Wir werden der BImA mehr Freiheiten verschaffen und ihr die Aufnahme von Krediten ermöglichen. Die BImA soll künftig selbst investieren und bauen sowie weiterhin kommunales Bauen unterstützen können“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Zudem will der Bund die Baukostensenkungskommission fortsetzen. Doch wie ist die Prognose, wenn keine staatliche Hilfe kommt? Ganz gut zeigen dies Daten des IW. Bis 2025 gehen die Forscher davon aus, dass die Bautätigkeit in allen schleswig-holsteinischen Kreisen steigen wird. Auch ohne staatliche Regulierung leistet der Norden seinen Teil. „Was wir auch sehen, ist, dass immer mehr Wohnungen und im Verhältnis weniger Einfamilienhäuser gebaut werden. Das entspricht klar dem Bedarf“, so Sütterlin-Waack.

Gute Anbindung und Versorgung ist wichtig

Die Idee dahinter: Ältere, die ihr Haus nicht mehr brauchen oder unterhalten können, verkaufen dies an junge Familien und können in moderne Wohnungen im gleichen Ort ziehen. So würde man die Senioren nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen und gleichzeitig für den Zuzug von Familien in die Dörfer sorgen. „Wir sehen den Trend, dass Menschen gerne raus aus den Städten und in die Dörfer wollen“, so die Ministerin.

Als Fazit bleibt: Zwar können die meisten Kreise den Bedarf an Neubauten aktuell nicht decken, das ist jedoch nicht negativ zu bewerten. Die Bautätigkeit im Norden nimmt seit Jahren zu und wird dies auch weiterhin tun. Zudem ist das reine Bauen nicht das Maß der Dinge. Es geht darum, das zu bauen, was benötigt wird. Und das sind vor allem Wohnungen. Zudem muss dafür gesorgt werden, dass neue Baugebiete attraktiv ausgestaltet sind. Dazu gehören Mobilitätsmöglichkeiten, Lebensmittelgeschäfte, aber auch eine gute Anbindung an das Internet, um Menschen vom Leben in einem Ort zu überzeugen.

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