Weniger Müll in den Meeren

Pilotprojekt in SH: Auf der Jagd nach Geisternetzen in der Ostsee

Pilotprojekt in SH: Auf der Jagd nach Geisternetzen in der Ostsee

Auf der Jagd nach Geisternetzen in der Ostsee

SHZ
Kiel
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Mit einem Kran wird eine verloren gegangene Reuse an Bord des Forschungsschiffes gebracht. Foto: Frank Molter/shz.de

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Sie sollen zehn Prozent des Mülls in den Meeren ausmachen: Netze, die herrenlos in der See liegen, werden zur tödlichen Fallen für Tiere. shz.de erklärt, wie die Gefahr in Schleswig-Holstein gebannt werden könnte.

Philipp Schubert hat Angst. Jedes Mal, wenn er wie an diesem Tag in der Ostsee vor Heikendorf bei Kiel abtaucht, um ein Geisternetz zu bergen, rechnet er damit, dort schlimme Dinge zu sehen. „Ich habe schon mehrfach Kormorane oder andere Seevögel in den Maschen gefunden, die dort grausam verendet sind“, sagt der Meeresbiologe, der seit Jahren für den Umweltverband WWF verloren gegangene Netze aus den Meeren fischt.

Per Sonar hat er von seinem Schiff aus in der gesamten schleswig-holsteinischen Ostsee 250 Stellen entdeckt, an denen er abgerissene Netze vermutet. Unter der Leitung von Umwelt-Wissenschaftlerin Andrea Stolte vom WWF hat er bei 20 Tauchgängen in der Ostsee zwischen Neustadt und Fehmarn seit Dezember insgesamt bereits zwei Kilometer Netze aus dem Meer gefischt. Ein Teil davon liegt nun an Deck der „Haithabu“, dem Forschungsschiff des Landes.

Mit an Bord ist Umwelt-Staatssekretärin Dorit Kuhnt, die den erkrankten Minister Jan Philipp Albrecht (Grüne) vertritt. Sie ist gekommen, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Umweltschützer die Netze bergen. Denn ab Herbst will das Land in einem Pilotprojekt die Beseitigung des Mülls aus den Meeren unterstützen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es so ein Projekt schon, das das Bundesland für zwei Jahre mit 100.000 Euro fördert. „Damit würden wir auch in Schleswig-Holstein klarkommen“, sagt Stolte. Denn seit 2014 hat der WWF allein rund eine Million Euro in die Erforschung, Entdeckung und Bergung der meist aus Plastik gefertigten Netze gesteckt. „Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, die Meere sauberer zu machen“, sagt Kuhnt. Und ja: „Dazu werden wir ausreichend Mittel bereitstellen.“ Das könne auch aus EU-Mitteln geschehen.

Jedes Jahr gehen tausende Netze verloren

Doch jetzt steht die Staatssekretärin erst einmal in der Sonne am Bug der „Haithabu“ und sieht zu, wie Philipp Schubert abtaucht. In wenigen Minuten wird mit seiner Hilfe ein Teil einer rund 50 Jahre alten Reuse an Bord des Schiffes gehievt werden. Andrea Stolte steht neben Dorit Kuhn und erzählt der Staatssekretärin, warum es so wichtig ist, die Hinterlassenschaften der Fischer aus den Meeren zu holen. Dass nach einer Schätzung des WWF in Polen in jedem Jahr 5000 bis10.000 Teile von Stellnetzen neu in die Ostsee gelangen. „Die Fischer verlieren zwar weniger Netze als früher, aber es gibt keine Fischerei ohne Netzverlust“, sagt Stolte.

Tödliche Falle für Tiere

Unter Wasser seien die Netze fast unsichtbar. Die Vögel sehen nur die Fische, die sich darin verfangen und wollen sie fressen. „Dabei ist die Gefahr groß, dass sie sich selbst dort verfangen und sterben“, sagt die Umwelt -Wissenschaftlerin. Nach vorsichtigen und umstrittenen Schätzungen sind zehn Prozent des Mülls in den Meeren Geisternetze. Und sie seien mit der gefährlichste Müll für Umwelt, sagt Stolte. Es brauche 500 Jahre, damit die Nylonnetze sich zersetzen. Das Mikroplastik nehmen aber vorher Tiere auf, und so kann es in die Nahrungskette bei den Menschen landen.

Wie viele Geisternetze es in den Meeren gibt, weiß niemand. Denn nur die wenigsten Verluste werden von den Fischern gemeldet, sagt Stolte. In den letzten zwölf Jahren seien bei den Behörden in Schleswig-Holstein nur ein paar Dutzend Meldungen eingegangen. Denn theoretisch müssen die Fischer dafür bezahlen, wenn ihre Netze geborgen werden. Und so ein Taucheinsatz wie er gerade vor Heikendorf stattfindet, kann schnell 10.000 Euro kosten. Viel Geld für Fischer, die unter großem wirtschaftlichen Druck stehen.

Fischer sollen bei Bergung helfen

Das wissen auch die Umwelt-Wissenschaftlerin und die Umwelt-Staatssekretärin. Deswegen sollen bei dem Pilotprojekt die Fischer mit eingebunden werden und selbst Bergungseinsätze fahren – für eine Aufwandsentschädigung, die das Land übernimmt. „Die Fischer haben selbst ein großes Interesse daran, dass die Meere sauber bleiben, denn das ist ja ihre Existenzgrundlage“, sagt Stolte und Kuhnt nickt dazu. Sie hofft, dass möglichst viele Fischer mitmachen.

Als die alte Reuse auf dem Deck der „Haithabu“ liegt, sieht Kuhnt selbst, wie viele kleine Fische, Seesterne und Krebse sich dort verfangen haben. Aber zum Glück sind weder tote Seevögel noch Robben dabei, was nicht nur Meeresbiologe Philipp Schubert erleichtert. Denn eines sei klar, sagt Andrea Stolte: „Jungtiere hätten in diesen stabilen Netzen vermutlich keine Chance.“

 

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