Geigerin auf Föhr im Interview

Tatjana Pavlenko: „Ich checke ständig die News und telefoniere in die Ukraine“

Tatjana Pavlenko: „Ich checke ständig die News und telefoniere in die Ukraine“

„Ich checke ständig die News und telefoniere in die Ukraine“

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Im Interview: Violinistin Tatjana Pavlenko ist vor 30 Jahren mit ihren Eltern aus der Ukraine nach Deutschland gezogen. Foto: Silke Kurtz/shz.de

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Violinistin Tatjana Pavlenko lebt seit fünf Jahren auf Föhr. Ihre familiären Wurzeln hat sie in der Ukraine. Wie es der Künstlerin angesichts der weltpolitischen Lage ergeht, erzählt sie im Interview mit shz.de.

In ihrer Heimat herrscht aktuell Krieg. Ein Teil von Tatjana Pavlenkos Familie befindet sich in der massiv umkämpften Region Kiew. Wie es der Künstlerin, die seit 29 Jahren in Deutschland lebt, persönlich ergeht, was die globalpolitische Situation mit ihr macht, erzählt sie in diesem Interview mit shz.de und Mein Inselradio Föhr.

Frau Pavlenko, Sie stammen aus einer Künstlerfamilie und sind in der Ukraine geboren. Ihre Mutter war Opernsängerin, Ihr Vater Regisseur und Schauspieler. Sie besuchten die Lyssenko-Schule für hochbegabte Kinder in Kiew und leben mittlerweile auf Föhr. Hier geben Sie Privatunterricht für Violine, Piano sowie Alexander-Technik. Was hat Sie zunächst nach Berlin und später auf die Insel gebracht?

Mein Vater hat ein Engagement in einem deutschen Unesco-Projekt erhalten. Da ich zudem gesundheitliche Probleme hatte, wurde uns in Deutschland, nach Antragstellung, Asyl bewilligt. Damals war ich zwölf Jahre alt. Wir zogen zunächst nach Berlin. Vor fünf Jahren sind mein Mann und ich schließlich mit unserem Sohn nach Föhr gezogen. Ein Jahr später kam unsere Tochter auf die Welt. Wir sind sehr glücklich auf Föhr und haben viele interessante, tolle Menschen kennenlernen dürfen. So wie beispielsweise Birgit Wildemann. Wir haben gemeinsam erfolgreiche Konzerte im Nieblumer Friesendom und in der Boldixumer St. Nicolai Kirche gespielt. Aus der Bevölkerung erhalten wir eine sehr große Resonanz, weil wir harmonieren.

Was verbinden Sie mit Ihrer Musik?

Ich mag Musik. Sie ist in meinem Herzen. Ohne Musik kann ich mir mein Leben nicht vorstellen. Meine Eltern sind Künstler und ich bin musikalisch geprägt aufgewachsen. Wie sehr Musik mein Leben dominiert, zeigt sich auch darin, dass ich unterrichte. Zwar bin ich Violinistin, aber mein zweites Instrument ist das Piano. Hier gebe ich Anfängern Unterricht. Ich singe auch sehr gerne und binde in meine Konzerte mittlerweile gesangliche Beiträge ein.

Sie haben schon auf einigen Bühnen gestanden. Gab es Auftritte in der Ukraine und fühlen Sie sich dort Zuhause?

Mein Zuhause ist hier. Ein wenig trage ich die ukrainische Denkweise schon in mir. Aber da ich die bereits so lange in Deutschland lebe, bin ich auch so geprägt. Aufgrund der politischen Situation bin ich kaum in der Ukraine gewesen. Schon lange gibt es politische Spannungen dort und später wollte ich mich und meine Kinder keinen Risiken aussetzen. Daher sind wir nicht in meine Heimat gereist. Dort Konzerte zu geben, ist aber ein lang gehegter Wunsch. Jetzt kommt der Krieg dazu, welcher dieses Vorhaben natürlich erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben hat.

Sie haben Kinder. Hätten Sie sich eine Zukunft für diese in der Ukraine vorstellen können?

Das wäre für mich nicht in Frage gekommen. In der Ukraine gibt es ja schon seit vielen Jahren Spannungen und elementare Konflikte. Die Generation, welche jetzt dort groß werden muss, ist dauerhaft traumatisiert. Ich hätte meine Kinder nicht in einem Land aufwachsen sehen wollen, für das ständig Gefahr von außen droht. Leider ist es so, dass viele östliche Staaten in sehr konservative Strukturen und Staatsführungen zurückgeführt werden. Ich habe gerade einen Bericht gesehen, in dem von einem Jungen erzählt wurde, welcher mit seinen Eltern aus Syrien in die Ukraine flüchten musste. Er ist jetzt alleine in Polen angekommen, weil sein Vater gestorben ist und seine Mutter sich um die gebrechliche Oma kümmern musste. Daher konnte sie nicht mit ihm fliehen. Was ist das für ein grausames Schicksal.

Wenn Sie die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine verfolgen, was geht in Ihnen vor?

Als allererstes ist da dieses Grauen und die Vorstellung, dass ich mit meinen Kindern dort wäre und hilflos ausgeliefert sei. Es ist unglaublich, weil es so nah ist. Die ganze Welt ist davon betroffen. Ich habe nicht gespürt, dass dieser Krieg so massiv ausbrechen könnte. Dass ein Tyrann die ganze Welt mit dieser Aktion erschüttert, ist sehr verunsichernd. Denn das tut Putin, indem er die Ukraine angreift – er greift die Welt an. Die Ukraine war auf einem Hoch und jetzt bricht alles zusammen. Ich habe Kontakte in die Ukraine, die nicht wissen, ob ihre Häuser noch stehen oder bereits von Verbrechern vereinnahmt wurden. Am schlimmsten ist für mich zu sehen, dass schutzbedürftige Kinder derart leiden müssen. Mein Vater unterstützt aktuell in Berlin und fuhr Kinder zu Anlaufstellen. Nach ein paar Tagen hat er diese Aufgabe abgegeben, weil diese armen Kinder bei jedem Geräusch zuckten und furchtbare Angst hatten. Das hat mein Vater emotional nicht ausgehalten.

Hilft Ihnen die Musik bei der Verarbeitung der Bilder und Informationen?

Ehrlich gesagt, kann ich derzeit überhaupt nicht richtig abschalten. Ich bin ständig am Rechner oder Smartphone und checke die News. Ich telefoniere andauernd mit meinen Eltern in Berlin und in der Ukraine, um mich zu vergewissern, dass meine Familie noch lebt. Musik zu machen lenkt mich gerade nur wenig ab und ist derzeit zweitrangig. Ich lege viele Emotionen in meine Musik und oft weine ich auch während des Musizierens.

Was würden Sie den Ukrainern, Russen und Putin gerne mitteilen?

An die Ukrainer gerichtet, würde ich sagen: Sie mögen bitte zusammenhalten. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, dass einige ihr Land verlassen wollen und nicht zu den Waffen greifen wollen. Wir sind eine europäische Gemeinschaft und jeder Ukrainer ist hier willkommen. Ich wünsche den Ukrainern vor allem Frieden und dass dieser Krieg bald aufhört. Was Putin betrifft, kann ich nur sagen, dass er bereits verloren hat. Es ist ein furchtbares Verbrechen, was Putin an den Ukrainern verrichtet. Aber auch an seinem eigenen Volk. Ich wünsche mir, dass die Russen endlich aufstehen und diesen Diktator stürzen. Denn er reißt seine Landsleute mit in den Ruin. Er kann nicht alle Russen inhaftieren. So wie Navalny sagte: Wenn alle auf die Straße gehen, können sie nicht eingesperrt werden. Ich weiß, wie schwierig es ist, Proteste zu organisieren. Alleine durch die Zensur der Medien und Bespitzelungen. Aber ich wünsche den Russen, dass sie frei eine neue Regierung wählen könnten.

Wo sehen Sie die größten Mentalitätsunterschiede zwischen Russen und Ukrainern?

Die Ukrainer mussten immer schon sehr viel um ihren Lebensstandard kämpfen und für ihre Unabhängigkeit. Sie scheuen das Unbequeme nicht, um an eine Regierung zu kommen, die die unterschiedlichen Interessen der Menschen demokratisch vertreten kann. Und dieses unterschiedliche Denken ist in der Ukraine natürlich auch vorhanden. Die Ukrainer haben schon so viel Leid erfahren. Sie verfügen über großen Kampfgeist, der hoffentlich auch nicht gebrochen wird. Ich denke, dass ist wohl der deutlichste Unterschied. Ein bisschen habe ich schon die friesische Mentalität in mir. Und sie ist manchmal recht ähnlich zu der ukrainischen. Der Spruch: Lever duad as slav (Lieber tot als Sklave) trifft auf beide Mentalitäten zu.

Glauben Sie an den Aufbau einer besseren Regierung in Russland, falls Putin gestürzt wird?

Die Hoffnung ist schon da. Denn es kommt eine junge Generation nach, die ganz anders denkt. Die Generation, welche die Sowjetunion verherrlicht und in kruden Ideologien schwelgt, wird hoffentlich bald verschwinden. Aber solche Diktatoren sind nie alleine schuld. Meiner Wahrnehmung nach ist das eher ein Generationen-Phänomen, das fast schon einem 'Mantra' folgt. Woher das kommt, kann ich nicht greifen.

Würden Sie an die ukrainisch-polnische Grenze fahren, um dort aktiv zu helfen?

Wenn ich nicht meine beiden kleinen Kinder hätte, würde ich sofort fahren. Aber ich möchte meinen Mann nicht alleine mit der Sorge um die Kinder hier zuhause lassen. Und jeder Mutter sind ihre eigenen Kinder dann doch am wichtigsten. Aber Pastor Menke wird am 20. März einen Friedensgottesdienst in Boldixum geben. Dort werde ich vermutlich auch spielen und ein wenig aus meiner Perspektive heraus berichten. Außerdem werde ich auf meiner Facebook-Seite „Tatjana Pavlenko“ Informationen, Hilfsangebote und Kontakte posten, über die sich Hilfsbereite mit Initiativen in Verbindung setzen können. Jeder kann mir eine persönliche Nachricht senden, wenn er Fragen oder Anregungen zu Spendenaktionen hat.

Ist Ihrer Meinung nach das politische Engagement der Deutschen und westlichen Länder ausreichend?

Das ist wohl die schwierigste Frage. Es ist natürlich klar, dass die Bedrohung eines Atomkrieges über allen schwebt. Die Reaktion Putins, wenn die Nato größere Maßnahmen treffen würde, ist nicht einzuschätzen. Aber auch das Schließen des Luftraums über der Ukraine könnte zur Eskalation führen. Ich glaube auch, dass die Ukrainer das zum Teil verstehen. Auch wenn sie sich zum Teil alleine gelassen fühlen. Ich denke, wenn es keine Atomwaffen geben würde, wäre dieser Konflikt ganz anders zu lösen. Die Hilfsbereitschaft zur Aufnahme der Geflüchteten kam von so vielen europäischen Ländern, in so einem großen Maß – das ist schon ein sehr großes Zeichen. Man fühlt den europäischen Gedanken, diese Situation gemeinsam zu meistern. Niemand möchte die Ukraine opfern. Es ist tragisch, dass sich die Ukraine zwischen diesem aggressiven, russischen Staatsoberhaupt und der Nato liegt. Somit wird es in den militärischen Fokus gesetzt. Ich wünsche den Ukrainern, dass sie mehr Hilfe bekämen. Aber anderseits möchte man nicht noch mehr Opfer haben und eine weitere Eskalation verhindern.

Welche Botschaft möchten Sie den Menschen auf Föhr mitgeben?

Noch mehr zusammenzuhalten und Konflikte, die es natürlich überall gibt, demokratisch und friedlich zu lösen. Die Föhrer bilden eine sehr homogenen Gemeinschaft. Durch die aktuellen politischen Ereignisse spürt man das noch mehr.

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